Man kann wahrlich behaupten, den kulturellen Höhepunkt erreicht zu haben, sofern die Stadt an der Etsch in das Exkursionsprogramm Gardasee Einzug gehalten hat. Natürlich ist auch für uns die großartige Arena, das römische Amphitheater, welches fast 2000 Jahre nach seiner Entstehung nach wie vor regelmäßig bis zu 22.000 Zuschauer aufnimmt, der Hauptanziehungspunkt. Die günstigere Verkehrssituation im Umkreis der Großstadt lässt die Anreise an einem Sonntag sinnvoll erscheinen.

Bereits nach dem Passieren des Stadttores (Portoni della Brà) erreichen wir die weitläufige Piazza Brà mit dem ovalen Rund des Theaters im Hintergrund. Ganze vier Arkaden der einst monumentalen, den eigentlichen Tribünenbau umgebenden Marmoraußenmauer sind erhalten geblieben, nachdem ein Erdbeben den Ring zu einem billigen innerstädtischen Steinbruch werden ließ. In seinem nahezu vollständig erhaltenen Innenraum erlebt das Theater jedoch bis heute kolossale Opernaufführungen und bietet insbesondere antiken Stoffen wie Aida ein authentisches Bühnenbild. Auch die riesigen Gewölbe unterhalb der Zuschauerränge sind vollkommen intakt und stehen in ihrer perfekten Funktionalität modernen Stadienbauten in nichts nach.

Geradezu magischer Anziehungskraft erfreut sich die Casa di Giulietta in der Via Cappello. An diesem Ort soll einst Shakespeares tragische Geschichte gespielt haben, was bis heute junge Paare zu Abertausenden nach Verona und ausschließlich in diesen Innenhof pilgern lässt, um wenigstens einmal der Angebetenen auf dem Balkon zuzuwinken. Während dort mittlerweile dem Vandalismus Einhalt geboten wurde, gibt der Eingang zur Straße mit seinem von zahlreichen Filzstiftgraffitischichten und Kaugummis übersäten Mauerwerk und den unsäglichen Vorhängeschlössern, mit denen Europa weit ganze Brücken an ihre statische Belastungsgrenze gebracht wurden, ein eher trauriges Bild ab. Schnell verlassen wir diesen Platz des kollektiven Wahnsinns und wenden uns schöneren Orten zu, z.B. der Etsch ...

Zunächst aber überqueren wir die Piazza delle Erbe mit der Fontana di Madonna Verona in der Mitte, den Ort des früheren Forum Romanum. An der Nordwestseite erheben sich der Palazzo Maffei und der Torre del Gardello, davor thront der Löwe von San Marco auf seiner Marmorsäule. Über eine kleine Verbindungsgasse mit zwei Bögen erreichen wir die Piazza dei Signori, an deren Rand sich auf einem tieferen Niveau noch original römisches Straßenpflaster erhalten hat. Neben dem Palazzo della Ragione mit seinem markanten 84 Meter hohen Torre Lamberti im Südwesten wird der Platz nach Nordosten hin von der Loggia del Consiglio und dem mit Schwalbenschwanzzinnen bewehrten Palazzo del Governo und seinem prachtvollen klassizistischen Marmorportal samt venezianischem Löwen flankiert. Den Innenhof des Gerichtspalasts (Corte del Mercato Vecchio) sollte man nicht verpassen, denn hier führt eine bombastische Freitreppe zu einem Portal im Obergeschoss, gegen dessen Balkon derjenige der Casa di Giulietta wie der Ausguck eines Reihenhauses wirkt.

Je mehr wir uns Richtung Norden dem Ende der Halbinsel der Veroneser Innenstadt, welche der Fluss durch seine Enge Schleife geformt hat, nähern, desto weniger Touristen begegnen wir. An der Chiesa di Sant'Anastasia überrascht das aufwendig mit buntem Marmor erbaute Hauptportal, während der Rest der Kirche mit seiner Backsteinfassade eher zurückhaltend wirkt. Vom Ufer der Etsch aus bestaunen wir den über zweitausend Jahre alten römischen Ponte Pietra und den Hügel von San Pietro auf der anderen Flussseite.

Nach einem kurzen Espresso für erstaunlich günstige 80 Cent in einer nahegelegen Bar direkt am Fluss geht es weiter durch ruhige Gassen mit viel restaurierter alter Bausubstanz, aber auch vorbei an Häusern mit bröckelndem Putz und maroden Balkonen. Süffisanterweise residiert in einem dieser morbiden Stücke der österreichische Konsul – ein hämischer Seitenhieb aus einem einstigen Machtbereich der Donaumonarchie? Einige Ecken später erstrahlt der Duomo Santa Maria Matricolare standesgemäß, wie sich das für Italien gehört, mit einer marmorgestreiften Fassade und weißen Giebeln.

Nach einem gehetzten Wettlauf quer durch die Altstadt – die Kommentare der jugendlichen Reisegruppenteilnehmer hinsichtlich des Programmablaufes werden zusehends ungehaltener – kommen wir an der Porta dei Borsari aus dem 3. Jahrhundert wieder heraus, einer der besterhaltenen römischen Hinterlassenschaften. Es schließt sich der nunmehr wieder für den Verkehr freigegebene Corso Cavour an und führt – oh Wunder – schnurgerade am Castelvecchio vorbei, womit sämtliche Vorwürfe eines angeblich absichtlich gewählten Umweges zum Zwecke weiterer strapaziöser kultureller Exkursionen auf einen Schlag widerlegt wären. Im weitläufigen Innenhof dieses von Schwalbenschwanzzinnen nur so überquellenden Machwerks der Skaliger erwehren wir uns noch kurz eines weiteren vergeblichen Angriffs („Ja, der Rückweg führt genau hier durch!“) und stehen am Ende dann doch voller Verzückung auf dem Ponte Scaligero, eines einzigartigen Brückenbauwerks aus der gleichen Zeit (14. Jahrhundert).