Das DomRömer-Projekt‘

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Blick vom Dom 1990 (vorne rechts Technisches Rathaus)

Nach sechs Jahren Bauzeit war es 2018 endlich so weit: Ein Wunder wurde Wirklichkeit! Nach gut einem Jahrzehnt der hitzigen Diskussionen und Verwerfungen, des Abrisses und des detailreichen Wiederaufbaus stand sie nun: Die neue Altstadt. Der spektakulären Neuplanung aus Rekonstruktionen und Neubauten mit 35 Häusern auf historischem Grundriss war der Abriss des Technischen Rathauses voraus gegangen. Die brutalistische Sichtbetonarchitektur als Refugium der städtischen technischen Ämter hatte mit ihren maßlosen Dimensionen die Reste der kleinteiligen Altstadt bis zur Unkenntlichkeit dominiert. Im Jahre 1974 wurde das monströse Gebilde gegen den entschiedenen Widerstand der Frankfurter Bevölkerung im Anschluss an den U-Bahnbau über den Grundrissen der zentralen Altstadt zwischen Römergerg und Dom zusammen mit einer Tiefgarage errichtet. Dafür mussten entlang der Braubachstraße fünf zum Teil intakte historische Gebäude aus dem 16. bis frühen 20. Jahrhundert fallen. Bereits beim Bau der U-Bahnstation Römer hatte der damalige Magistrat im Zuge des allgemeinen Erneuerungswahns archäologische Belange konsequent ignoriert. Frühester Frankfurter Siedlungsboden wurde einfach weggebaggert und somit für die Forschung für immer vernichtet.

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Goldene Waage

Angesichts solcher Frevel empfinden viele die jetzige Neugestaltung nicht nur als Reparatur kriegsbedingter Schäden sondern als Wiedergutmachung für den respektlosen Umgang mit dem überschaubaren Häufchen von historischer Substanz, welches Frankfurt geblieben war. Es ist dem nimmermüden Einsatz von Initiativen wie den Freunden Frankfurts zu verdanken, dass es überhaupt zum entscheidenden Beschluss der Stadtverordnetenversammlung kam. Fast 300.000 Besucher nahmen am letzten September-Wochenende 2018 die Gelegenheit war, Frankfurts neues Zentrum in einem dreitägigen Festakt gebührend zu feiern. Unter den neu erbauten Häusern befinden sich 15 zumindest äußerlich originalgetreue Nachbauten. 20 weitere Gebäude sind Neuinterpretationen in zum Teil sehr unterschiedlicher Qualität.

Das herausragende Objekt, auch wenn es ein wenig im Schatten des neuen Stadthauses verschwindet, ist dabei die „Goldene Waage“, das wohl prächtigste Renaissance-Fachwerkhaus und eine der Hauptsehenswürdigkeiten des alten Frankfurts vor der Zerstörung. Das Original von 1619 wurde vom wohlhabenden niederländischen Gewürzhändler Abraham von Hameln, einem der über 100.000 vertriebenen Reformierten, errichtet. Beim Wiederaufbau entstand nicht zuletzt mit Hilfe der eindrucksvollen Zimmermannskunst eines westfälischen Spezialisten eine in dieser Qualität einmalige Rekonstruktion: Das Untergeschoss besteht aus reichhaltig ornamentierten Sandsteinarkaden, deren Schlussstein jeweils ein Löwenkopf ziert. Diese und andere erhaltene Spolien des Originalbaus wurden vom ehemaligen Intendanten des Hessischen Rundfunks Eberhard Beckmann nach dem Krieg in seinem Skulpturengarten in Dreieich präsentiert und jetzt dem Wiederaufbau in der Altstadt großzügig zur Verfügung gestellt. Die Bogenfenster sind mit filigranem Schmiedeeisen vergittert – teilweise Originale aus den Beständen des historischen Museums. Über der Erdgeschosshalle erheben sich zwei vollwertige, auf acht Säulen ruhende Fachwerkgeschosse aus Jahrhunderte alten kunstvoll verzierten Eichenbalken, welche aus Abrissgebäuden gesammelt und wieder aufbereitet wurden. Über dem Erdgeschoss an der Nordostecke prangt die namensgebende goldene Waage. Zwei goldene Wasserspeier mit chinesischen Drachenköpfen über dem ersten Geschoss sind allerdings historisch nicht belegt. Den Abschluss des Hauptgebäudes bildet das schiefergedeckte charakteristische Satteldach mit rheinischem Wellengiebel und Zwerchhaus.

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Goldene Waage mit Belvederchen

Vom Straßenniveau aus uneinsehbar verbirgt sich auf dem Hinterhaus die Krönung von allem: Das berühmte Belvederchen, ein Paradeexemplar der speziellen Gattung privater Dachgärten in der engen Frankfurter Altstadt, ein beschauliches Refugium für Frischluftbedürftige mit eigenem Zierbrunnen, einer Bergkristallgrotte und überdachter Laube, zu erreichen über eine sandsteinerne Wendeltreppe. Von hier aus hatte man früher, geschützt vor Sonne und Wind, alle Türme der näheren Umgebung im Blick: Dom, St. Nikolai, St. Leonhard und die Paulskirche. Kein Hochhaus versperrte die Sicht über die kleinteiligen Dachlandschaften.

Die oberen Geschosse der Goldene Waage hat übrigens eine Dependance des Historischen Museums bezogen, während im Untergeschoss eine Confiserie zum Verweilen einlädt.

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Fassadendetail mit Goldener Waage

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Belvederchen - Laube (Blickrichtung West)
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Innenansicht Café Erdgeschoss - mit Kassettendecke, Bobbelage und Sandsteinsäule

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Blick vom Dom auf den archäologischen Garten (1990)

Um das benachbarte Stadthaus – einem Neubau für Veranstaltungszwecke – tobte lange Zeit ein erbitterter Streit. Der ehemals freiliegende archäologische Garten mit seinen Relikten aus römischer und merowingischer Zeit und der karolingischen Königspfalz wurde schließlich überbaut, bleibt aber weiterhin für die Öffentlichkeit zugänglich. Eine Initiative sorgte sich um das „Dom-Panorama“, den freien Blick vom Römerberg auf die Krönungskirche, welcher jedoch zu historischen Zeiten an dieser Stelle nie bestand, sondern erst durch die Kriegszerstörungen und die Anlage des Gartens Anfang der 70er Jahre möglich wurde. Darüber ‚schwebt‘ nun wortwörtlich der große Saal des Stadthauses mit seinem goldenen Dach: Er wurde in eine tollkühne Hängekonstruktion verankert, um den archäologischen Garten nicht mit Stützen zu verschandeln und bildet in etwa die Außenmaße der Königshalle wieder.

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Stadthaus

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Archäologischer Garten (Südansicht)

'Kaiserpfalz Franconofurd' wurde die Keimzelle der Mainmetropole nun getauft und mit allen erdenklichen Annehmlichkeiten moderner Museumsdidaktik versehen. In der Tat kann man sich nach Betrachtung der fotorealistischen Lebensbilder endlich vorstellen, wie Frankfurt zu den Zeiten der römischen Niederlassung und der karolingischen Kaiserpfalz einmal ausgesehen haben könnte: Sehr idyllisch, wie ich finde ... Im Schutz der Stadthausüberbauung wurden die Mauerreste restauriert, interaktive Videokästen installiert, ein römisches Schwitzbad rekonstruiert und alle Relikte mit Erläuterungen versehen. In einem Nebenraum sind Fundstücke aus allen Epochen der Besiedlung des Domhügels ausgestellt. Verständlich, dass der Zugang nach solchem Aufwand nur tagsüber unter Aufsicht gewährt wird – dafür aber kostenlos. Nachts schützen die Dependance des archäologischen Museums rundum Rollgitter vor dem allgegenwärtigen Vandalismus.


Ein weiterer Höhepunkt dieses Großprojektes der Stadtreparatur ist die Wiederherstellung des historischen Hühnermarktes, eines kleinen idyllischen Altstadtplätzchens, in dessen Mitte seit 1895 der Stoltze-Brunnen stand. Nach den Kriegszerstörungen verweilte dieses Schmuckstück bis 2016 auf dem gleichnamigen Platz hinter der Katharinenkirche und durfte nun im Schatten prächtiger Nachbauten wie des ‚Schlegels‘, der ‚Goldenen Schere‘ oder des ‚Esslingers‘ als eines der wenigen erhaltenen Überbleibsel in die Altstadt zurück.

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Stoltze-Denkmal
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Haus zum Esslinger - Fassadendetail
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Metzgerschirne unter dem Neuen Roten Haus
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Hühnermarkt - Schlegel, Eichhorn und Goldene Schere
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Grüne Linde - Erdgeschoss mit Eingangstür

Am nordwestlichen Ende grüßt Johanna Melber, Goethes lebenslustige Tante aus ‚Dichtung und Wahrheit‘, als Reliefkopf vom ‚Esslinger‘, zeitlebens ihr Domizil am belebten Altstadtplätzchen. Auch der Dichter selbst verbrachte während der Umbauphase des Elternhauses am Großen Hirschgraben 1755 mehrere Monate zusammen mit seiner Schwester bei der Verwandtschaft. Das Wohnhaus mit barocker Fassade wurde unter Verwendung bis zu 500 Jahre alter Balken aus ehemaligen Fachwerkbauten originalgetreu wieder hergestellt und beherbergt nun zusammen mit dem benachbarten ‚Alten Esslinger‘ das Struwwelpetermuseum.

Die Südseite des Platzes wird von der ‚Grünen Linde‘ dominiert, dem Nachbau eines barocken Gasthofgebäudes aus dem 18. Jahrhundert mit markanten Konsol- und Bogenschlusssteinen und hohen Fenstern im Erdgeschoss. Standesgemäß residiert im zugehörigen Ladenlokal inzwischen die feine Vinothek des Rheingauer Weinguts Balthasar Ress.

An der Südwestecke erhebt sich das ‚Neue Rote Haus‘, das einzige komplett aus einem Fachwerkkern errichtete Gebäude der Rekonstruktionen. In der offenen, von mächtigen Eichenholzpfählen getragenen Halle betrieben Altstadtmetzger bis zum 2. Weltkrieg Verkaufsstände, sogenannte Schirnen. An traditioneller Stelle im benachbarten ‚Roten Haus‘ hat die bislang in der Kleinmarkthalle heimische Metzgerei Dey wieder eine Filiale eröffnen. Nach Ansicht der seligen Großmutter des Verfassers "konnt mer da gut Flaaschworscht esse". Zur feierlichen Altstadteröffnung gab es unter der Halle schon einmal einen Vorgeschmack für alle Anhänger des gepflegten Wurstimbisses aus der Hand.

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Zu den drei Römern

An anderer Stelle hat man originale Spolien integriert, so zum Beispiel das erhaltene Erdgeschoss aus einem historischen Gebäude der Saalgasse im Neubau Markt 40 (‚Zu den drei Römern‘) am Beginn des Krönungswegs. Das Haus mit moderner Fassade greift darüber hinaus auch mit seinem Spitzgiebel, den Auskragungen und traditionellem Sandstein als Werkstoff auf gelungene Weise Elemente der Altstadt auf.

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Klein Nürnberg

Gleich zu Beginn der Gasse Hinter dem Lämmchen fällt der prachtvolle Renaissancebau von ‚Klein Nürnberg‘ ins Auge. Im Erdgeschoss wurde eine spätgotische Kaufhalle mit sechs Kreuzgratgewölben originalgetreu aus Sandsteinblöcken wieder hergestellt. Wie im damaligen Frankfurt üblich, springen die folgenden Geschosse mit auf Kragsteinen ruhenden Überhängen hervor.

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Klein Nürnberg - Innenansicht mit Kreuzgewölbe

Durch den Bauzaun am Kunstverein konnte man bis vor kurzem eine Ecke der bereits fertig gestellten Fassade des ‚‚Goldenen Lämmchens‘‘ mit einer leeren Statuennische und Baldachin entdecken – mancheiner rätselte, was da wohl rein kommt. Inzwischen wurde dort eine prachtvoll farbige Hausmadonna angebracht. Dieser ehemalige Patriziersitz und Messehof hat außerdem einen eigenen Innenhof mit einem weiteren Glanzstück der Zimmermannskunst: Den Holzlaubengang haben Spezialisten aus Balken des 16. und 17. Jahrhunderts, welche aus Altbeständen in ganz Deutschland zusammengetragen wurden, originalgetreu wieder hergestellt. Selbst der Neubau Braubachstraße 29, welcher zur Nordseite noch eine historisierende Fassade aus der Zeit des Braubachstraßendurchbruchs nach der Jahrhundertwende aufweist, schließt zum südlich gelegenen Lämmchenhof ebenfalls mit feinsten rekonstruierten Details, einem Laubengang, steinernen Säulen, Figurengruppen und Ballustraden ab.

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Lämmchenhof (Südansicht)
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Goldenes Lämmchen
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Goldenes Lämmchen - Wappentier

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Nordseite Krönungsweg - Markt 30, ‚Würzgarten‘ und ‚Schlegel‘

Keine Glanzstücke, um es vorsichtig zu formulieren, sind leider einige der Neubauten des nördlichen Krönungswegs: Nach dem bereits erwähnten vielversprechenden Auftakt am Eingang zum ‚Markt‘ (‚Zu den drei Römern‘) schließen sich drei weitere Neubauten mit modernen, aber kleinteiligen Fassaden an. Was danach kommt, macht dann eher sprachlos: Der völlig schmucklose einfarbige Verputz, die viel zu großen Fenster auf nahezu strukturbefreiten Fronten von Markt 32 und 30 stehen im krassen Kontrast zu den handwerklich herausragenden benachbarten Häusern ‚Würzgarten‘ und ‚Schlegel‘ mit ihren vielen Details. Glatt und langweilig, wie Platzhalter für eine noch bevorstehende spätere Bebauung, wirken diese Entwürfe. Selbst die Dachüberstände haben die Architekten weggelassen, was in den kommenden Jahren in Folge unserer Witterung auf dem Verputz noch hässliche Spuren hinterlassen wird. Die Rückseite des ‚Alten Kaufhauses‘ (Markt 30) grenzt an die Gasse ‚Hinter dem Lämmchen‘. Wohl als Wiedergutmachung zur völlig verkorksten Frontfassade am Markt scheint man hier ein üppiges Barockportal aus dem Garten des Liebighauses vorgesetzt zu haben.

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Markt 14 - Neues Paradies

Zum Glück erreichen die Neuinterpretationen hinter dem Hühnermarkt ein höheres Niveau: ‚Neues Paradies‘ und ‚Schönau‘ nehmen mit ihren voll verschieferten Fassaden ein klassisches Erscheinungsbild Frankfurter Fachwerkhäuser wieder auf und bringen mit Auskragungen, kühnen Schwüngen und Faltungen zugleich moderne Formensprachen zur Geltung. Am Ende lässt der ‚Große Rebstock‘ den U-Bahnabgang hinter kunstvoll vergitterten romanischen Bögen verschwinden. Als Reminiszenz an das ungeliebte Technische Rathaus haben die Planer Betonreste in Form von Mosaiken in die Fassade integriert.

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‚Großer Rebstock‘ - U-Bahnabgang im Erdgeschoss (Südwestansicht)

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Braubachstraße (Nordwestansicht)

Die neue Gebäudefront zur Braubachstraße übernimmt die historisierenden Fassaden der Vorgängerbauten aus dem Anfang des 20. Jahrhunderts, als mit dem Durchbruch quer durch die Altstadt über 100 mittelalterliche Häuser geopfert wurden. 1970 wurde an dieser Stelle für den Bau des Technischen Rathauses wie bereits Eingangs erwähnt ein Teil dieser Neubebauung niedergelegt.

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Braubachstraße 27
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Durchgang zum Lämmchenhof mit Spolien

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Rebstockhof - Zwerchhaus mit Laubengängen (rechts Braubachstraße 21)

Links neben der Sandsteinfassade der modernen Braubachstraße 23 erkennt man eine rekonstruierte Brandmauer aus Bruchstein, welche die ursprünglich als Fensterfront geplante Nordseite des Nachbaus aus dem 17. und 18. Jahrhundert zur Straße hin abschließt. Vor kurzem hat man an der Ecke die im Originalzustand erhaltene Figur eines Winzers aus dem Jahre 1939 als Spolie verbaut. Sie verweist auf den sich im hinteren Teil anschließenden ‚Rebstockhof‘, eine barocke Messeherberge mit charakteristischen Holzgalerien, Zwerchhaus und zahlreichen Giebeln. Der Neubau mit der eigenwilligen Sandsteinfassade und der Hausnummer 23 hat immerhin ein Frankfurter Original in die Ecke integriert: Den Schobbepetzer mit dem Bembel in der Hand.

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Der Schobbepetzer
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Braubachstraße 21 - Winzerspolie mit Brandmauer

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Die neue Altstadt

Einen wirklich überwältigenden Eindruck erhält man von der Besucherplattform des Doms: Dort wo noch vor wenigen Jahren die trostlosen Flachdächer des Technischen Rathauses und der nüchterne, nahezu fensterlose Erweiterungsbau des historischen Museums jegliche Vorstellung von einem urbanen städtischen Zentrum zu Nichte machten, breitet sich heute eine wohltuende Landschaft aus handwerklich hochwertigen Schiefersatteldächern, Spitzgiebeln, Türmchen, unzähligen Gauben und Innenhöfen aus. Der Wiederaufbau eines solch aufwendigen Ensembles dürfte in der deutschen Nachkriegsarchitektur bislang einzigartig sein.

Und doch scheint es nicht verkehrt, sich bei aller Freude und Genugtuung über dieses gelungene Stück Reparatur hin und wieder ins Gedächtnis zu rufen, dass hier gerade einmal 5% der ehemals größten und prachtvollsten mittelalterlichen Altstadt Deutschlands wieder aufgebaut wurden. Blickt man aus der Ferne – vorzugsweise von den Taunushöhen im Nordwesten – auf die beeindruckende Skyline, so wird klar, dass Frankfurt wie kaum eine zweite Stadt im Bundesgebiet von einem wahren Überfluss modernster Stahl-, Glas- und Betonarchitektur geprägt ist. Ein Spaziergang durch die Innenstadt offenbart den extremen Mangel erhaltener Bausubstanz aus der Zeit vor dem zweiten Weltkrieg. Die Gründe hierfür sind natürlich hinlänglich bekannt und trotzdem stimmte es einen überzeugten Lokalpatrioten traurig, dass bislang nicht einmal ansatzweise in einem Straßenzug erkennbar war, wie Frankfurt zur Zeit seines Aufstiegs zur Messemetropole ausgesehen haben könnte. Andere Städte von ähnlicher historischer Bedeutung wie Nürnberg, Dresden oder Leipzig haben bereits sehr viel früher ihre glorreiche Geschichte wieder aufleben lassen. In Frankfurt ist das anhand der wieder hergestellten Fassaden auf mittelalterlichen Grundrissen nun endlich auch möglich. Und da gibt es ernsthaft Architekten, die in einem kaum Fußballfeld großen Areal einen Angriff auf ihren Berufszweig sehen wollen? Das ist lächerlich und zeugt von rein ideologisch motivierter Verbohrtheit.

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Neues historisches Museum - Eingangsgebäude

Der Abriss und Neubau des Museums war ein weiterer Mosaikstein im Großprojekt Dom-Römer. Während der Ausschachtarbeiten für die Kellerbereiche stieß man auf Überreste einer staufischen Hafenanlage, welche nun in der Ausstellung präsentiert werden. Die beiden neuen Gebäudetrakte erscheinen zwar verhältnismäßig voluminös, fügen sich aber mit ihren modernen Sandsteinfassaden und Satteldächern recht ordentlich in den Altstadtkern ein – kein Vergleich zum vorhergehenden Sichtbetonmonster. Das nördlich gelegene Ausstellungsgebäude lädt an seiner Südseite mit einer Skulpturengalerie und Sitzgelegenheiten zum Verweilen ein. Die andere Seite Richtung Römerberg wurde mit Spolien und Schmucksteinen dekoriert. Zum Eingangsgebäude hin eröffnet sich großzügig ein neuer Platz mit Durchgang bis zur Saalhofkapelle.

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Krönungsweg mit Rotem Haus und Pergola

Ein Problembereich der neuen Altstadt ist der Übergang zwischen dem Krönungsweg und der vorhandenen Kulturschirn. Das unterschiedliche Bodenniveau und der postmoderne Stil des Ausstellungsgebäudes machten eine bauliche Trennung erforderlich, was die Planer anhand einer steinernen Pergola versucht haben zu lösen. An diesem Gebilde scheiden sich die Geister: Zwar haben die Architekten mit dem Mainsandstein den traditionellen Baustoff der Altstadt gewählt, jedoch gefallen die Dimensionen und der Stil nicht jedem: An ihrer Stelle sollte eigentlich die Südzeile des Krönungswegs stehen, was sich aber aufgrund der vorhandenen Kunsthalle mit ihrer als Bistro genutzten Rotunde nicht realisieren ließ.

Die Diskussion um das Pro und Contra eines Wiederaufbaus war und ist, wie überall in Deutschland, nach wie vor ideologisch aufgeladen. Während die Fraktion der Befürworter lediglich die Wiederherstellung einer mit den Bombennächten und der Nachkriegszeit verlorenen architektonischen Schönheit und Urbanität im Sinn hat, glauben die Gegner der Rekonstruktion, man müsse an dieser Stelle bis in alle Ewigkeit sichtbare Wunden als Mahnmal für Deutschlands Angriffskrieg erhalten. Wiederaufbaubefürworter werden gerne als ewiggestrig charakterisiert: Zum einen, weil sie sich der Nachkriegsmoderne und ihrem völligen Verzicht auf Kunst und Ästhetik an so exponierter Stelle verweigern und stattdessen auf identitätsstiftende klassische Gestaltungselemente zurückgreifen wollen und den respektlosen Umgang mit historischer Bausubstanz nicht einfach kritiklos akzeptieren. Zum anderen, weil sie die Zerstörung der Altstadt nicht als irreparabel, endgültig und gerecht hinnehmen und sich somit generell verdächtig machen.

Eine Erklärung, welchen ideologischen Bezug Fachwerkhäuser der Renaissance, gotische Gewölbe oder Denkmäler für demokratische Vorkämpfer und Mundartdichter des 19. Jahrhunderts zum Nationalsozialismus haben sollen, bleiben die Modernisten bis heute schuldig. Ebenso stellt sich die Frage, woher man das Recht nimmt, unbelasteten Generationen eine lebendige Altstadt vorzuenthalten und es stattdessen Architekten gestattet, das Zentrum der Stadt mit leblosen industriellen Zweckbauten zu verschandeln: Autogerecht, den menschlichen Bedürfnissen entrückt. Es ist die Fortsetzung des Erneuerungswahns der Nachkriegsjahrzehnte, in denen man glaubte, die NS-Diktatur durch einen generellen Bruch mit der Vergangenheit bewältigen zu müssen und kulturelles Erbe gegen den mehrheitlichen Willen der Bevölkerung radikal aus dem Stadtbild tilgte, als hätte es eine Zeit vor dem braunen Terror nie gegeben. Die Ironie am Rande der ganzen abgehobenen Diskussion ist, dass in den letzten Kriegsjahren ausgerechnet die Nazis selbst die Altstadtruinen als ewige Anklage für „unsere durch die barbarischen Angriffe aus der Luft hingemordeten Städte“ erhalten wollten, während sie ihr eigenes 'Tausendjähriges Reich' in einem nie dagewesenen Stahl-Beton-Gigantismus zu verewigen suchten.

Dass Rekonstruktionen auch ein wichtiges Zeichen der Versöhnung sein können, zeigt eines der bedeutendsten Projekte nach der Wende: Der Wiederaufbau der zu DDR-Zeiten bewusst als Trümmerhaufen erhaltenen Dresdner Frauenkirche wurde durch die enorme Spendenbereitschaft aus dem Ausland, vor allem der ehemaligen alliierten Kriegsgegner, überhaupt erst möglich. Das technische Rathaus in Frankfurt war dagegen nie ein Mahnmal für einen verbrecherischen Krieg. Es gibt sicherlich geeignetere Wege der Erinnerung.

Eine Gedenktafel für die Frankfurter Bombenopfer und Gefallenen des Zweiten Weltkriegs gab es bereits vor dem Technischen Rathaus. Sie existiert noch und sie soll, ergänzt um eine angemessene Einordnung der Kriegsverluste in den geschichtlichen Kontext der deutschen Schuld, wieder in das Pflaster auf dem Domplatz eingelassen werden. Vielleicht versöhnt diese Maßnahme die Fronten ein wenig.

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