Inselhüpfen in der Ostägäis (1. Teil)
Was treibt einen Familienvater dazu, sich die Strapazen und alles in allem hohen Kosten mit einem Kleinkind für eine über drei Wochen lange Tour durch die Inselwelt der Ostägäis anzutun? Wie inzwischen auch der letzte gemerkt haben dürfte, ist Hellas schon lange kein Billigreiseziel mehr – im Gegenteil: Viele Dienstleistungen und Waren des täglichen Lebens sind hier inzwischen teurer als im heimischen Deutschland, die Sicherheit der im voraus gebuchten Unterkünfte, Transfers und Mietwagen, die Flexibilität bezüglich Hin- und Rückflug lassen sich Spezialveranstalter, wie in unserem Fall Attika, teuer bezahlen. Hinzu kommen die Unwägbarkeiten der stets unberechenbaren griechischen Fährpläne: Abfahrtszeiten sind im voraus grundsätzlich nicht zu erfahren. Aber all das kann unsere ausnahmslos positiven Erinnerungen an eine sagenhafte Kykladentour 11 Jahre zuvor nicht trüben und so wollen wir erneut ein Griechenland erleben, wie man es nur auf einer Reise von Insel zu Insel erfahren kann.
Ende April 2002, also praktisch mit dem Beginn der Reisesaison auf den Inseln, soll es mit einem Direktflug von Frankfurt nach Sámos beginnen. Neun Tage Aufenthalt dürften genügen, um mit dem Leihwagen alle bedeutenden Ecken des knapp 500 qkm großen Eilandes vor der kleinasiatischen Küste zu sehen. Danach folgt eine Überfahrt Richtung Süden bis nach Pátmos, dem Heiligtum der griechisch-orthodoxen Kirche. Dieses zerklüftete Stücke Felsen mit dem 1000 Jahre alten Johanneskloster oben drauf ist vergleichsweise winzig und kann von geübten Wanderern auch zu Fuß erkundet werden – fünf Tage sind daher genug. Den Abschluss der Reise bildet mit wiederum neun Tagen Kos, eine in der Hauptsaison vom Massentourismus böse heimgesuchte Insel, im Gegensatz zu den anderen beiden – aber auch mit den wahrscheinlich schönsten Sandstränden Griechenlands sowie zahllosen Relikten aus der hellenistisch-römischen Antike und der Johanniterzeit. Einen unschätzbaren Vorteil hat Kos außerdem: Es gibt einen Flughafen, denn irgendwie müssen wir ja wieder nach Hause.
• Anreise und Unterkunft
Unser erster Tagesausflug führt uns zunächst nach Ághios Nikólaos, einem kleinen Ort an der Nordküste. Hier wollen wir uns in einer exzellenten Fischtaverne stärken. Jedoch steht uns noch eine längere Anfahrt bevor, denn der Weg aus dem Westen zu den interessanten Teilen von Sámos führt in den meisten Fällen die Serpentinenstraße hoch über
• Marathókambos.
Durch das Dorf der Olivenbauern quält sich der Verkehr über einspurige, aber in beiden Richtungen befahrene Straßen vorbei an Fußgängern, parkenden Autos, jede noch so kleine Lücke als Ausweichstelle nutzend. Der Blickfang von Marathókambos ist eindeutig die farbenfrohe Kirche in der Ortsmitte. Hat man dieses Nadelöhr erst einmal passiert, folgt fast nur noch unberührte Natur. Doch der Schein trügt: Ab einer gewissen Höhe sollte eigentlich dichter Wald beginnen, doch davon ist in dieser Region sowie in den meisten anderen Höhenlagen nichts mehr übrig. Nur noch schwarze verkohlte Baumstümpfe ragen in den Himmel, wo einst duftende Aleppokiefern standen. Die verheerenden Brände im Sommer 2000 haben ganze Arbeit geleistet, doch anstelle des ehemals schattigen Waldbodens hat sich inzwischen ein saftiggrüner Teppich aus Gräsern, Blumen und Kräutern breit gemacht – die Natur findet offensichtlich trotz allem einen Weg.
In den Kurven der Straße passieren wir kleine Holzhütten, in denen Imker ihren Thymianhonig direkt an die Touristen verkaufen – allerdings sind sie noch geschlossen, es ist Vorsaison. Vorbei am kleinen Flecken Sourides nähern wir uns der zersiedelten Küstenstadt Karlóvassi. Die Straße führt scheinbar ziellos durch kilometerlange Neubausiedlungen – wenig attraktiv, um anzuhalten. Unten am Meer angekommen, biegen wir nach rechts und landen auf einmal ohne Vorwarnung auf einer unbefestigten Piste. Schnell schließen wir sämtliche Fenster, denn der ganze Stadtteil ist in eine riesige Staubwolke gehüllt. Die Hauptstraße führt mitten durch Órmos, dem ehemaligen Gerbereiviertel. Doch das sparen wir uns auf für die Rückfahrt, denn gegen Abend sind die Lichtverhältnisse zum Fotografieren günstiger.
Nach wenigen Minuten erreichen wir endlich
• Ághios Nikólaos,
den ersten Zwischenstopp – Mittagspause. Die 'ΨΑΡΟΤΑΒΕΡΝΑ 'ΟΙ ΨΑΡΑΔΕΣ' (Δ. ΚΑΡΑΓΙΑΝΝΗΣ)' (sprich Psarotaverna Oi Psarades D. Karagiannis) soll die beste an der Nordküste sein – zumindest die Ausstattung ist schon mal sehr vielversprechend: Eine Terrasse auf mehreren Ebenen direkt am Meer, blendend blau und weiß getüncht, mit Ankern, Schiffsschrauben, Steuerrädern sowie anderen Utensilien aus der Seefahrt liebevoll gestaltet. Man sitzt auf traditionellen Holzstühlen mit geflochtener Sitzfläche, welche in Griechenland leider immer mehr geschmacklosen Plastikschalen weichen müssen. Das Bambusdach über uns schützt uns vor der sengenden Mittagssonne. Nur so lässt es sich um diese Tageszeit im Freien aushalten. Die Auswahl an fangfrischem Fisch ist groß, er wird üblicherweise gewogen, wenn sich der Gast nach Begutachtung der Kühltheke für ein Exemplar entschieden hat. Die Preise schwanken zwischen 25 und 35 € pro Kilo, je nach Qualität (fertig zubereitet natürlich) – nicht gerade billig, aber schließlich ist das Mittelmeer auch hier ziemlich leer gefischt und die Fischerei verhältnismäßig aufwändig. Üblicherweise landen ganze Fische auf dem Holzkohlengrill – das Resultat ist schmackhaft und sehr viel mehr darf man von der für ihre Raffinesse berühmten griechischen Küche auch nicht erwarten. Stattdessen sollte man sich der Frische der Zutaten erfreuen und so gehört zu einem echten hellenischen Mahl auch immer ein klassischer griechischer Bauernsalat: Dicke Gurkenscheiben, reife Tomatenecken, Paprika, rote Gemüsezwiebeln, ein ordentliches Stück Dodoni (der würzigste Feta-Käse), ein paar dunkle Oliven, darüber reichlich Olivenöl, Oregano, Salz und Pfeffer – fertig. Auf Essig oder Zitrone verzichten wir in der Regel, da die einzelnen Zutaten bereits genügend Eigengeschmack haben. Blattsalate werden zwar gelegentlich mit untergeschoben, gehören aber nicht zu diesem wirklich ursprünglichen Gericht. Meistens ist es ausreichend, für zwei Personen einen Teller zu bestellen, so reichhaltig ist diese Vorspeise. Der Preis liegt in der Regel bei 2 bis 3,50 € – mehr ist Touristennepp. Wir verlassen die Taverne nach einem gemütlichen Mokka zum Abschluss und 40 € ärmer und fahren noch etwa 8 Kilometer bis zur Mündung des Nachtigallentals Valeontádes. Hier beginnt ein beliebter Wanderweg durch das üppig grüne Bachbett hoch nach
• Manolátes,
einem wunderbar ursprünglichen Bergdorf an der Nordflanke des Óros Ámbelos. Bereits am zweiten Tag unseres Aufenthaltes stehen wir mitten drin im Bilderbuchgriechenland: Kleine, verwinkelte Gässchen, welche über Treppenstufen den Hang erklimmen, alte Frauen in schwarzer Witwentracht und auf Mauern sitzende und vor sich her singende Männer. Auf einem Esel kommt ein Bauer geritten, als hätte es nie so etwas wie eine Automobilisierung gegeben, aus einer anderen Ecke schreitet ein Pope hastig die Straße hinab und ... steigt in einen nagelneuen Kleinwagen auf dem Dorfparkplatz. Nun ja, es kann nicht alles unseren Wunschvorstellungen entsprechen und wir beschließen, uns an der winzigen Platía niederzulassen. Freundlich nickend werden wir von den vor dem Kafenion sitzenden Männern begrüßt, einer macht sich sogar sorgen, weil mein im Buggy schlafender Sohn an einer etwas windigen Stelle steht. ΣΝΑΚ-ΜΠΑΡ 'AAA' (A. ΑΓΓΕΛΗ) steht auf dem Eingangsschild, umschrieben lautet das Snackbar 'AAA' (A. Angeli). Der 'Elliniko', der griechische Mokka, in Touristenzentren auch als 'Greek Coffee' bezeichnet, kostet mich gerade mal 60 Cent, natürlich inklusive dem obligatorischen Glas Wasser – eine echter Freundschaftspreis.
Platz in Manolátes größer... |
Feldweg bei Manolátes größer... |
Nachdem wir so den Nachmittag verbummelt haben, drängt die Zeit, um die letzten Sonnenstrahlen in
• Karlóvassi
für ein paar beeindruckende Porträts von Industriedenkmälern zu nutzen. Mitten auf der Staubpiste bleiben wir stehen und klettern in die unverschlossenen Ruinen der alten Gerbereien und Seifenfabriken direkt am Meer. Von den teilweise gewaltigen Hallen stehen nur noch die Außenmauern – aber diese sind aufwendig aus Backstein gemauert. Pfeiler und Rundbögen vermitteln eher den Eindruck einer repräsentativen Architektur als eines Zweckbaus. Die in den Boden eingelassenen Laugenbottiche sind noch vorhanden, obwohl die Anlagen seit dem zweiten Weltkrieg nicht mehr genutzt wurden. Die im warmen Licht der untergehenden Sonne in den Himmel ragenden Relikte und völlig mit Staub überzogenen Mauern zur Straße sorgen für eine seltsam morbide Stimmung. Daran ändern auch die wenigen renovierten Häuser mit modernen Lederwerkstätten nichts. |
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Fabrikruinen in Karlovassi größer... |
• Pythagório
Der kommende Tag steht ganz im Zeichen der antiken Hauptstadt von Sámos, auf deren Gebiet sich das heutige Pythagório erstreckt – neben Kokkári und Vathý, der neuen Kapitale, das dritte touristische Zentrum. Wie auf einem Postkartenmotiv legen sich Cafès und Tavernen in einem blitzblanken Halbrund um das Hafenbecken. Am Kai dümpeln Luxusyachten und die Bars verlangen die dazu passenden Preise: 3 € für einen bestenfalls mäßigen Cappuccino treiben mir den Angstschweiß auf die Stirn und die Tränen in die Augen. Aber es gibt keine Alternative: No Life without Coffee... Überall wird verputzt, gestrichen, sogar die meisten Fischerboote befinden sich zwecks Generalüberholung auf dem Trockendock. Aber das interessiert uns weniger, vielmehr haben es uns die antiken Hinterlassenschaften angetan. Da wäre zunächst der Hafen: Schon zu Beginn der großen Mole fallen die Begrenzungssteine ins Auge, welche offensichtlich aus mehrfach getünchten Säulenfragmenten bestehen. Die Schutzmauer selbst wurde bereits in antiker Zeit erbaut und zielt mit ihrer Spitze genau auf das kleinasiatische Kap Mykale in der heutigen Türkei. Ein symbolträchtiges Bild, da das massive griechische Militäraufgebot auf der Insel kaum zu übersehen sein dürfte: Sobald man sich in die Nähe einer Küste mit Blick auf das Nachbarland begibt, fallen getarnte Bunkeranlagen und Kasernen ins Auge. Auf der zweiten Mole steht ein Denkmal des berühmten Mathematikers Pythagoras, dessen Geburtsstadt ihm zu Ehren heute seinen Namen trägt. |
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Antike Hafenmole von Pythagório größer... |
Pythagórios Zentrum liegt auf einem Hügel, dem Kastro. Hier finden sich Überreste einer frühchristlichen Basilika, aber auch profane Bauten wie die aus Trümmerstücken erbaute Logothetenburg aus dem 19. Jahrhundert. Die übrigen Reste liegen weit verstreut auf einer blühenden Wiese, sind über eine kleine Treppe am Ende des Friedhofs erreichbar und wurden bislang nicht weiter erforscht.
Der erste geschichtliche Höhepunkt in dieser Gegend erwartet uns etwas außerhalb der Stadt: Die L. Logothetou fahren wir wieder ein kleines Stück nach Westen und biegen dann der Beschilderung entsprechend nach Norden ab. Die Straße führt an den Fuß eines Berges, vorbei an den kaum sichtbaren Überresten eines Amphitheaters, welches in der Neuzeit bis zur Unkenntlichkeit modernisiert wurde – ein Abstecher lohnt sich nicht. Am Ende der Zufahrt allerdings weist uns ein unscheinbarer viereckiger Bau den Weg zu einer der bedeutendsten archäologischen Ausgrabungsstätten im östlichen Mittelmeer.
Der Eintritt in den Eupalinos-Tunnel ist an diesem Samstag frei (Jubel!), vermutlich wegen der griechisch-orthodoxen Osterfeiertage. Über eine kaum 40 Zentimeter breite Steintreppe tasten wir uns vor in den Untergrund. Bereits im 6. vorchristlichen Jahrhundert hatte der herrschende Tyrann Polykrates das Problem der ungesicherten Trinkwasserversorgung von Sámos erkannt und den Bau eines über einen Kilometer langen Tunnels durch den Berg angeordnet. Unter höchster Präzision trieben die Arbeiter das Bauwerk zeitgleich von beiden Seiten des Massivs voran, um sich nach Berechnungen des Architekten Eupalinos genau in der Mitte zu treffen. Nach über fünfjähriger Bauzeit war die exakt waagerecht verlaufende Wasserleitung mit einer Länge von 1046 Metern zur Versorgung von schätzungsweise 60.000 Samoanern vollendet. Nun musste nur noch nachträglich ein Nord-Süd-Gefälle eingegraben werden. Der Tunnel ist heute nach den erfolgreichen Ausgrabungskampagnen in den 70er Jahren auf einer Länge von 500 Metern begehbar – mehrere Meter unterhalb des Bodenniveaus verläuft die nur durch Bodengitter gesicherte Wasserleitung. Es ist feucht, ziemlich dunkel und gleichbleibend kühl im Berg. Am Einstieg zum Schacht kommt es regelmäßig zu Staus, weil der Gang immer nur in eine Richtung begehbar ist – Leuten mit klaustrophobischen Neigungen rate ich daher vor einem Besuch ab. |
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Eupalinos-Tunnel größer... |
Unmittelbar am Stadtrand, auf dem Weg nach Iréo passieren wir die römischen Thermen, merken es gerade noch rechtzeitig und stellen uns auf dem gleich dahinter liegenden schattigen Parkplatz. Über den Hintereingang betreten wir das Ausgrabungsgelände – das ist weiter kein Problem, denn der Eintritt ist grundsätzlich frei (nett sind die Griechen heute wieder...). Kaum haben wir den Fuß auf die Schwelle des Caldariums gesetzt, kommt eine Wärterin vom Haupteingang am anderen Ende auf uns zu gelaufen und wedelt mit ein paar Informationsbroschüren – ausgesprochen zuvorkommend (muss wohl an Ostern liegen). Mit dem Lageplan in der Hand erkunden wir das bombastische Gebäude bzw. was davon noch steht und sind vom einstigen Luxus dieser kommunikativen Einrichtung schwer beeindruckt: Beheizte Mosaikfußböden, Sitzbadewannen, Marmorbänke, Warm-, Heiß- und Kaltwasserbäder. Die Thermen wurden an der gleichen Kultstraße erbaut, die einst vorbei an unzähligen Statuen vom antiken Sámos zum 6 Kilometer entfernten
• Heraion
führte, dem im 6. Jahrhundert vor Christus begonnenen Hera-Heiligtum. Die monumentale Tempelanlage wurde in mehreren Phasen immer wieder vergrößert. Zuletzt gab Polykrates den Auftrag, anstelle des mit über 100 Metern Länge sowieso schon gewaltigen Roikos-Tempels eine noch beeindruckendere, aber niemals fertiggestellte Säulenhalle zu errichten. Makabre Randnotiz: Als die Perser ihn 522 v. Chr. auf dem Kap Mykale kreuzigten, hatte er seine Baustelle im Blick.
Säule des Dipteros-Tempels größer... |
Heilige Straße größer... |
Genelaos-Gruppe größer... |
Die einzige aufrecht stehende Säule auf dem heutigen Gelände ist ein Überrest dieses großen Dipteros-Tempels und war ursprünglich doppelt so hoch. Der eigentliche historische Zugang zum Heiligtum befindet am nordöstlichen Ende des Ausgrabungsgeländes, welches leider nur vom Süden her betreten werden kann. Die heilige Straße führt hier an der Kopie der Genelaos-Gruppe vorbei: Die ursprünglich sechs Statuen einer Familie sind nur noch in Fragmenten erhalten und stehen als Original im archäologischen Museum von Vathý. Im Heraion finden sich nicht nur Fragmente aus hellenistischer Zeit, sondern auch römische Thermen mit einem sehr viel kleineren Hera-Tempel und eine frühchristliche Basilika, die wie so oft auf heidnischen Heiligtümern unter Verwendung des Materials vor Ort errichtet wurde.
Türsturz größer... |
Säulentrommeln größer... |
Nach Vollendung dieses brachialen Tagesprogramms spannen wir nur knapp einen Kilometer weiter im beschaulichen Fischerdorf
• Iréo
aus. Es ist noch Vorsaison, außerdem Nachmittag und so bringen wir die Besitzerin der idyllisch an der schmalen Uferstraße gelegenen familiären Taverne ein ums andere Mal in Verlegenheit, weil nichts von dem, was auf Ihrer Karte steht, vorrätig ist. Wir begnügen uns schließlich mit Salat und Saganaki und genießen die Ruhe in diesem einst alternativen Badeort – weit entfernt vom versnobten Hafenbrimborium Pythagórios.
Die Rückfahrt zieht sich unendlich: Über kurvige Straßen hoch ins Gebirge, vorbei an Mýli (das steht am nächsten Tag auf dem Plan) und dem in einem von Seeseite uneinsehbaren grünen Tal gelegenen Pýrgos. In Koutsi schließlich wird es mir zu bunt und ich beschließe eine Abkürzung nach Neochori zu nehmen, das spart etwa die Hälfte der gesamten Strecke bis Kouméika, von wo aus derzeit nur eine Sandpiste bis Órmos Marathókambou führt – zumindest sieht es auf der Karte so aus. In Wirklichkeit entpuppt sich die laut griechischer Präzisionsstraßenkarte angeblich kerzengerade Straße als wahre Kamikazestrecke: Exakt ein Fuhrgespann breit, extremstes Gefälle, wahnsinnige Harrnadelkurven, mitten durch den Wald, etwas für echte Spezialisten. Wenn jetzt einer entgegen kommt, sind wir verloren. Die einzeln gegossenen Betonplatten sind aber in einem hervorragenden Zustand und so macht die Achterbahnfahrt schon wieder Spaß – mir und dem Kleinen zumindest (Mühlheimerin sieht das grundsätzlich anders, was wohl genetisch bedingt sein muss).
Die oben bereits erwähnte Sandpiste gibt uns dann den Rest: Es gelingt zwar noch, rechtzeitig alle Fenster zu schließen, aber der vor uns fahrende samiotische Golfclub hat einen Heidenspaß an durchdrehenden Hinterrädern, während wir spurlos in einer Staubwolke verschwinden.
• Megális Panagiás
Das ehemalige Mönchskloster in einem einsamen Tal südlich des für seine Töpfereien bekannten Dorfes Koumaradéi ist unser erstes Ziel am nächsten Morgen. Die gut ausgebaute Straße führt bis nach Mýli und etwa nach einem Drittel der Strecke stehen wir vor den festungsartigen Außenmauern der Anlage. Neben den beeindruckenden Gebäuden gibt es hier noch ein paar Fresken in der Klosterkirche (16. Jh.) zu sehen. Aufgrund der langen Anfahrt ist es bereits kurz vor Eins, aber die kleine hölzerne Eingangspforte ist noch offen und schon sind wir drin. Unser erster Fehler: Besuche niemals ein griechisches Kloster zu Beginn der Mittagsruhe, das gehört sich nicht. Die nicht mehr genutzte Anlage wird von einer Nonne, welche gerade eine griechische Familie verabschiedet, bewacht. Ich will zu einem präzise einstudierten "Kalimera!" ausholen, aber sie wirft einen kurzen Blick auf unser Erscheinungsbild und verdreht entsetzt die Augen. Der zweite, wirklich schwere Fauxpas: Hilflos stehen wir da .... in kurzen Hosen – ein Kapitalverbrechen in orthodoxen Weihestätten! Dabei hatte meine bessere Hälfte steif und fest behauptet, bedeckte Schultern seien ausreichend und von Hot Pants sind unsere fast knielangen Trekking-Shorts doch weit entfernt. Aber was zu viel ist, ist zuviel: Die Ordensschwester, nahe der Ohnmacht, komplimentiert uns freundlich, aber bestimmt hinaus. Um Schadensbegrenzung bemüht, stammele ich noch ein paar Worte der Entschuldigung, um anschließend mit ein paar schönen Einstellungen von den Außenmauern wenigstens etwas von diesem Ausflug für meine Nachkommen zu retten.
Kloster Megális Panagiás größer... |
Frühlingswiese bei Megális Panagiás größer... |
Der Tag ist ja noch nicht zu Ende und so fahren wir voller Hoffnung wenige Kilometer weiter nach
• Mýli,
in unserem Dumont hochgelobt für seinen 'schönsten Dorfplatz an der Südküste' und die preisgünstigen Tavernen. Mein Urteil: Ganz nett und aufgrund der riesigen Maulbeerbäume überall angenehm schattig, jedoch wegen der Plastikstühle knapp verloren gegen die Piazza del Campo in Siena... Aber für lediglich 16,20 € (alles zusammen) erhalten wir in einer der sehr einfachen Lokale in der Tat unser bislang günstigstes Mittagessen. Der Weg führt uns im Anschluss an die ausgedehnte Siesta nach
• Pagóndas,
einem inmitten von uralten Olivenwäldern gelegenen Bergdorf, in dem die Ölproduktion die zentrale wirtschaftliche Rolle spielt. Der hiesige Dorfplatz ist wesentlich größer und für meinen Geschmack ansehnlicher als der in Mýli. Die einladenden Tische eines der beiden Kafenions verfehlen nicht ihre Wirkung. Zeit für eine Kaffeepause und hochprozentigem griechischen Joghurt mit Thymianhonig: Genau das Gegenteil von Fruchtzwerge – da bleibt der Löffel stecken. Ich empfehle jedem, diese urgriechische Süßspeise zu kosten – Extase sei Euch garantiert und absolut nahrhaft ist es auch!
Die kurvenreiche Straße nach Spatharéi führt am Nordwesthang des Profitis Ilias entlang und bietet uns nach etwa zwei Dritteln der Strecke einen wunderschönen Blick auf das der Südküste vorgelagerte einsame Inselchen Samiopoúla. Eine Gemeindeverwaltung mit Sinn für Romantik hat hier an exponierter Lage zwei gusseiserne Bänke extra für uns aufstellen lassen und so genießen wir, wie die langgezogene Bucht von Marathókambos im Licht der Abenddämmerung versinkt. |
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Samiopoúla größer... |
• Kallithéa und Drakéi
Am nächsten Tag haben wir erst einmal die Nase voll von stundenlangen Autofahrten und beschließen, uns den nahen, aber vom Rest der Insel weitgehend isolierten Bergdörfer zu widmen. Von Limnionás geht es Richtung Westen und nach wenigen Minuten befinden wir uns in einem weitläufigen Tal voller Olivenbäume – eingebettet in saftiggrünen Wiesen mit purpurrotem Klatschmohn und gelbem Löwenzahn, so weit das Auge reicht. Ein kurzer Abstecher in das nächstgelegene Agios Kyriaki erweist sich als eher unspektakulär: Lediglich ein öffentliches defektes Telefon am Ortseingang klingelt erbärmlich in die Landschaft, aber keiner schert sich drum, denn es ist Karfreitag, die griechischen Osterfeiertage haben begonnen und die Bewohner sind wahrscheinlich schon auf dem Weg zu ihren Verwandten. |
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Olivenhain bei Agios Kyriaki größer... |
Voller Mitleid mit dem armen Telefon setzen wir die Fahrt in das nächste Dorf Kallithéa fort. Abrupt vor dem Kafenion in einer engen Sackgasse werden wir ausgebremst und müssen zur Belustigung der dort sitzenden Rentner ein schweißtreibendes Wendemanöver vollziehen. In der Nähe des Feuerwehrhauses finden wir ein schattiges Plätzchen vor einem Bauernhaus, dessen Besitzer gerade auf einem Esel dahergeritten kommt. Höchst erfreut darüber, seine verschütteten Deutschkenntnisse mal wieder auszugraben, kommen wir sogleich ins Gespräch: Er sei lange Jahre im Ausland, zunächst in Belgien im Untertagebau, später bei BMW in München beschäftigt gewesen. Jetzt bezieht er verschiedene Pensionen und betreibt nebenher etwas Landwirtschaft. Selbstverständlich dürfen wir auf seinem Grundstück stehen bleiben und mein kleiner Sohn einmal auf seinem Esel sitzen. Vor soviel Dankbarkeit sind wir als unfreiwillige Vertreter des deutschen Sozialsystems ganz verlegen. Nur wenige Meter weiter bleiben wir vollends verduzt vor dem regulären Einsatzwagen der Feuerwehr von Kallithéa stehen. Ein Magirus-Deutz-Fahrzeug aus den 50er Jahren und jetzt kommt´s: Das Emblem der Freiwilligen Feuerwehr Speyer/Pfalz prangt auf den Türen. Das Brandenburger Tor und andere deutsche Antiquitäten bleiben uns dann zum Glück erspart – ein ganz normales griechisches Dorf am Feiertag. Nur die Rentner vor dem Kafenion grinsen immer noch vor sich her, als wir an ihnen vorbeistiefeln.
Zwischen Kallithéa und Drakéi werden wir von intakten Kiefernwäldern überrascht. Sie haben als einzige auf Sámos die große Feuersbrunst überlebt, weil sie das über 1400 Meter hohe Kérkis-Massiv vom Rest der Insel abschirmte. Unterwegs ergeben sich immer wieder traumhafte Ausblicke auf das benachbarte Ikaría und die Inselgruppe Foúrni. In Drakéi endet die Landstraße – wir sind in einem der abgelegendsten Orte von Sámos angekommen. Eine einzige Gasse führt vorbei an Ausflugslokalen mit nur wenig Abwechslung im Angebot. Doch dafür ist es hier konkurrenzlos günstig: Nur 12 € bezahlen wir diesmal für unser sättigendes Mahl. Das Dorf ist voll und ganz in Osterstimmung: Leute, die wir bereits zuvor in Kallithéa auf der Straße gesehen haben, tauchen auf einmal hier wieder auf. Man pendelt von Ort zu Ort, denn irgendwie sind alle miteinander verwandt. Am Ortseingang befindet sich die einzige Sehenswürdigkeit: Eine Kaikiwerft. Die mächtigen, geschwungenen Holzboote der griechischen Fischer werden hier immer noch in traditioneller Handarbeit gebaut. Vier Schiffe im Rohbau stehen mehr oder weniger unter freiem Himmel auf der Straße. |
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Landschaft bei Kallithéa größer... |
• Kokkári
Von den bedeutenden Ferienorten auf Sámos ist das am östlichen Bereich der Nordküste gelegene Kokkári am reizvollsten: Keine unansehnlichen Appartmentklötze verschandeln die wunderschöne Lage zwischen zwei kleinen malerischen Halbinseln. Nicht einmal eine befahrene Uferstraße hat es bis hierher geschafft. Die zum Teil recht geschmackvollen Tavernen und Bistros entlang der kleinen Hauptbucht teilen sich den ganzen Raum mit Pensionen und Fremdenzimmern direkt am Meer. Von einer kleinen Anhöhe aus bietet das Ensemble der durchweg gelungenen traditionellen Häuser zusammen mit der teilweise bebauten Halbinsel ein harmonisches Bild. Wir wählen das Restaurant Pizzeria 'KARIATIDA' (MEZEΔOΠΩΛEIO) direkt am Wasser. |
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Halbinsel vor Kokkári größer... |
Die Nähe zur Inselhauptstadt
• Vathý
sollte man natürlich ausnutzen und so beschließen wir, dort das archäologische Museum zu besuchen. Als wir endlich ankommen, ist es bereits zu spät, nämlich nach 15.00 Uhr und das Museum geschlossen. Was wir hätten sehen können, wäre durchaus beindruckend gewesen: U.a. die Originale der Genelaos-Gruppe aus dem Heraion, hölzerne (!) Überreste von Möbelstücken, Schiffsmodellen und Statuetten aus dem 6. bis 7. Jahrhundert v. Chr., Greifenköpfe und Bronzen. Die zweifellos größte Attraktion ist der Kouros von Sámos, eine archaische, fast fünf Meter hohe marmorne Kolossalstatue aus dem Heraion, deren Kopf erst 1984 entdeckt wurde. |
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Vathý (Zentrum) größer... |
Was gibt es sonst noch in Vathý zu sehen? Meines Erachtens wenig: Eine vorzeigbare Hafenpromenade mit leider überdimensionierten Fahrspuren, eine Einkaufsstraße (an Ostern ist da allerdings alles zu) und ein Fährhafen mit Verbindungen in alle Himmelsrichtungen bis aufs Festland. Als Urlaubsort halte ich Vathý für ungeeignet – zuviel Verkehr und wenig Beschauliches. Allenfalls der sich imposant auf einen Hügel hinauf ziehende Stadtteil Áno Vathý bietet mit seinen engen Gassen Ursprünglichkeit. Am schönsten zeigt sich Vathý aus der Ferne, wenn man auf der von Kokkári kommenden Straße in den Golf hineinfährt: Hat man den Kamm der Hügelkette erreicht, blickt man auf die von einem weißen Häusermeer und braun-roten Dächern beherrschte halbrunde Bucht. |
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Vathý größer... |
Ein schöner Tagesabschluss ist in der Regel ein Strandbesuch mit einem erfrischenden Bad. Da wir bereits in den östlichen Zipfel des Eilands vorgedrungen sind, drängt sich das Ufer von
• Psilí Ámmos
mit seinem superfeinen Sand geradezu auf. Am südlichen Stadtrand von Vathý geht es die Hauptstraße bis zum Pass hinauf und schon bald fahren wir über die grüne Weite der Flammári-Hochebene, von Siedlungen keine Spur mehr. Die Südküste ist relativ schnell erreicht, denn hier ist die schmalste Stelle der Insel. Schon bei der Anfahrt vorbei am Mykáli Beach und einer alten Saline passieren wir die getarnten Horchposten der griechischen Armee. Bei Psilí Ámmos trennt ein Kanal von stellenweise nur 1,3 Kilometer Breite das türkische Festland mit dem Kap Mykale von Sámos. Der Strand ist zwar überschaubar, bietet aber mit seinem sehr flachen Meereszugang, nahen Parkplätzen, Tavernen, Duschen und zahlreichen schattigen Bauminseln ungeahnte Vorzüge.
• Kastaneá, Kosmadéi und Lékka
Diese, teils winzigen Flecken erreichen wir am nächsten Tag auf unserer abschließenden Gebirgstour. Die Serpentinenstraße durchquert verbrannte Wälder, in denen sich blühender Ginster breit macht, feuchte Bachtäler und endet schließlich in über 800 Metern Höhe. Rund um das exponiert auf einem Hügel liegende Kosmadéi wird Weinbau betrieben. Die auf Sámos produzierte Menge an Rebensaft ist immens und nur dadurch zu erklären, dass jeder erdenklich Winkel bis in die Höhenlagen genutzt wird. Der berühmte süße Dessertwein spielt mittlerweile eine eher untergeordnete Rolle. Es werden überwiegend Muskattrauben zu trockenen Sorten ausgebaut und sind auf vielen Nachbarinseln erhältlich.
Weinberg bei Kosmadéi größer... |
Haus in Lékka größer... |
• Allgemeines zu Sámos
Man kann auf Sámos auch sehr gut baden – allerdings sind jahreszeitlich bedingte Temperaturgefälle mit einzukalkulieren. In den ersten Tagen unseres Aufenthaltes hatte das Meer in der Bucht von Marathókambos maximal 16°C. Natürlich geht man als vorbildlicher Vater auch mal da rein, erträgt die 10.000 Nadelstiche und kommt mit unbeeindruckter Miene wieder heraus, während Junior applaudiert und die griechischen Strandspaziergänger ehrfurchtsvolle Blicke werfen. Angenehm wurde es allerdings erst nach etwa einer Woche, als warme Strömungen zumindest das Oberflächenwasser auf über 20°C aufheizten.
Ein Ausflug in das antike Ephesos auf dem benachbarten türkischen Festland ist naheliegend und wird von Vathý aus auch angeboten. Aufgrund der unverschämten griechischen Hafensteuern (70%!) sind diese Touren jedoch unverhältnismäßig teuer und werden entsprechend selten gebucht. Dies ist natürlich beabsichtigt – es könnte ja zuviel Kaufkraft in der Türkei hängen bleiben. Wir haben diese Beutelschneiderei jedenfalls nicht mitgemacht.
Autofahren ist auf Sámos relativ unkompliziert. Im Großen und Ganzen fahren alle zivilisiert. Allerdings gibt es einige Langzeitbaustellen: Kilometer von schlecht gesicherten Gräben für neue Wasser- und Telefonleitungen, Sandpisten, auf denen schwere Straßenbaumaschinen arbeiten, während der Verkehr einfach weiterrollt. Die Benzinpreise lagen im Mai 2002 bei etwa 0,74 €/Liter Normal.
Während des griechischen Osterfestes (traditionell später als bei uns) haben Behörden und Banken geschlossen. Die Supermärkte in den Touristenzentren und Tavernen waren aber alle auf. Insbesondere der Koch in unserem Haus versetzte uns bereits morgens in Verzückung, als die Düfte von angebratenem Knoblauch heraufzogen. Nach Aussage des Kellners soll er der beste der ganzen Insel sein, mit langjähriger Erfahrung in Fünf-Sterne-Hotels. Der Auberginenauflauf à la Greca war auf jeden Fall die Wucht: Das Gemüse zusammen mit Lorbeerblättern, Piment, Zimt, Knoblauch, Schafskäse, süßen Tomaten in reichlich Olivenöl ausgebacken. Selbiger Kellner hat uns das Geheimnis natürlich nur verraten, weil wir ihm einen lebenden Skorpion geschenkt hatten, was einen echten Griechen zu ewigem Dank verpflichtet. Der Giftstachel hatte sich auf unserer Terrasse verlaufen und wird nun von ihm in einem Terrarium mit Hackfleisch gemästet.
Dies ist der erste von drei Berichten über meine Reise zu den ostägäischen Inseln. Weiterhin ist ein Beitrag über Pátmos, das Heiligtum der orthodoxen Kirche erschienen: 'Felsen der Apokalypse'. Der abschließende Beitrag, 'Das Sanatorium des Hippokrates', handelt von Kos, Insel der Sandstrände und Heimat des Asklipions.
Der Gesamtreisepreis von 4500 € ist natürlich sehr hoch, beinhaltet aber die Gesamtkosten für zwei Erwachsene und ein Kleinkind. Darin enthalten sind Flüge von Frankfurt nach Sámos und zurück von Kos nach Frankfurt, alle Schiffs-, Bus- und Taxitransfers, 19 Tage Mietwagen einschließlich Benzin, 18 Tage Aufenthalt in Appartements mit jeweils zwei Schlafzimmern, 5 Tage im gehobenen Mittelklassehotel, sämtliche Kosten für Verpflegung und Trinkgelder.
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