Titel Rebe

Nach zweimaligem Urlaub im Algarve war ich vor zwei Jahren dem dortigen Massentourismus reichlich überdrüssig geworden und wollte mir mit meiner Frau einen schon lange gehegten Wunschtraum erfüllen: Einmal die unbekannten Regionen dieses Landes erforschen. Viel von der dortigen Ursprünglichkeit gehört hatte ich ja schon, aber man traut sich halt nie so recht... Nach einiger Überzeugungskunst der Mitarbeiterin im Reisebüro hatten wir dann über den Topanbieter OLIMAR einen 14-Tage-Trip inklusive Mietwagen ab Porto und Hotel im Küstenort Esposende gebucht. Wie überall in Portugal sind Mietwagen dringend zu empfehlen, wenn man nicht gerade auf Radtour ist und im europäischen Vergleich außergewöhnlich günstig.

Weinbau aus einer anderen Zeit

Kornspeicher

Der Transfer von Porto aus verlief weitgehend unproblematisch, lediglich die üblichen Samstagsmärkte der Bauern mit ihren preisgünstigen Erzeugnissen an den Rändern der Landstraße sorgten für einige Staus. Esposende ist eine eher unspektakuläre Kleinstadt an einer Flussmündung mit zahlreichen Unterkünften für Wochenendurlauber und kilometerlangen Dünenstränden. Organisierter Tourismus mit all seinen Begleiterscheinungen wie Nachtclubs, Autoverleihen, Reiseagenturen, Hotelanlagen spielt eine völlig untergeordnete Rolle in dieser Region. Unser Hotel (gute Mittelklasse, im Top-Zustand, porentief sauber) war denn auch folglich viele Kilometer vorher schon ausgeschildert. Einziger Wermutstropfen während des gesamten Aufenthalts war das nervtötende nächtliche Nebelhorn und ehrlich: Nordportugal zieht im Küstenbereich die Nebelschwaden nur so an!

Steinerne Kornspeicher

Flusslandschaft

Ansonsten eignet sich dieser Abschnitt hervorragend als Ausgangspunkt für Tagesausflüge in den Norden bis zur galizischen Grenze und den Nationalpark Peneda-Geres, in den Süden bis Porto oder ins Landesinnere. Wirklich überrascht war ich vom metropolitanischen Flair der Städte Braga und Guimaraes, weitaus gewachsener und behaglicher als die meisten Orte dieser Größenordnung in Deutschland. Prachtvolle Boulevards mit historischen Häuserzeilen münden in Plätzen mit aufwendigen Wasserspielen und Caféhäusern im Jahrhundertwendestil. Schon die portugiesischen Jugendlichen sitzen zusammen mit Landsleuten aller Altersklassen nach der Schule stundenlang in solchen Etablissements und demonstrieren iberische Gelassenheit. Als Tourist ist man wirklich noch in der absoluten Minderheit und freut sich über die üppigen Süßspeisen, den frisch zu bereiteten Bica, der portugiesischen Variante des Espresso, und seinen unglaublich günstigen Preis von umgerechnet 80 Pfennig.

Flusslandschaft

Auf den Fahrten zwischen den einzelnen Tageszielen beeindruckt immer wieder die überaus grüne und blühende Gartenlandschaft: Gemüsebeete, Olivenhaine, Getreidefelder, Weinbau auf engstem Raum wechseln sich ab. Jeder Flecken Land wird intensiv genutzt und seine Produkte erhält man vom Bauer häufig direkt an der Straße. Überhaupt der Wein: Wir fahren durch das Mutterland des Vinho Verde, zusammen mit dem Dourotal die bedeutendste Weinbauregion Portugals. Der Name Vinho Verde ist etwas irreführend, da nicht etwa grüner sondern ein Synonym für den jungen Wein gemeint ist. Vinho Verde Branco ist inzwischen auch in Deutschland gut bekannt und überall zu kaufen, doch das Angebot und die Qualität in seiner Ursprungregion zieht selbst Kenner aus Frankreich herüber. Auf einer Tagestour in den Norden habe ich die rote Variante dieses stark moussierenden Gebräus von einem Hobbywinzer abgekauft, welche aus gutem Grund bei uns so gut wie gar nicht erhältlich ist: Der hohe Gerbstoffgehalt macht den Tinto sehr gewöhnungsbedürftig. Ähnlich wie beim hessischen Apfelwein kostet es einiges an Überwindungskraft, bis sich der ersehnte Wohlgeschmack einstellt. Aber dann...

Bahnhof

Wer schon Nordportugal ansteuert, kommt an Porto, der Namensgeberin des ganzen Landes und des weltberühmten Likörweins der Spitzenklasse nicht vorbei. Es ist kaum vorstellbar, wie eine Stadt mit 'nur' 300.000 Einwohnern einen solchen Metropolencharakter entwickeln konnte. In zweierlei Hinsicht erinnert die Stadt an die imperiale Vergangenheit Portugals: Zum einen ist da der Reichtum, der sich in den Jahrhunderten der eigenen Kolonialherrschaft angesammelt hat. Zum anderen ist die wirtschaftliche Vormachtstellung der Briten nach dem Zerfall des portugiesischen Weltreiches nirgendwo so deutlich zu sehen wie hier.

Bahnhof Sao Bento

Altstadt

Eins vorweg: An einem Tag ist diese Stadt nicht zu bewältigen. Am besten, man lässt das Auto stehen, setzt sich in einen preisgünstigen Regionalzug und fährt bis Sao Bento, einem der traumhaften, mit riesigen Azulejogemälden ausgeschmückten Jahrhundertwendebahnhöfe. Von dort sind es nur wenige Minuten zu Fuß zu den Sehenswürdigkeiten in der Innenstadt.

Altstadtviertel am Rio Douro

Bruecke1

Ähnlich wie Lissabon ist Porto auf zahlreichen Hügeln erbaut. Der Blick von freien Plätzen aus in die bergauf und bergab verlaufenden Straßenschluchten mit ihren geschlossenen Häuserfronten aus vergangenen Zeiten ist unvergesslich. Wer schwindelfrei ist, sollte den Rio Douro per Stahlbrücke nach Vila Nova de Gaia überqueren. Das Wunderwerk von 1886 erinnert in vielen Details an den Pariser Eiffelturm, wurde auch tatsächlich von einem Schüler des französischen Ingenieurs erbaut und schwankt deutlich spürbar unter dem doppelstöckigen Autoverkehr - ein mulmiges und zugleich erhabenes Gefühl.

Stahlbrücke über den Rio Douro

Auf der anderen Seite angekommen zieht eine unsichtbare Kraft den Genießer in Richtung Portweinkellereien. Mit den am Ufer befestigten Segelschiffen wird der junge Wein noch heute aus seinen Anbaugebieten am Oberlauf des Rio Douro zu Endverschnitt und -lagerung in die Stadt gebracht. Ein wahrhaft unüberschaubares Meer von langgezogenen Lagergebäuden zieht sich den Hang am Douro-Ufer hinauf. Eine Führung mit anschließender Probe ist Pflicht, die Auswahl an Kellereien ist so groß, dass zu jeder Tageszeit immer irgendwo gerade ein Rundgang beginnt. Man sollte sich jedoch nicht von kostenpflichtigen Weinproben in Ufernähe ködern lassen, die meisten Kellereien bieten diesen Service, so wie sich das gehört, auch umsonst.

Faesser

Portweinfässer auf dem Rio Douro

Laden

Wer es zeitlich nicht in die Nachbarstadt Vila Nova schafft, kann natürlich in einem der zahlreichen Spirituosenläden in der Stadt aus einem überwältigenden Angebot von preiswerten Ruby- und Tawny-Verschnitten bis hin zu extrem seltenen Jahrgängen zu Sammlerpreisen auswählen. Ich hatte das Glück, einen idyllischen Krämerladen mit uralter Einrichtung und dem dazu passenden Besitzer zu entdecken. Mit akribischer Geduld wurde jeder noch so billige Einkauf fein säuberlich in Packpapier verschnürt und liebevoll mit einem Tragegriff versehen.

Krämerladen in Porto

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Majestic Café
Majestic Café

Ein Abstecher zur Sé, der Kathedrale Portos und in das unterhalb gelegene gleichnamige Altstadtviertel lohnt sich, trotz der regen Bautätigkeit infolge des fortgeschrittenen Zerfalls vieler Häuser, immer.

Das berühmteste Caféhaus Nordportugals befindet sich ebenfalls in dieser Stadt. Das Majestic liegt mitten auf einer Einkaufsstraße, ist nur wenig teurer als der Durchschnitt und besticht mit einer überwältigenden Jugendstileinrichtung und stilechtem Service der livrierten Kellner. Sehenswert ist auch die eigene Website dieser traditionellen Einrichtung in portugiesischer, französischer und englischer Sprache mit historischem Rückblick und herrlicher Bildergalerie.

Hotel

Die bäuerliche Küche Nordportugals besteht, neben den einheimischen Gemüsesorten, die zu jedem Hauptgericht reichlich gehäuft werden, im wesentlichen aus den mannigfaltigen Zubereitungsweisen des Bacalhau, so wird der meist vor Neufundland gefangene Kabeljau genannt. In der Tat bietet jedes Restaurant andere Rezepte dieses Volksnahrungsmittels. Zuvor wird der getrocknete Fisch einen Tag lang eingeweicht, um ihn dann in der Regel in Auflaufformen mit großen Mengen (schwitz!) von Zwiebeln, Knoblauch, Tomaten und Koriander zu garen. Gegrillter frischer Fisch ist ein Luxus und oftmals nur direkt an der Küste erhältlich. Kein Wunder, fehlen hier doch eindeutig die zahlungskräftigen Touristen wie im Algarve.

Der Charme des Verfalls

Zur Aufklärung: Häufig wird in Reisebüros die Region Minho auch als Costa Verde verkauft. Hierbei handelt es sich aber lediglich um einen schmalen Küstenabschnitt im Westen. Das eigentlich interessantere Hinterland fällt dabei bedauerlicherweise unter den Tisch. Verwaltungstechnisch taucht der Begriff Minho genauso wenig auf, wie Algarve. Mein Tipp für alle, die sich bisher auf Algarve beschränkt haben: Die ursprüngliche portugiesische Lebensweise und Kultur findet sich dort kaum noch, auch wenn man dort sicherlich einen angenehmen Urlaub verbringen kann. Kein Wunder, wenn die Anzahl der Touristen und Ausländer mit Erst- und Zweitwohnsitz die der Einheimischen um ein Mehrfaches übersteigt. Also fahrt in den Norden und natürlich auch in alle übrigen Landesteile...