Titel

Wein im Frühling

Eingezwängt zwischen der legendären Toskana im Nordwesten, dem Traum aller aussteigenden Gymnasiallehrer und sozialdemokratischen Bundestagsfraktionen, den Marken mit seinen berüchtigten Teutonengrills Rimini und Riccione im Osten und Latium, dem Herzen Italiens mit der Kapitale Rom in der Mitte liegt diese relativ kleine und dünn besiedelte Provinz ohne jeglichen Zugang zum sonst allgegenwärtigen Meer. Womöglich liegt es daran, dass Umbrien im Tourismusgeschäft des Mittelmeerlandes eine eher untergeordnete Rolle spielt. Oder sind es die immer wiederkehrenden Erdbebenkatastrophen, die unsere deutschen Urlauberscharen bislang einen großen Bogen um dieses paradiesische Stück Erde haben machen lassen? Geschadet jedenfalls hat die bisherige Zurückhaltung der Touristenmassen diesem Land nicht, im Gegenteil. Allenfalls Assisi als eine der größten Pilgerstätten kann da auf nennenswerte Übernachtungszahlen verweisen und ausgerechnet hier hat der letzte schwere Ruck von 1997 die schlimmsten Verwüstungen angerichtet.

Wein im Frühling

Unterkunft

Wer in Umbrien nach größeren komfortablen Hotels sucht, wird meist enttäuscht werden. Diese Art der Unterbringung wird dem Charakter und der Erhabenheit dieser Landschaft auch nicht gerecht. Nur in den wunderschön restaurierten alten Bauernhäusern auf dem Land könnt Ihr mit dieser Gegend eine prägende Beziehung eingehen, die frische Luft und die herrliche Stille der Nacht genießen. Diese Art des Urlaubs, welche auch in der angrenzenden Toskana schon lange ein Trend ist, erfordert natürlich ein generelles Umdenken: Weg von der Rundumversorgung und vom Pauschalangebot, d.h.

Gerade aus diesen Gründen bietet sich die Region als Reiseziel für größere Gruppen idealerweise an. Wir hatten im Juni 1999 mit acht Erwachsenen und drei Kleinkindern ein komplettes Haus mit zwei getrennten Wohneinheiten in herrlicher Hanglage des winzigen Fleckens Carpini in einem Seitenarm des Tibertals zwischen Umbértide und Cittá di Castello gemietet. Mit insgesamt vier Schlafräumen, drei Küchen in unterschiedlichen Größen, zwei Bädern, separaten Toiletten, Terrassen auf mehreren Ebenen und zwei großen Wohnzimmern mit Kaminen hatten wir mehr als ausreichend Platz zur Entfaltung. Das Haus bestand aus massivem Bruchstein, innen mit Terracottafußböden im Erdgeschoss und knarrenden Dielen im niedrigen Dachgeschoss ausgestattet. Auch die Einrichtung war vollständig im landesüblichen rustikalen Stil. Um uns herum befanden sich Tabakfelder, Wald, Wiesen und nur wenige verstreute Gebäude. Abends herrschte hier, so wie es ein Zivilisationslärmgeplagter empfindet, vollkommene Stille: Jeder Laut von nachtaktiven Tieren im naheliegenden Wald war deutlich zu vernehmen. Während wir nach dem in der Regel überaus üppigen Abendessen bei einigen Flaschen Rosso di Torgiano auf der Terrasse saßen, waren die Büsche und Gräser um das Haus herum gespickt mit Abertausenden von Glühwürmchen – ein unvergessliches Schauspiel. Vergaßen wir, die Haustür zuzuschließen, bekamen wir des öfteren Besuch von kleinen Kröten, die auf der Suche nach Wärme jede Gelegenheit nutzten. Über uns wölbte sich der Himmel einer glasklaren und tiefschwarzen Nacht mit Myriaden von Sternen – Dimensionen des Weltraums, die ein Stadtmensch zu Hause niemals zu Gesicht bekommt.

Im September 2001 hatten wir nochmals Gelegenheit, einige sehenswerte Städte im Süden der Provinz zu besuchen, nachdem wir uns in einem ähnlich schönen Bauernhaus in der kleinen Ortschaft Castiglione in Teverina am Nordrand der Region Latium eingemietet hatten (siehe dazu auch mein Beitrag zu Orvieto 'Wunder aus Tuffstein'). Wir hatten diesmal die Österreichroute über den Brenner mit zwei bequemen Tagesetappen und Übernachtung in dem kleinen Städtchen Ala in der Nähe des Gardasees gewählt.

Das mit Abstand größte Angebot von Häusern in ganz Italien und Frankreich bietet der Veranstalter Interhome mit einem jährlich aktualisierten Katalog. Das Leistungsangebot der ausschließlich im Privatbesitz befindlichen Unterkünfte ist bis ins kleinste Detail beschrieben. Generell gilt die Faustregel: Je mehr Leute mit einziehen, desto günstiger der Preis pro Person. Bezahlt wird nämlich immer das ganze Haus, unabhängig von der Belegung. Der Gasverbrauch wird zum Schluss individuell abgelesen und berechnet. Verpflegung wie Frühstück oder Abendessen ist in der Regel unüblich. Die vom Veranstalter individuell zugeschickten Anfahrtspläne sind mit äußerster Vorsicht zu genießen, da die Beschreibungen kurz vor dem Ziel, nämlich dann, wenn Details wie markante Häuser, Straßenbiegungen, Bäume und andere Landschaftsmerkmale von Bedeutung sind, manchmal sehr ungenau werden. Wir haben 1999 geschlagene zwei Stunden gebraucht, um unser Haus zu finden. In diesem Jahr konnten wir die angegebenen Entfernungen bis auf 100 Meter genau am Tacho ablesen. Aber dafür gibt es keine Garantie, also lieber vorher zuverlässiges Kartenmaterial besorgen.

Es folgen Städte und Ortschaften, welche wir während der insgesamt vier Wochen besucht haben. Ziele in der Region Latium sind in einem separaten Beitrag beschrieben.

Montone

Landschaft bei Montone

Die nächste größere Ortschaft ist das mittelalterliche mauerumgebene Montone auf einem fast 500 Meter hohen Berg mit zum Teil phantastischen Ausblicken auf klassische Toskanamotive: Schwarzgrüne Zypressenalleen schwingen sich über goldgelbe und saftiggrüne Getreidefelder inmitten sanfter Hügellandschaften und führen zu malerisch eingebetteten Villen. Wie eine Trutzburg in sich abgeschlossen wirkt die Ortschaft und erschließt sich in ihrer einfachen zeitlosen Schönheit nur dem Fußgänger – keine Chance für nervende Motorräder und Autos.

Landschaft bei Montone

Gubbio

Das weitaus bedeutendere Gubbio bietet bereits von der Ebene aus eine imposante Silhouette, klettert in ähnliche Höhen wie Montone empor und ist wahrscheinlich einige Jahrhunderte älter als Rom. Üblicherweise lässt man den Wagen vor den Toren der Stadt stehen und beginnt an der Piazza dei Qaranta Martiri den Aufstieg. Am obersten Rand thront der Palazzo Ducale neben dem Dom Sant´Ubaldo. Auf halbem Wege dorthin passiert man nach mehreren steilen Straßen und Treppen den hochaufragenden Palazzo dei Consoli mit der weitläufigen Piazza della Signoria. Von hier aus gibt es wie nicht anders zu erwarten einen prächtigen Blick in die Ebene vor der Stadt, worin die Ruinen des römischen Amphitheaters eingebettet sind.

Cittá di Castello

Alte Setzerei in Cittá di Castello

Das kleine überschaubare, aber feine Talstädtchen, direkt am Lauf des Tiber zwischen Umbértide im Süden und Monte Santa Maria Tiberina im Nordwesten gelegen, eignet sich hervorragend für einen morgendlichen Ausflug mit obligatorischem Besuch einer Espressobar, Stadtbummel und abschließendem Mittagessen in einem der rustikalen Lokale. Schon von der Superstrada aus überragt der wuchtige achteckige Kuppelbau des Domes mit seinem Glockengestühl und dem wesentlich älteren Torre Cilindrica das homogene bräunliche Häusermeer.

Alte Setzerei in Cittá di Castello

Monte Santa Maria Tiberina

Monte Santa Maria Tiberina

Dieses weithin sichtbare Bergdorf erreicht Ihr nach einer kurvenreichen Anfahrt durch das Tibertal nordwestlich von Cittá di Castello. Die kleine Ortschaft wurde jüngst perfekt restauriert und liegt in fast 700 Metern Höhe auf einer Hügelkuppe und geht auf eine etruskische Gründung zurück. Die Straße führt zunächst bis zu einem kleinen Parkplatz unterhalb des Eingangsportals der Stadtmauer. Hier stellt man den Wagen ab, denn die Weiterfahrt um die mächtigen Gewölbe herum bis auf das Plateau lohnt nicht, im Gegenteil: Man bringt sich damit um den malerischen Aufstieg durch die engen, teils überbauten Treppengassen. Ab und zu hört man Geschirrgeklimper und schnell sprechende Frauenstimmen aus den alten Gemäuern hallen oder ein Kind auf einem Klavier üben, ansonsten seid Ihr als Touristen allein. Immer wieder geben Lücken zwischen den Bruchsteinhäusern den Blick in die idyllische Landschaft im Tal frei. Mauervorsprünge, Hauseingänge über waghalsige Brückenkonstruktionen, Kreuzgewölbe, Natursteinfassaden mit grünen und braunen Fensterläden – die Motive für den Fotografen, Maler, Zeichner oder einfach nur genießenden Betrachter nehmen kein Ende. Nur ein einziges, dem Andrang nach offenbar sehr gutes Ristorante, gibt es hier – keine Schaufenster, Läden, Autos, Mopeds, nichts was die stille Erhabenheit dieses Ortes stören könnte.

Monte Santa Maria Tiberina

Spello

Steile Gasse in Spello

Für mich einer der Glanzpunkte in Umbrien, wenn nicht sogar der Höhepunkt. Die relativ kleine Stadt liegt auf einem Hügel (wo sonst?) namens Monte Subasio in relativer Nachbarschaft zum weltberühmten Assisi, was den größten Teil der Besucherströme auf sich zieht. Spello dagegen ist eine Oase der Ruhe und Beschaulichkeit geblieben: Steile Gassen mit Treppen in der Mitte und aufgepflasterten Fahrstreifen an den Rändern, leider in jüngster Zeit mit rutschfestem, von einem Reifenhersteller gesponsorten Gummibelag verunstaltet, führen den Berg hinauf. Je höher man steigt, desto ruhiger und enger wird es. Von einer größtenteils erhaltenen römischen Stadtmauer umgeben stehen die mittelalterlichen Häuser dicht gedrängt. Ich rate Euch zu einem Abstecher durch die antike Porta Montanara im Norden hindurch Richtung Subasio. Vom angrenzenden Olivenhain hat man einen traumhaften Blick zurück auf die Silhouette von Spello und weiter unten ins malerische Umbratal: Schwarzgrüne Zypressen, umrahmt von zartgrünen Wiesen und Feldern der Ebene verlieren sich im Dunstschleier des Nachmittags. Zurück in der Stadt orientiert Ihr Euch am Verlauf der Stadtmauer und habt irgendwann unweigerlich von oben kommend die wuchtige Porta Venere, das beeindruckendste der römischen Tore im Blickfeld. Mit seinen klassischen drei Bögen erinnert es an seinen großen Bruder, den Hadriansbogen in Rom. Auf dem Weg kam ich an einem Delikatessenladen vorbei. Was heißt vorbei, der eifrige Besitzer hat mich freundlich, aber bestimmt hineingezogen, um seine Köstlichkeiten anzupreisen. Keine Widerrede! Innen drin verschlug es mir fast die Sprache: Die Regale waren über und über mit feinsten heimischen Produkten dekoriert: Weine, Olivenöle, Grappa, Tartufata, Schinken, Käse und und und... Sofort musste ich von seinem Pecorino probieren und ein ordentliches Schlückchen Rosso dazu durfte auch nicht fehlen. Das edle erst- und natürlich kaltgepresste Olivenöl wurde auf frisch gebackenem kräftigen Weißbrot zur Verkostung geträufelt. Den delikaten umbrischen Wildschweinschinken musste ich aufgrund meines Vegetariertums und zu seiner Enttäuschung allerdings ausschlagen. In den Boden des Ladens war eine alte effektvoll illuminierte Ölpresse eingelassen. Am liebsten hätte ich alles mitgenommen, allerdings ließen dies meine begrenzte Barschaft, die fehlenden Transportmöglichkeiten und die sengende Hitze von über 30 Grad (der schöne Schoppen...) nicht zu.

Steile Gasse in Spello

Assisi

Hauseingang in Assisi

Wer nach Umbrien reist, kommt an der zweitwichtigsten Pilgerstätte Italiens nicht vorbei, denn kein anderer Ort in dieser Provinz zieht die Massen der Touristen mehr an. Nicht alle Regionen Umbriens sind von der geologischen Instabilität gleichermaßen betroffen. Assisi gehört jedoch zur stark gefährdeten Zone. Zum großen Unglück der Fremdenverkehrsbranche hatte das verheerende Erdbeben von 1997 gerade dort ganze Arbeit geleistet und die wertvollen Fresken von San Francesco weitgehend verwüstet. In einer beispiellosen Restaurierungskampagne wurden diese bis zum Sommer 1999 wieder hergestellt. Als wir Assisi besuchten, standen noch einige Außengerüste vor der Grabeskirche des heiligen Franziskus und weitere in der gesamten Stadt. Selbst so etwas banales wie ein Baugerüst wird in Italien zum Kunstwerk: Ein wirrwarr von anthrazitfarbenen Stahlrohren verknüpft mit Schellen in Hochglanzmessing. Angesichts der aufwendigen Architektur und der prunkvollen Ausstattung dieser Doppelkirche – die Kapelle im Untergeschoss ist die eigentliche Pilgerstätte – bekommt man ein befremdliches Gefühl, wenn man den asketischen Lebensstil des Heiligen vergegenwärtigt. Assisi bietet jedoch viel mehr als nur dieses Aushängeschild: Zum Beispiel einen wunderschönen romanischen Dom, zahlreiche winzige Kapellen im geschlossenen mittelalterlichen Stadtbild und ein Viertel im Westen, welches komplett auf den Grundmauern und Sitzreihen eines römischen Amphitheaters erbaut wurde. Zum einen ist es hier sehr ruhig und idyllisch und zum anderen wird der Forscherdrang eines Germanen bestens erfüllt, wenn er den Verlauf eines antiken Theaters auf solch ungewöhnliche Weise nachvollziehen kann.

Hauseingang in Assisi

Perugia

Umbriens Metropole und Universitätsstadt liegt auf einem Tuffsteinhügel. Dahinter verbirgt sich ein poröses vulkanisches Auswurfmaterial, in welches man ohne größeren Aufwand Gänge, Keller und Lagerräume graben kann, was im Altertum bereits die Etrusker ausgiebig begonnen und die Peruginer bis in die Neuzeit fortgeführt haben. Selbst im zweiten Weltkrieg wurden noch Fluchttunnel vor den deutschen Belagerern vorangetrieben. Die Aushöhlung des Untergrunds hat zum Teil bereits bedrohliche Ausmaße erreicht, ähnlich wie in Orvieto. Durch die vollständig erhaltenen Stadtmauern führen teils etruskische, teils römische und auch mittelalterliche Eingangstore in ein unterirdisches Gangsystem. Den heutigen Bewohnern war die ständige Treppensteigerei die Hügel hinauf und wieder hinab wohl irgendwann zu viel, so dass man die inzwischen zur eigenen Attraktion gewordenen Rolltreppen installierte - eine Idee, so skurril, dass nur die stets praktisch denkenden Italiener darauf kommen konnten. Die südlichste führt über einige Umwege hinauf zur riesigen Aussichtsterrasse vor dem Palazzo della Provincia. Die Oberstadt öffnet sich zu großartigen Boulevards, wie dem zentralen Corso Vannucci, dem Laufsteg für die allabendliche Passeggiata der Einheimischen vor dem Essen und ist so gut wie vollständig den Fußgängern vorbehalten. Der Corso mündet vor dem Dom mit seiner unvollendeten Südfassade aus verschiedenfarbigem Travertin, dem Palazzo dei Priori und der Fontana Maggiore, einem mittelalterlichen Marmorbrunnen wie aus dem Bilderbuch. An solchen Orten ist Umbrien in Pracht und Überfluss seiner großen Konkurrentin im Norden, der Toskana, vollkommen ebenbürtig. Soweit die glanzvollen offensichtlichen Sehenswürdigkeiten Perugias. Wer aber diese Stadt wirklich im ganzen Umfang erleben will, sollte auch die extrem steilen Viertel links und rechts vom Corso Vannucci hinunterlaufen. Die Häuserfronten rücken hier immer enger zusammen, teilweise sind die engen Treppengassen vollständig überbaut. Das Straßenpflaster wurde im Laufe der Jahrhunderte derartig abgenutzt, dass selbst bei trockenem Wetter rutschfestes Schuhwerk erforderlich ist. Folgt dem Abhang hinunter, so landet Ihr irgendwann zwangsläufig wieder an einem der zahlreichen Tore in der Stadtmauer.

Perugia
Palazzo Provinciale in Perugia

Orvieto

Santa Maria

Das andere berühmte Tuffsteinplateau Umbriens liegt 300 Meter über dem Meeresspiegel. Nähert man sich von nordöstlicher Richtung, so wird die in den warmen Ockerfarben der Frühabendsonne schimmernde Silhouette Orvietos von der bombastischen Fassade des Duomo Santa Maria beherrscht. Wie eine gewaltige Trutzburg thront das mittelalterliche Häusermeer auf diesem natürlichen Überrest von Ascheablagerungen gewaltiger vulkanischer Eruptionen aus dem Gebiet des heutigen Lago di Bolsena vor 700 bis 800 Tausend Jahren. Viele Städte im nördlichen, in Erinnerung an seine Ureinwohner auch als Etrurien bezeichneten Teil des Latium teilen die Vorzüge und Gefahren dieses Materials mit der liebenswerten Stadt am geographischen Rande Umbriens, welche fälschlicherweise von Durchreisenden gerne als ein Teil der Toskana betrachtet wird. Doch nirgendwo ist die unmittelbare Bedrohung des Zusammenbruchs so gegenwärtig wie in Orvieto. In einem beispiellosen Forschungsprojekt haben Wissenschaftler bislang rund 1200 mehr oder weniger künstliche Hohlräume im porösen Untergrund entdeckt: Alte Brunnenschächte, verwinkelte Weinkeller, geheime Lagerräume, vergessene Abfallgruben, zahllose merkwürdige Nischen in den Wänden und etruskische Gräber haben den Felsen im Laufe der Jahrtausende durchlöchert wie einen Schweizer Käse. Ein Großteil dieser Höhlen liegt direkt unter den Gebäuden der Altstadt, befindet sich in privatem Besitz und ist für die Öffentlichkeit in der Regel nicht zugänglich. Diese Tatsache macht die Bestandsaufnahme für die Stadtväter besonders schwierig und die dringend notwendigen Sicherungsmaßnahmen zu einem Wettlauf mit der Zeit. Bereits Anfang der 90er Jahre geriet ein ganzes Hangstück des Plateaus ins Rutschen und ein beachtlicher Teil eines benachbarten Klostergartens war unwiederbringlich verloren.

Duomo Santa Maria (Detail nördliches Seitenschiff)

Orvieto hat wie so viele andere mittelalterliche Orte Italiens eine Neustadt und ein Centro Storico. Um diesen hoch auf dem Plateau liegenden Stadtteil zu erreichen, bieten sich zwei Möglichkeiten an: Mit dem Auto fährt man eine gut ausgebaute Serpentinenstraße im Norden hinauf und stellt den Wagen auf dem öffentlichen Parkplatz der weitläufigen Piazza Cahen am östlichen Stadtrand ab (800 LIT/Stunde - gilt nur für die blau umrandeten Stellflächen, die weißumrandeten sind frei, aber meistens gut belegt!). Eine elegantere Lösung bietet die Zahnradbahn Funicolare ab dem gebührenfreien Parkplatz am Bahnhof in der Ebene vor der Stadt: Für 1300 LIT pro Person (einfache Fahrt) transportiert sie Euch zum erwähnten Platz. Von dort aus lässt sich die Altstadt bequem zu Fuß über den ost-westlich verlaufenden Straßenzug Corso Cavour, Via Filippeschi und Via Malabranca erschließen. Einen detaillierten Rundgang durch Orvieto findet Ihr in meinem Beitrag 'Wunder aus Tuffstein'.

Lago di Trasimeno

Der See bietet für meine Begriffe nur wenige lohnenswerte Plätze zum Verweilen. Gewiss, er ist das mit Abstand größte Gewässer in Umbrien und aufgrund der legendären Schlacht zwischen Hannibal und den römischen Truppen bei Tuoro weltberühmt. Trotzdem hat es die Anrainer nicht davon abgehalten, seine Ufer mit einfallslosen brütend heißen Promenaden und teilweise potthässlichen Sommerresidenzen im Baukastenstil für die zahllosen Wassertouristen zu verschandeln. Am besten, man zieht sich in eine der befestigten Siedlungen auf den umliegenden Hügeln zurück und sucht sich ein schattiges Plätzchen. Monte del Lago zum Beispiel bietet mit seinen teils dem morbiden Verfall preisgegeben Sommerresidenzen und den auf und ab verlaufenden Treppengassen gewohntes rustikales Flair mit gelegentlichem Blick auf den See. Von oben ist er noch am schönsten.

Todi

Auf einer kleinen Aussichtplattform am östlichen Rand des Plateaus hatten ein paar Frauen Staffeleien aufgebaut und versuchten, die malerische Landschaft in Aquarellen zu interpretieren. Wie sich bei näherem Hinhören herausstellte, handelte es sich ausschließlich um Amerikanerinnen. Dieser Umstand ist nicht weiter verwunderlich, zumal Todi vor einigen Jahren im Rahmen einer Studie an der Universität Kentucky als ideale und lebenswerteste Stadt der Welt erkoren wurde, was einen wahren Ansturm von zivilisationsmüden US-Bürgern auf das viel zu kleine umbrische Städtchen zur Folge hatte. Die unzähligen Köstlichkeiten im schräg gegenüber der Plattform liegenden Eissalon verschafften nicht nur den Künstlerinnen sondern auch uns die nötige Geisteskraft, um die vor uns stehenden Kulturgüter zu würdigen. Nach etwa 100 Metern die Via Ciufelli entlang führt rechts eine Anlage von quer verlaufenden Schautreppen die steile Piazza Umberto I. bis zur Franziskanerkirche San Fortunato hinauf: Das wuchtige und reich verzierte gotische Eingangsportal verjüngt sich nach innen in acht Stufen. Links und rechts davon prangen zwei Seitenportale in der sonst schmucklosen Fassade. Der Campanile lugt links hinter dem Backsteingiebel hervor.

An der Piazza Umberto I. San Fortunato Am Rande der Stadt
An der Piazza Umberto I.
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San Fortunato
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Am Rande der Stadt
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Wieder unten angekommen sind es noch wenige Schritte bis links in die Via Mazzini. Diese führt direkt auf die Piazza del Popolo, das Herz von Todi. Der langgezogene Platz wird von drei mächtigen Palazzi dominiert: Der Palazzo dei Priori markiert den Anfang der Piazza und wird von einem wuchtigen Turm gekrönt. Zum Palazzo del Popolo im romanischen Stil führt eine großartige Freitreppe hinauf - er bildet mit dem gotischen Palazzo del Capitano eine Einheit. Zwischen beiden Komplexen befindet sich ein schmaler Zugang zur kleinen Piazza Garibaldi, die am hinteren Ende einen wunderschönen Ausblick auf die Ausläufer der Monti Martani gewährt. Die haushohe, rechts am Abhang stehende Zypresse soll angeblich 1849 von Garibaldi persönlich gepflanzt worden sein. Der Duomo Santa Maria am Ende der Piazza del Popolo wirkt gegen die monumentalen Paläste eher unscheinbar. Trotzdem sollte man die Domtreppe bis zur ungewöhnlich schlichten Hauptfassade – hier fehlen eindeutig die Giebelabschlüsse – hinaufgehen, denn von hier erschließt sich der zentrale Platz erst in seiner vollen Pracht: Die perfekte Harmonie aus Campanile, Schwalbenschwanzzinnen und Triforienfenster der Paläste sowie das von allen störenden modernen Elementen freie Steinpflaster erinnert ein wenig an die berühmte Piazza del Campo in Siena, dem unbestritten schönsten Platz der Welt.

Palazzo del Popolo Duomo Santa Maria
Palazzo del Popolo
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Duomo Santa Maria
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Angesichts dieser Herrlichkeit möchte man kaum glauben, dass das Centro Storico nach dem verheerenden Brand von 1982 erst elf Jahre später wieder aufgebaut war. Rechts neben dem Dom führt eine Gasse in ein mittelalterliches Viertel mit Treppengassen, welche nach einigen Metern abwärts zu einem Fußweg oberhalb der etruskischen Stadtmauer führen. Die Via del Monte mündet schließlich wieder in der Via Ciufelli, unserem Ausgangspunkt. Ein weiterer interessanter Abstecher verläuft links vom Palazzo dei Priori über den Corso Cavour und die Via Roma zur Porta Marzia – ich kann allerdings empfindliche Gemüter nur warnen: Der Verkehr auf dieser Achse ist nervtötend. Unaufhörlich quälen sich PKWs durch die engen Gassen und scheuchen die Passanten in jede verfügbare Ecke. Kurz vor dem etruskisch-römischen Stadttor geht es links hinunter zum alten Marktplatz, der Piazza del Mercato Nuovo. Von einem heidnischen römischen Heiligtum sind noch die Überreste in Form dreier Nischen in der Stützmauer vorhanden. Eine weitere Attraktion, Santa Maria della Consolazione in der Ebene vor dem Hang schafften wir auf diesem Tagesausflug nicht, aber die Kuppelkirche auf dem Kleeblattgrundriss sollte eigentlich bei einem Todibesuch nicht fehlen.

Narni

Nur 10 Kilometer liegen zwischen der Großstadt Terni und dem mittelalterlichen verschlafenen Narni auf einem Hügel. Aber auch hier ist die nahe Industriezone in Form der Neustadt Scalo mit all ihren hässlichen Auswirkungen auf Landschaft und Umwelt spürbar. Bekannt ist Narni in erster Linie durch den Ponte di Augusto, die Überreste einer gewaltigen römischen Brücke aus dem 1. Jahrhundert v. Chr. über das Neratal. Abgesehen davon befindet sich hier ganz in der Nähe der exakte geographische Mittelpunkt Italiens – eine wirklich aufregende Vorstellung! Meine Mitreisenden fanden diesen Umstand eher unbedeutend, um nicht zu sagen blödsinnig, aber so unterschiedlich sind eben die Interessen. Mit dem Auto geht es hinauf bis zur Porta Tenara, wobei ich von der Fahrt ins Zentrum abrate. Der weitläufige Parkplatz unterhalb der Stadtmauer ist durch Aufzüge mit dem höher gelegenen Teil verbunden und zum Teil kostenfrei. Relativ schnell hatten wir die kleine Piazza Cavour mit dem Duomo San Giovenale, einer vierschiffigen Kirche im romanischen und gotischen Mischstil, erreicht. Auf der Via Garibaldi, der einzigen Straße mit nennenswerten Einkaufsmöglichkeiten in der Altstadt, passiert man einige der Hauptsehenswürdigkeiten, die Hallenkirche San Francesco ist über die Seitengasse Via del Campanile zu erreichen. Der Weg endet an der Piazza dei Priori. Hier gibt es neben dem gleichnamigen Stadtpalast den Palazzo del Podestà zu bewundern: Der Innenraum ist frei zugänglich, weil hier heute das Rathaus untergebracht ist und beherbergt einige antike Fragmente, alte Wasserbecken und einen nicht mehr genutzten Tiefbrunnen. Am Ende der Piazza steht ein mehreckiger Brunnen.

Im Palazzo del Podestà Brunnen an der Piazza dei Priori
Im Palazzo del Podestà
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Brunnen an der Piazza dei Priori
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Für mich war der Weg zur Burganlage auf der Spitze des Hügels der Höhepunkt: Entweder man läuft auf der leicht ansteigenden Straße um den Berg herum und erreicht irgendwann zwangsläufig die Rocca Albornoz oder quält sich die steilere Route über halsbrecherische Treppengassen (Via del Monte) durch den mittelalterlichen, mit Bögen überspannten Stadtteil hinauf. Oben steht man auf einmal vor einem weitläufigen Gelände mit Pinien- und Olivenhainen sowie einem kleinen Wald und im Hintergrund thront die imposante Festung aus dem 14. Jahrhundert vor dem Hintergrund eines stahlblauen Himmels – ein Bild für die Götter!.

Rocca Albornoz
Rocca Albornoz
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Leider hatte die frisch renovierte Anlage in der Mittagszeit geschlossen und so genossen wir hier oben eine Zeit lang die Ruhe und sammelten zur Freude meines kleinen Sohnes Pinienkerne, welche in Unmengen herumlagen.

Arrezzo

Natürlich gehört Arrezzo zur Toskana, ist mir schon klar. Aber die unmittelbare Nähe und seine unüberschaubare Masse von Sehenswürdigkeiten machen es zum Pflichtprogramm. Neben dem weltberühmten Siena finden in weiteren italienischen Städten regelmäßig mittelalterliche Reiterwettkämpfe statt. Der Palio von Arrezzo stand bei unserem Besuch kurz bevor und die in bunten historischen Kostümen gewandeten Reiter der konkurrierenden Stadtteile waren schon schwer am trainieren, während die Ordnungshüter mit tödlich ernstem Gesicht jeden Flaneur vor die Absperrungen verwiesen. Damit die Pferde auf möglichst optimalen Untergrund ihr Werk verrichten können, wurde der zentrale Platz vor dem Rathaus rund 20 cm hoch mit Sand aufgeschüttet, festgewalzt und mit wuchtigen Stahlrohrtribünen bestückt. Während in Siena dreimal im Kreis um die Wette geritten wird, müssen die Gegner hier mit meterlangen Lanzen bewaffnet ein Ziel punktgenau treffen. Das Spektakel ist wie üblich schon Monate vorher ausverkauft und selbst die Generalprobe am Tag zuvor kann nur mit Eintrittskarte besucht werden. In Arrezzo findet Ihr außerdem noch einen gewaltigen Dom mit einem eleganten schlanken Campanile, eine alte Burganlage mit phantastischer Aussicht auf die umliegenden Täler und den Palazzo Communale. Im Gegensatz zu den umbrischen Städten herrscht hier wieder das aus der Toskana gewohnte Überflussangebot im Einzelhandel. Die vielen prachtvollen Einkaufsstraßen lassen es schwer fallen, sich auf die unzähligen historischen Sehenswürdigkeiten zu konzentrieren. Wir konnten eines der grandiosen Haushaltsgeschäfte nicht ohne eine klassische Pavoni verlassen.

Fassade in Arrezzo
Fassade in Arrezzo

Hauseingang in Arrezzo

Hauseingang in Arrezzo

Arkaden in Arrezzo

Meine Beschreibungen geben natürlich lediglich die Eindrücke zweier 14-tägiger Aufenthalte wieder und können in der Auswahl der Orte keinen vollständigen Querschnitt über Umbriens Sehenswürdigkeiten bieten. Städte wie Spoleto, Foligno, Norcia, oder Terni, die ich allesamt nicht gesehen habe, sind in jedem Fall auch einen Besuch wert. In Torgiano waren wir nur an einem verregneten Tag und haben die köstlichen Rotweine verköstigt.

Arkaden in Arrezzo

Kulinarisches für den Kofferraum

Rotweine und sortenreine Grappe aus Torgiano von Lungarotti oder Vignabaldo, den berühmten strohfarbenen Orvieto Classico Superiore (z.B. von der Cooperativa vitivinicola per la zona di Orvieto – kurz CO.VI.O – an der Hauptstraße zwischen Orvieto und der Auffahrt zur Autostrada A1). Trüffelpasten (Tartufata) zur Verfeinerung der Pasta, Olivenöle, eine Unzahl von Pecorinovariationen und Widschweinschinken. Alles auch erhältlich in den bestens sortierten Supermärkten um Perugia herum.