Kardámena

Jenseits der englischen Invasion

Es ist geradezu verblüffend, wie unterschiedlich der jeweilige Blickwinkel die Wahrnehmung einer Landschaft beeinflusst. Hatten wir 2002 in der Nähe von Mármari noch den Eindruck auf einer Insel mit weiten flachen Ebenen gelandet zu sein, so erfassen wir nun mit dem Blick von der Speiseterrasse unseres Hotels über die Südküste eine eher klassische gebirgige Ägäiskulisse. Über dem Meereshorizont erhebt sich eindrucksvoll die Silhouette von Níssyros. Eigentlich wollten wir ja nie hierher – zu abschreckend waren die Berichte über die Eskapaden englischer Sauftouristen. Allzu groß war das Angebot akzeptabler und bezahlbarer Anlagen aber auch nicht mehr und so fiel unsere Wahl auf das relativ neue Grand Blue Beach etwas außerhalb von Kardámena. Die Bewertungen auf einschlägigen Portalen wie Booking.com waren überwiegend gut mit einigen Anlaufschwierigkeiten im Servicebereich.

Kardámena Auf das All-inclusive-Paket haben wir dann aber verzichtet und uns auch von der freundlichen Rezeptionistin nicht im Nachhinein dazu überreden lassen. Schließlich gibt es auch noch ein Leben außerhalb von Hotelanlagen – nicht nur für uns, sondern auch für die übrigen nicht am großen Geschäft der Pauschalreisen beteiligten Bewohner von Kos. So eine Taverne wie Posidonia am westlichen Ortseingang mit direktem Zugang zum Meer bietet nicht nur den für Großküchen unerreichbar authentischen Geschmack, sondern bereitet den Gästen einen herzlichen Empfang, den sie so schnell nicht vergessen werden. Obendrein gibt es noch einen kostenlosen Crashkurs in Griechisch: „Το λογαριασμό παρακαλώ!“ Nicht zu verwechseln mit „Το νομοσχέδιο παρακαλώ!“, einem völlig misslungenen Vorschlag des Microsoft Translators, was für schallendes Gelächter bei unserem Einheimischen sorgt und in etwa so viel bedeutet wie „Die Gesetzesvorlage bitte!“. Und doch sind es genau diese landestypischen Lokale, die derzeit am stärksten vom Trend zu All-inclusive-Reisen in ihrer Existenz bedroht werden. Schlendert man heute in den Abendstunden durch Kardámena, so ist kaum vorstellbar, wie all die Pubs, Tavernen und Snackbars jemals ihre Kapazitäten ausschöpfen wollen. Nicht einmal das WM-Halbfinale mit englischer Beteiligung – ein wahrhaft epochales Ereignis in der Geschichte des Fußballs – vermag es, das volle Sitzplatzangebot zum Public Viewing auszuschöpfen. Vielleicht war es zu Belagerungszeiten tatsächlich mal anders. Heute aber habe ich eher den Eindruck eines beschaulichen Touristenstädtchens, umgeben von einigen größeren Hotelanlagen.

Eine davon ist wie gesagt unsere und liegt direkt am Strand, welcher zwar relativ schmal, dafür aber sandig ausfällt und in regelmäßigen Abständen von ausladenden Tamarisken beschattet wird. Das ist deutlich angenehmer, als unter einem der umkämpften Sonnenschirme an den sterilen Hotelpools zu sitzen. Zudem ist das Wasser wunderbar klar und eignet sich aufgrund der schwachen Brandung bestens zum Schwimmen und Beobachten der zutraulichen Fischschwärme.

Eine öffentliche Bushaltestelle gibt es übrigens auch: Von dort erreicht man in 10 Minuten den nahe gelegenen Flughafen und nach einer guten Dreiviertelstunde am nordöstlichen Ende der Insel

Kos-Stadt.

Nach dem Erdbeben

Die unmittelbar vor der türkischen Küste liegenden griechischen Inseln Lesbos, Samos und auch Kos waren durch die Flüchtlingskrise von 2015 besonders stark betroffen. Die täglichen Bilder der am Strand lagernden erschöpften Schlauchbootinsassen führten zwar zu spontanen Hilfsleistungen anwesender Touristen, hatten aber im Gegensatz zum allgemeinen Reiseboom nach der Griechenlandkrise auch negative Auswirkungen auf die dortigen Übernachtungszahlen. Im Jahr darauf kam es gar zu gewalttätigen Ausschreitungen zwischen Einheimischen und der Polizei, als ein Registrierzentrum errichtet werden sollte. Angesichts solcher Ereignisse verwundert uns doch, dass kaum zwei Jahre danach weder Spuren der Unterbringung noch einzelne Flüchtlinge im Straßenbild zu sehen sind.

Kos-Stadt - Agora Zu allem Überfluss sorgte dann auch noch ein Seebeben am 21. Juli 2017, also vor genau einem Jahr, nicht nur auf Kos, sondern auch im benachbarten Bodrum für Verwüstungen. Folglich komme ich heute mit einem gemischten Gefühl hier an und frage mich, welche der historischen Relikte wohl in Mitleidenschaft gezogen wurden. In der zentral gelegenen Agora, einem wunderschönen weitläufigen Gelände zum Entdecken und Verweilen (siehe Bericht von 2002) fällt zunächst nichts auf. Ein paar Säulen liegen, wie so häufig in Ausgrabungsstätten, auf dem Boden herum. Erst bei näherer Betrachtung sehe ich, dass es aus einer Verankerung gerissene Rekonstruktionen sind. Viele für sich eindrucksvolle Fragmente ergeben allerdings keinen archäologischen Zusammenhang. Als ich unter der sengenden Mittagssonne in den östlichen Bereich vordringe, erkenne ich Sicherungsmaßnahmen an einer Basilikaruine.

Defterdar-Moschee (1725) mit zerstörtem Minarett und Reinigungsbrunnen Auf dem weiteren Weg außerhalb der Agora kommen wir an der Hadji-Hassan-Moschee vorbei. Das Gelände ist abgesperrt, kunstvolle steinerne Ornamente an den Fenstern sind herunter gebröckelt. Der Reinigungsbrunnen hinter dem Gebetshaus ist nur noch ein Trümmerhaufen. Durch das Mauerwerk des erhaltenen ‚Tores der Steuern‘ der mittelalterlichen Stadtmauer ziehen sich beängstigende Risse. Es musste durch Stahlträger abgestützt werden, den Sicherungsarbeiten fielen die prächtigen Bougainvilleen, die das gesamte Portal einst überwucherten, zum Opfer. Am schlimmsten hat es die Defterdar-Moschee (1725) erwischt: Das Minarett ist eingestürzt und nur noch durch den viereckigen Sockel lokalisierbar. Der Reinigungsbrunnen auf dem Platz davor ist bis auf das achteckige Wasserbecken nahezu verschwunden. Am südlichen Ende der Platía Eleftherías erhebt sich die Markthalle von 1934, deren Angebot sich überwiegend am Bedarf der Touristen orientiert. Als wir auf der anderen Seite wieder ans Tageslicht gelangen, erblicken wir die von schweren Mauerrissen übersäte Apsis der Agía Paraskeví, der Bischofkirche aus den 30er Jahren.

Auf dem Weg zum westlichen Grabungsgelände passieren wir an der Odós Tsaldári einen Altar mit der Büste Alexander des Großen und einer Inschrift, welche eine seiner Reden wiedergibt. Solche Standbilder wurden in den 90er Jahren überall in Griechenland errichtet, als einige Radikale aus der neu gegründeten ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien Ansprüche auf Thessaloniki erhoben.

Kos-Stadt - westliches Grabungsgelände (Decumana) Mit seiner Decumana, einer hervorragend erhaltenen römischen Straße, hatte mich die antike Stätte bei meinem Erstbesuch schwer beeindruckt. Sie ist weiterhin zugänglich, wird inzwischen aber beaufsichtigt: Als die ersten Besucher auf Mauern steigen, ertönt eine gellende Trillerpfeife, danach erfolgt eine energische Ansage, dass das gefälligst zu unterbleiben hat. Als wir von oberhalb der Straße einen Blick auf die rekonstruierten Säulen der Wandelhalle werfen wollen, sehen wir, warum: Nahezu alle sind umgestürzt. An den Bruchstellen erkennt man, dass es glücklicherweise nur Betonattrappen waren.

Oberhalb des Geländes verläuft die Odós Grigoríou E, von wo ein Weg zum Odeon abzweigt. Im römischen Musiktheater scheinen noch alle Steine aufeinander zu liegen – man kann sogar die Gewölbe unterhalb der Zuschauerränge betreten.

Die Johanniterfestung Neratzia, eine der historischen Höhepunkte von Kos aus dem 14. Jahrhundert, ist aufgrund der Erdbebenschäden derzeit nicht mehr zugänglich. Schade, denn auf dem riesigen verwilderten Gelände sind zahllose verbaute antike Fragmente zu entdecken. Zum Glück haben wir es damals ausgiebig erkundet (Festung Neratzia 2002)

Zusammengefasst ist die Bestandsaufnahme ernüchternd und man kann nur hoffen, dass die Mittel zur Wiederherstellung der historischen Bausubstanz zur Verfügung stehen.

Mehr als Kos-Stadt gibt das örtliche Busnetz nicht her und so entschließen wir uns doch, für die nächsten vier Tage ein Auto zu leihen. Mit einem großräumigen Siebensitzer, dem einzig spontan verfügbaren Gefährt bei SmartRental poltern wir hoch nach

Pýli.

Pýli - antiker Brunnen Im heutigen belebten Bergdorf (die verlassene Geisterortschaft folgt weiter unten) fahren wir zunächst in den oberen alten Teil und folgen den Hinweisschildern zum Dorfbrunnen aus dem 16. Jahrhundert. In unmittelbarer Nachbarschaft steht immer noch die idyllische Taverne 'To Palía Pigí', die aber leider noch nicht geöffnet hat. Hier sehen wir zum ersten Mal seit unserer Ankunft eine Flüchtlingsfamilie aus dem Nahen Osten im Schatten sitzend, deren Kinder am Quellwasser plantschen, während an den anderen Wasserauslässen wie eh und je Einheimische ihre Vorräte auffüllen. Wir lassen den Wagen hier stehen und laufen zurück zur Platia und in die dortige Taverna Drosos. Ich bestelle Revithokeftedes, die griechische Variante der Falafel. Die Kichererbsenpuffer kommen zusammen mit geschnittenen vollreifen Tomaten – ein Gedicht! Dazu ein frisches Alfa vom Fass – so könnte der Nachmittag weiter laufen. Aber nein, wir haben noch viel vor.

In unmittelbarer Nachbarschaft hat ein im traditionellen Stil eingerichtetes Haus geöffnet. Das kleine Museum zeigt, wie noch vor rund 100 Jahren einheimische Familien in lediglich drei beengten Räumen – Wohn- und Schlafzimmer, Küche – mit bescheidenem Komfort lebten. Möblierung und die Alltagsutensilien sind authentisch.

Das Grab des Harmýlos - und wieder reingefallen

Pýli - verfallenes Haus am Grab des Harmýlos Um zum antiken Grab des Harmýlos zu gelangen müssen wir etwas suchen. Die Hinweisschilder führen uns bis zum östlichen Ortsrand. Wir grüßen einen älteren Herrn, der im Schatten seines Gartens sitzt und zurück winkt. Kaum sind wir am Ziel angelangt, steht er auch schon vor der kleinen Kapelle Stavroú oberhalb der antiken Stätte und winkt uns freudig herbei. Nun dämmert es langsam … das hatten wir schon mal vor 16 Jahren und ich bin mir sicher, es war der selbe Mann. Eigentlich wollten wir ja nur das Tonnengrab anschauen, aber wir haben keine Wahl: Also hinein in die Kapelle, bewundernde Worte gefunden, Kerzen angezündet, in den Klingelkorb gespendet und als Dank noch etwas frisches Obst erhalten. Das nicht mehr bewohnte Nachbarhaus hätten seine Eltern gebaut, so erzählt er. Damit verbunden ist dann wohl auch das unverbriefte Recht der Oberaufsicht über Kapelle und Grab. Hat er uns wieder dran gekriegt …

Weiter oben in

Paleó Pýli

Paleó Pýli - Panagía Kastrianón geht die Wegelagerei munter weiter: Ein stolzer Grieche in traditioneller Uniform versperrt uns den Aufstieg zum verfallenen Dorf und zu Burgruine. Natürlich ist er nicht echt, sondern posiert nur für besonders originelle Urlaubsbilder. Als Dank für den fälligen Obolus gibt es obendrauf ein paar selbst gesammelte Kräuterdüfte – erst dann dürfen wir weiter. Die Grundmauern der Häuser sind weitgehend unverändert, soweit ich das beurteilen kann. Nach wenigen Minuten kommen wir an der Asómati Taxiárches Gavriíl ke Miachaíl, einer der beiden noch erhaltenen Kapellen an. Sie ist leider verschlossen. Eindrucksvoller erhebt sich die Panagía Kastrianón weiter oben auf einem kleinen Plateau: Ihr Portal ist von zwei antiken Marmorsäulen umrahmt. Für einen Kirchturm hat es nicht gereicht, daher wurde die Glocke praktischerweise am gegenüberliegenden Baum aufgehängt. Von hier aus sollte am östlichen Hang ein Weg zur Burg hinauf führen, doch der Einstieg ist unauffindbar – vermutlich durch das Erdbeben verschüttet.

Wir beschließen stattdessen auf den gegenüberliegenden Hügel zu klettern. Hier lockt ein kleines Lokal mit hausgemachter Limonade und einer grandiosen Aussicht auf den Burgberg – das gab es damals noch nicht.

Das wahrscheinlich atemberaubendste Café Griechenlands

Paleó Pýli - Café Oria Der Garten des Cafés Oria wurde mit seinen idyllischen Sitzplätzen auf mehreren Terrassen am Hang angelegt. Der Ausblick auf die Burganlage, in die nördliche Küstenebene und bis hinüber nach Kálymnos ist unbeschreiblich. Es ist die nahezu perfekte griechische Idylle. Wir sitzen unter einem mächtigen Feigenbaum, um uns herum blühende Oleander. Eine Etage höher wurde eine Grillanlage mit Abzug in den Berg hineingebaut. Auf der Suche nach dem stillen Örtchen stoßen wir auf eine weitere Skurrilität: Die Toilette befindet sich unter freiem Himmel hinter einer Holztür, uneinsehbar zwischen zwei mächtigen Felsen. Nichts geht über ein menschliches Bedürfnis in freier Natur, wenn darüber auch noch majestätisch die griechische Fahne weht.

Auf der Suche nach dem Einstieg zum Aufstieg

Paleó Pýli - byzantinische Burgruine Nach Rücksprache mit dem Besitzer ergibt sich doch noch eine Aufstiegsmöglichkeit an der Südwestflanke des Burgbergs. Ich erinnere mich wieder, diesen Weg schon einmal genommen zu haben: Die Zyklopenstufen, das Backsteingewölbe ... dazwischen mitten auf dem Weg ein antiker Marmorsims. Diesen muss es wohl erst kürzlich hierher verschlagen haben. Oben angekommen belohnt der grandiose Blick auf Kálymnos, Psérimos und die Halbinsel von Bodrum, auf der gegenüberliegenden Seite das alte Dorf Pýli und das perfekt im Steilhang positionierte Kafenion. Doch bei genauem Hinsehen sind die Überreste nicht mehr wieder zu erkennen. Es fehlen große Teile der Außenmauern, sogar ganze Fensterstürze sind verschwunden. Eine Folge des letzten Erdbebens?

Asklípion

Das Heiligtum der Aufseherinnen

Asklípion - dorischer Tempel (2.Jh.v.Chr.) mit provisorischem Altar aus byzantinischer Zeit Auch an den antiken Stätten ist die Griechenlandkrise nicht spurlos vorbei gegangen. Das merken wir schon am Eingang zur größten Attraktion der Insel, als wir auf einmal den doppelten Preis zahlen. Schüler aus EU-Staaten haben immerhin freien Zugang und angesichts des riesigen Ausgrabungsgeländes sind 8 € immer noch gerechtfertigt. Dafür hat man jetzt viele energische Aufseherinnen mit Trillerpfeifen engagiert, die notorische Anarchisten daran hindern, auf Säulenpodesten zu posieren. Die Rekonstruktionszeichnungen auf den Schautafeln geben nur eine ungefähre Vorstellung von den monumentalen Ausmaßen der Säulenhallen. Des Weiteren sei auf die detaillierte Beschreibung der Anlage von 2002 (Das Sanatorium des Hippokrates) verwiesen. Neu ist jedoch ein Ausstellungsgebäude oberhalb der Thermen südöstlich des Geländes. Als ich es betrete, ist mir sofort eine der jungen Damen auf den Versen, welche zuvor tratschend vor dem Eingang saßen. Kein Wunder: Im Inneren werden zahlreiche steinerne Schrifttafeln präsentiert, teils im handlichen Format für den Rucksack.

Plataní

Speisen bei griechischen Türken

Als wir am frühen Nachmittag das erstbeste Lokal im Dorf betreten, ist noch nicht viel los. Der Wirt des sehr geräumigen Etablissements hat offensichtlich keine Speisekarte und bittet uns freundlich in seine Küche. So wie es früher in griechischen Tavernen üblich war, blicken wir in jeden einzelnen Topf und lassen uns erklären, was darin vor sich hin köchelt. Die Dolmades sind heiß, der Reis mit Mandeln, geschmorte Auberginen, gefüllte Zucchiniblüten und die Okraschoten sind für die griechische Küche eher ungewöhnlich und schnell stellt sich heraus, dass wir in einem der Ausflugslokale mit türkischstämmigen Besitzern gelandet sind. Bald füllt sich das Etablissement mit griechischen Urlaubern, die es offensichtlich direkt vom Strand hier hoch verschlagen hat.

Plataní - muslimischer Friedhof Auf dem Rückweg nehmen wir eine der Straßen Richtung Kos-Stadt und halten am muslimischen Friedhof. Der ist im Gegensatz zum jüdischen geöffnet und trotz der sengenden Hitze einen Besuch wert. Unzählige Grabsteine in Schwertform mit arabischen Inschriften stecken dicht nebeneinander im Boden und zeugen von der langen Geschichte der türkischen Bewohner von Kos.

Ágios Jánnis

Kéfalos - Ágios Jánnis Da hat man uns 16 Jahre nach unserem ersten Besuch doch tatsächlich die Straße erneuert. Zumindest der kurz hinter Kefalos beginnende Abschnitt lässt mit seinem schwarzen Band aus feinstem Asphalt auf eine angenehme Ausflugsfahrt zum alten Kloster hoffen. Doch irgendwann müssen dafür die EU-Mittel ausgegangen sein, denn einige hundert Meter vor dem inzwischen gesperrten Abzweig zur Radaranlage treffen wir auf den alten, nur noch in Artefakten vorhandenen Belag und es beginnt eine beispiellose Schlaglochorgie. Der Gegenverkehr hält sich zum Glück in Grenzen und bald erreichen wir unbeschadet den Parkplatz. Na so was, schon so viele Touristen hier? Und wozu der Bagger? Am Treppenabgang sehen wir, dass größere Bauarbeiten im Gang sind. Die ehemals verfallene Klosteranlage wird generalüberholt: Neuer Bodenbelag, Farbanstriche und eine Terrassenerweiterung. Im hinteren Bereich sorgt eine Cafeteria für geordnete Verhältnisse. Die Zeiten des wilden Picknicks scheinen vorbei. Das Innere der kleinen Kapelle erstrahlt in kräftigen Ikonenmalereien und die Zellentrakte sind renoviert, als ob morgen eine Schar Mönche hier einziehen würde. Somit hat man reichlich Platz für die regelmäßigen Wallfahrten geschaffen. Bei aller Freude über die Erhaltungsmaßnahmen an dieser historischen Stätte bleibt ein fader Beigeschmack: Der morbide Charme an diesem abgelegenen Ort ist unwiederbringlich verloren. Immerhin stapfen ein paar Ziegen so wie früher unbehelligt durch die Anlage.

Ágios Stéfanos

Kéfalos - Ágios Stéfanos (Insel Kástri) ist ein eigentlich gesichtsloser Ort an einer wunderschönen Bucht mit Sandstrand. Veredelt wird die Szenerie durch die kleine Insel Kástri mit ihrer Kapelle Ágios Nikólaos und die malerischen Ruinen der frühchristlichen Basilika. Vor 16 Jahren hatte ich Leib und Leben riskiert, um dorthin zu gelangen, mich durch Seegräser gekämpft, war den Seeigeln knapp entgangen und über glitschige Steine gerutscht. Wenn man jedoch den richtigen Ausgangspunkt am Strand wählt, geht es auch einfacher: Fast die Hälfte der Strecke lege ich im flachen Wasser watend zurück, bevor ich anfange zu schwimmen. Der Landgang auf der anderen Seite ist nach wie vor rutschig, dann stehen wir auf dem Kiesstrand direkt vor dem Felsen. Von hier geht es nur auf allen Vieren aufwärts, bevor wir triumphierend vor der Kapelle stehen.

Lagoúdi

Lagoúdi - 'The beautiful Greece' Das Künstlercafé 'The beautyful Greece' existiert immer noch: Der blühende Garten der Flämin Christina Zenteli hat sich in den letzten 16 Jahren zu einer Oase prächtiger Bougainvilleen, Palmen und Olivenbäumen mit liebevoll gestalteten Ausstellungsnischen entwickelt. Prachtvolle Schmetterlinge laben sich am üppigen Angebot aus Blütenstaub. Einige neue Gebäudeteile aus Bruchstein sind hinzugekommen und umgeben eine Terrasse und ein kleines Badezimmer (nicht zugänglicher Privatbereich) mit Panoramablick auf die Nordküste, Kalymnos und Bodrum. Ein Ort der Ruhe und Besinnlichkeit: Im Hintergrund läuft klassische Musik, zu der Frau Zenteli vergnügt trällert, überall im Haus und im Garten gibt es kleine Kunstwerke zu entdecken. Eine kleine Speisekarte offeriert griechische Snacks, heiße und kalte Getränke. Zum Anwesen gehören mittlerweile vermietete Apartments mit eigenem Garten.

Asfendiou - Weinkellerei Hatziemmanouil Auf dem Rückweg über die Hauptverbindungsstraße Kos-Kefalos legen wir einen Zwischenstopp bei der Weinkellerei Hatziemmanouil in Asfendiou ein. Das zwischen Palmen und Weinlagen eingebettete Empfangsgebäude macht einen sehr einladenden Eindruck. Innen empfängt uns eine aparte Mitarbeiterin im modernen Interieur mit Probiertresen und Sitzecken unter Weinlauben nebst einem malerischen Blick in die Trauben. Der Keller mit modernster Edelstahltechnik und einem separaten Barriquelager ist frei zugänglich. Hinter dem Haus sieht man noch die alten Betonbecken, in denen früher mit den Füßen die Beeren gestampft wurden.

Das Dorf

Andimáchia

Andimáchia - Kastell (Agios Nikolaos) lassen wir heute mal links liegen (siehe Bericht von 2002) und fahren direkt zur alten Johanniterfestung. Wenn man diese Mauern und die umgebende Landschaft während der üppigen Blütenpracht des Frühlingsmonats Mai gesehen hat, dann kann man kaum glauben, dass zwei Monate später davon nichts mehr zu sehen ist. Die umliegenden Ebenen und zerklüfteten Erosionstäler sind von erbarmungsloser Dürre gezeichnet. Selbst die sonst hartgesottenen Oliven wirken größtenteils vertrocknet und entlaubt. Und trotzdem weiden in unmittelbarer Nähe ganze Herden von genügsamen Ziegen und begnügen sich mit jämmerlichen Resten von Gräsern und stacheligem Buschwerk. Auch architektonisch bietet die Burganlage ein Bild des Zerfalls. An vielen Stellen sind Teile der Außenmauern eingestürzt. Der bis vor wenigen Jahren noch betriebene Verkaufskiosk bietet ein Bild des Verfalls: Die Inneneinrichtung verwüstet und von Hinterlassenschaften nächtigender Ziegen übersät. Die Kapelle mit ihrer ebenerdigen Außenglocke ist verschlossen. Das Licht der Abendsonne taucht die von der Hitze geschundene Landschaft in samtweiche Kontraste. Immerhin wird der hölzerne Laufsteg hinter dem monumentalen Zugangsbollwerk gerade von einem Arbeiter instandgesetzt. Es bleibt genügend Zeit, so dass er in seiner Co-Funktion als Burgmeister jeden Besucher mit einem Gläschen Orangensaft mit Ouzo begrüßt. Da offiziell keine Eintrittspreise erhoben werden, belassen wir es somit bei einem Obolus für sein einsames Tagewerk.

An diesem Abend steht auch die Rückgabe unseres inzwischen zum nagelneuen kompakten Nissan Micra mutierten Leihwagens an. Entgegen der ursprünglichen Vereinbarung sollen wir anstatt mit einem Mitarbeiter nun einfach selbst damit zum Hotel zurückfahren und dann den Schlüssel unter die Fußmatte (!) legen. Als ich den gut gelaunten Mann von der Vermietung wohl etwas irritiert anschaue, meint er nur grinsend: „It’s Greece, hehe!“ Okay, es ist eine Insel und so einfach kommt man da man geklautem PKW wohl nicht weg …