Toskana 2015

Montaione

Gegen Spätnachmittag erreichen wir unser Domizil in der Toskana. Es herrscht drückende Hitze und am Firmament braut sich etwas zusammen. Nach einer kurzen Einweisung durch den hiesigen Hausmeister in rasantem Italienisch ist ein Grundeinkauf im nächstgelegenen Supermarkt in Montaione angesagt. Bereits auf dem Hinweg treffen uns die ersten Regenschauer und spätestens auf dem Parkplatz ist Rennen angesagt, um in einem einigermaßen menschenwürdigen Zustand den Laden zu betreten. Danach bricht die Hölle los ... Nach Abschluss unserer Einkäufe warten wir zusammen mit einer unüberschaubaren Schar von Feriengästen, bis sich die ersten Wolkenbrüche gelegt haben. Kaum haben wir im Wagen den Ort verlassen, bricht der Gewittersturm von neuem los. Als die Sichtweite keine 10 Meter mehr beträgt, fahre ich rechts ran und warte, bis das Inferno mit seinen Sturzbächen vorüber ist. Wenn ich mich an die heftigsten selbst erlebten Unwetter der letzten 20 Jahre erinnere, dann fanden diese meistens in diesen Breitengraden statt. Mittelitalien scheint in dieser Hinsicht ein wahrer Hotspot zu sein.

Lucca

Lucca - Torre Guinigi Sieht man mal von einem Urlaub mit den Eltern Anfang der 80er auf Elba ab, so war die Festung am Serchio meine erste Begegnung mit einer der intensivsten Städte der Toskana. Fast 20 Jahre später hat sich nur wenig verändert. Von der Promenade des intakten Bastionenrings aus dem 17. Jahrhundert überblickt man noch immer das Oval eines vollkommen harmonischen mittelalterlichen Stadtbildes. Die Bäume auf der Spitze eines Turmes rufen ungläubiges Staunen hervor. Und so gilt es, den direkten Weg zu diesem Wunderwerk zu finden. Er führt uns vorbei an der Piazza San Francesco, wo wir als Opfer eines gewieften Animateurs in der nahegelegenen Pizzeria Mara Meo landen. Nur Touristen dort, aber Mittagessen muss sein ... dafür gibt es Monsterventilatoren mit eingebautem Wasserzerstäuber, beinahe drei Minuten freies WLAN und gelangweilte osteuropäische Studentinnen als Bedienung. Gut ... weiter geht's ...

Lucca - Panorama der Piazza dell'Anfiteatro Durch die Via del Fosso verläuft ein von Mauern und Bögen gesäumter Kanal. Weiter über die Via del Fratta und ein paar Abzweigungen später erreichen wir die Via Anfiteatro, die verläuft fast kreisrund, aber wo ist denn nur das Theater? Ein kleiner Gang durch ein Tonnengewölbe eröffnet schließlich den Weg auf die gleichnamige Piazza mit ihrer beeindruckenden Form. Der Verlauf der Ränge des antiken römischen Amphitheaters (2. Jh.) ist exakt an den Außenwänden der auf den Grundmauern errichteten Häuser nachvollziehbar. Der Boden der 10.000 Zuschauer fassenden Arena befindet sich heutzutage etwa drei Meter unterhalb des Pflasters. Ein paar Straßen weiter südlich haben wir unser vorläufiges Ziel erreicht. Der Torre Guinigi präsentiert auf seiner Plattform in 45 Metern Höhe einen kleinen Garten mit Steineichen. Der Wahnsinnsblick über die roten Ziegeldächer der Altstadt muss an diesem Tag jedoch hart erkämpft werden, denn auf nahezu jedem Quadratzentimeter steht jemand und sucht nach seinem ultimativen Selfie vor dem Panoramahintergrund. Nicht mal die hohen Pflanzkisten sind mehr sicher. Vor 19 Jahren waren wir hier oben noch alleine …

Lucca - Duomo di San Martino (1196-1204) Zumindest konnte ich weitere lohnenswerte Objekte innerhalb der Stadtmauer erspähen, so zum Beispiel den Duomo di San Martino, San Michele in Foro und den Torre dell'Orologio. Nur wenige Minuten sind es bis zur Kathedrale, einem Prachtwerk in weißem Carrara. Vor der eigentlichen Hauptfassade hat Guidetto da Como eine Vorhalle mit drei darüber liegenden Loggien aus Säulen und Bögen geschaffen, welche von feinsten gemeißelten Ornamenten überzogen sind. San Michele, die zweitwichtigste Kirche Luccas aus dem 12. Jahrhundert, hat sogar an den Seitenschiffen angebrachte Blendarkaden und Zwerggalerien und somit eine nicht mehr nur auf das Hauptportal beschränkte Prachtfassade. San Frediano mit seinem prächtigen goldenen Mosaik aus dem 13. Jahrhundert über dem Hauptportal ist ein klassisches Beispiel frühchristlicher romanischer Architektur. Der dreischiffige Innenraum ruht auf Säulen mit teils original römischen Kapitellen, die man dem ehemaligen Amphitheater entnommen hat.

Certaldo Alto

Certaldo - Palazzo Pretorio Das historische Zentrum der Kleinstadt im Val d´Elsa liegt auf einem Plateau oberhalb der Neustadt, kann mit einer Standseilbahn, dem Funicolare, bequem erreicht werden und besteht aus nur einer Hauptstraße. Diese führt gerade Wegs auf den zinnen bewehrten Palazzo Pretorio mit seinen auffälligen Wappen aus glasiertem Terrakotta, Sandstein und Marmor zu. Sie erinnern an die hier seit dem 15. Jahrhundert residierenden Vikare. Bei unserem letzten Besuch hier oben waren wir weitgehend allein und die Attraktionen beschränkten sich auf die gut erhaltenen Fassaden. Inzwischen ist hier vieles renoviert, einige Läden und Restaurants haben eröffnet – ein ähnlich idyllischer Ort wie Monteriggioni 2003, welcher heute in der Hauptsaison völlig überlaufen ist. Geradeso kommen wir noch zu unserem Nachmittagsmahl im Ristorante L'Antica Fonte. Von seiner Terrasse schweift der Fernblick über einen Olivenhain und die Dächer von Certaldo Basso in Richtung Süden zu den Türmen von San Gimignano.

Pisa

Pisa - Piazza dei Miracoli (Duomo und Campanile) "Zum scheppen Turm fahren nur Amis und Japaner! Touristenkitsch ... braucht kein Mensch!" Unser Pauschalurteil über den mächtigen Seefahrerstadtstaat konnte lange Zeit erfolgreich aufrecht erhalten werden. Auch wenn inzwischen Inder und Chinesen den westlichen Touristen den Rang abgelaufen haben, gibt es nun keine Ausrede mehr: Eines der bedeutendsten Toskanaziele liegt diesmal nur gut eine Autostunde entfernt und keiner von uns hat es bisher gesehen ...

Pisa - Piazza dei Miracoli Sengende 35°C, so muss das sein, wenn man sich mit etwa 5000 Kreuz- und Busfahrern auf der begrenzten Piazza dei Mirácoli drängelt. Und während Hundertschaften versuchen, in hochnotpeinlichen Verrenkungen einen sich gefährlich nach Süden neigenden Campanile pantomimisch zu stützen – in Hoffnung auf den Award für das garantiert originellste Foto des Jahres in Facebook – sitzt eine nicht unbeträchtliche Menschenmenge entspannt palavernd auf dem gepflegten Rasen zwischen Battistero, Duomo und Torre Pendente. Aber nur wenige Minuten weilt der Frieden ... dann erschallt eine infernalische Trillerpfeife und ein uniformierter Aufpasser treibt wild gestikulierend die Uneinsichtigen vor sich her, bis auch der letzte hinter die Absperrung mit den seltsam deplatzierten Verbotsschildern verschwunden ist. Es dauert keine 10 Minuten, bis sich erste Anarchisten wieder auf der Luxuswiese lümmeln. Nach weiteren 5 sieht alles aus wie vorher und das Katz- und Maus-Spiel beginnt von neuem. Die echten Hardcore-Fotografen haben im Übrigen heutzutage immer einen ‚Selfie-Stick‘ griffbereit im Anschlag. Selbigen kann man sich zuvor bei einem der zahllosen fliegenden afrikanischen Händler erschachern und anschließend die Mitmenschen mit lebensgefährlichen Stichverletzungen malträtieren.

Pisa - Campanile (Torre Pendente, ab 1173) Ach ja: Den schiefen Turm haben wir natürlich auch entdeckt. Nach menschlichen Maßstäben kann der gar nicht mehr von selbst stehen. Da wurde Ende der 90er Jahre ganz gehörig mit Stahlseilen, Tonnen schweren Bleigewichten und unsichtbaren Stahlbetonarmierungen manipuliert, nachdem die ganze Welt sich berufen fühlte, geniale Vorschläge zur Rettung des Campanile einzureichen. Echten Erfolg brachte erst die eigentlich simple Methode, unter dem höheren Teil des Fundaments Bodenmasse zu entnehmen. Nun steht er zwar immer noch rund 4 Meter an der Spitze aus dem Lot, droht aber in nächster Zeit nicht mehr umzustürzen. Am Fuß des Turmes tritt die extreme Schieflage jedoch immer noch deutlich zu Tage. Das Erdgeschoss ist von Blendarkaden aus mehrfarbigen Ornamenten umgeben. Darüber erheben sich sechs Geschosse mit außen liegenden Säulengalerien. Den Abschluss bildet die Glockenstube mit einer darüber liegenden Aussichtsterrasse. Der Turm misst heute 55 Meter – kaum zu glauben, dass der ursprüngliche Plan einmal 100 Meter vorsah, was sich im Laufe der fast zweihundertjährigen Baugeschichte als utopisch erweisen sollte. Zugegeben ein wirklich pompöses und gelungenes Marmorkunstwerk, welches sogar Galileo Galilei zur Entdeckung der Fallgesetze inspirierte. Nur wie konnte es passieren, dass ein hoch talentierter Architekt wie Bonanno die Beschaffenheit des Untergrundes (Sand und Morast) dermaßen falsch einschätzt? Wahrscheinlich hatte er die weltweite magische Anziehungskraft eines solchen Missgriffs vorher gesehen. Wie gesagt: Seit der Jahrtausendwende dürfen endlich wieder nach Voranmeldung wenige Besucher pro Stunde hinauf und gleichzeitig die horrenden Kosten für die Sicherungsmaßnahmen bezahlen. Anders ist der Phantasiepreis von 18 € pro Person für die Besteigung eines (schiefen!) Turmes nicht zu erklären.

Pisa - Duomo di Santa Maria Assunta (Westfassade, ab 1063) Wir sparen uns die 72 Euronen – und an dieser Stelle sei noch einmal eindrücklich darauf hingewiesen, dass das mal 140 D-Mark waren – und gehen stattdessen zu einem festgesetzten Zeitpunkt, dafür aber kostenlos in die Kathedrale, neben dem Battistero und dem Camposanto eines von vier Monumenten im Bezirk der Wunder. Santa Maria Assunta war lange Zeit der mächtigste Bau der Christenheit und hat spätere Projekte in Florenz und Siena maßgeblich beeinflusst. Zum ersten Mal überhaupt stellten Baumeister vor das tragende Mauerwerk eine Fassade, welche unten Blendarkaden enthielt und in den folgenden Etagen durch Zwerggalerien und kunstvoll verzierte Säulen dekoriert wurde. Auch der Duomo litt allerdings bereits nach kurzer Zeit unter dem mangelhaften Untergrund, so dass ein Teil des Fundaments am westlichen Ende absackte und durch entsprechende Ergänzungen wieder auf das erforderliche Niveau gebracht wurde, wie man noch heute an den seitlich aus der Flucht laufenden Linien des Mauerwerks erkennen kann.

Pisa - Battistero San Giovanni (1153-1358) Der Friedhof am nördlichen Ende des Platzes ist einer der ältesten noch existierenden ummauerten Bezirke seiner Art überhaupt und wurde Anfang des 13. Jahrhunderts von Kreuzfahrern mit Schiffsladungen heiliger Erde aus Palästina befüllt. Die oktogonale Taufkirche gilt als der größte derartige christliche Bau der Welt. Carrara-Marmor ist das Hauptmaterial für alle Bauwerke der Piazza und schafft zusammen mit den wiederkehrenden Gestaltungsmitteln ein harmonisches Gesamtbild. In der nordwestlichen Ecke nimmt der jüdische Friedhof einen nicht unerheblichen Raum ein, ist jedoch aufgrund der doppelt gesicherten ca. sechs Meter hohen Stadtmauer und der verschlossenen Porta Leone zur Piazza dei Mirácoli für uns nicht erreichbar.

Pisa - Lungarno Pacinotti Auch wenn der Platz der Wunder unbestreitbar die großen architektonischen Attraktionen beherbergt, kann das übrige Stadtbild Pisas mit seinen Lungarni, den von einer einheitlichen Bebauung gestalteten Flussufern beidseits des Arno, durchaus überzeugen. Die nur einen kurzen Fußweg durch kaum frequentierte Gassen entfernte Piazza dei Cavalieri mit dem von reichhaltigen Fresken geschmückten Palazzo della Carovana und anderen Renaissancebauten sollte man nicht verpassen. Letztendlich begegnen wir überall am Rande des Centro Storico den allgegenwärtigen, fast komplett erhaltenen mittelalterlichen Stadtmauern.

San Vivaldo

Montaione - Kapellen Madonna dello Spasimo und Casa di Pilato von San Vivaldo Nur wenige Kurven und gut 4 Kilometer von unserem Domizil entfernt entdecken wir am Waldrand einige Kapellen. Vom nahe gelegenen Parkplatz aus lassen diese sich bequem zu Fuß erkunden und sorgen zunächst für Irritationen: Alle sind verschlossen und scheinen gänzlich ungenutzt. Ähnlich einem Kreuzweg miteinander verbunden verteilen sie sich über die Hügelkuppen und sind nach biblischen Stationen benannt. Wie wir später auf einer Schautafel erfahren, wurde die Anlage ab 1500 von Franziskanermönchen mit Hilfe der Dorfbewohner errichtet und sollte als Alternative für die damals kostspielige und gefährliche Pilgerreise ins heilige Land fungieren. Bis heute ist der heilige Berg von San Vivaldo eine der bedeutendsten Pilgerstätten in Italien. Am Ende des Rundwegs und auf halber Strecke der schmalen Straße durch den Wald und wieder zurück befindet sich die Kirche aus dem 14. Jahrhundert mit dem angeschlossenen Kloster zu Ehren des heiligen San Vivaldo, der hier im Jahre 1320 in einer Höhle den Tod als sich selbst kasteiender Einsiedler fand. In der kleinen Osteria sind wir an diesem verregneten Abend die einzigen Gäste, was uns fast schon unangenehm ist, da das Personal offensichtlich am Aufräumen war. Aber unsere Sorge ist unbegründet, denn nach kurzer Wartezeit stehen köstliche Pasta und ein üppiges Steak auf dem Tisch.

Volterra

Volterra - Palazzo dei Priori (ab 1208) Ich erinnere mich noch vage an ein Parkvergehen vor 19 Jahren, als wir an einem nebligen Sonntag im Mai – es war Muttertag – auf einem menschenleeren Parkplatz vor den Toren der Stadt einen Polo abstellten und ca. 8 Wochen später ein Ticket über 70 DM nach Hause erhielten. Insofern sind die 12 € die man heute ganztägig pauschal von allen PKWs einkassiert ein wahres Schnäppchen ... Da eine solche Summe kein Mensch in Münzen in der Tasche hat, nimmt die verdammte Parkuhr selbstverständlich Kreditkarten. Und wie aus dem Nichts erscheint in diesem Moment geschultes Hilfspersonal, welches freundlichst die Bedienung der hypermodernen Abbuchungsmaschine erklärt, so dass auch ja niemand auf subversive Ideen kommt. Im Schröpfen von Autofahrern belegen italienische Behörden einen internationalen Spitzenplatz. Auch die Erfindung der vollautomatischen Tankstelle geht auf das Konto der Azzurri. Wie selbstverständlich stecken wir eine Banknote nach der anderen in einen Apparat, füllen eigenhändig überteuertes Benzin in unseren Tank, während der Pächter der Zapfsäulen noch nicht mal anwesend ist. Das ist die zeitgemäße Form des "Dolce far niente".

Volterra - Via Giacomo Matteotti Doch grundsätzlich ist Volterra als ein Mitglied des legendären etruskischen Zwölfstädtebunds natürlich immer eine Reise wert. Bei schönem, klaren Wetter sieht man von hier oben sogar die Bergkuppen Elbas und Korsikas, heißt es, was uns bislang jedoch leider nie vergönnt war. Nach dem Passieren der Porta a Selci empfängt uns zunächst die gewaltige, gegenwärtig als Hochsicherheitsgefängnis genutzte Fortezza Medicea aus dem 15. Jahrhundert. Der lange Straßenzug der Via Don Givanni Minzoni und Antonio Gramsci führt linker Hand vorbei am archäologischen Park mit den Überresten der etruskischen Akropolis ins historische Zentrum rund um die Piazza die Priori. Der gleichnamige Palazzo ist das älteste noch erhaltene Rathaus der Toskana und war sogar Vorbild für den berühmten Palazzo Vecchio in Florenz. Bis hinauf zur Piazza führen dunkle, schluchtenähnliche Gassen vorbei an trutzigen mittelalterlichen Palazzi. Dort, wo sie besonders eng beieinander stehen, spannen sich die Hauswände stützende Bögen über die Straßen.

Volterra - Teatro Romano (1. Jh. v. Chr.) Heute hat uns ein Wochenmarkt vor den Toren der nördlichen Stadtmauer gelockt. Der beschränkt sich wie üblich in Italien auf preiswerte, meist aktuelle Textilmode, ein paar Haushaltsgegenstände und Delikatessen aller Art und ist schnell abgelaufen. Im benachbarten römischen Amphitheater aus dem 1. Jahrhundert wurde ein Teil des Bühnengebäudes wieder aufgebaut, von den Thermen stehen einige Säulenreihen.

Als wir im Café sitzen, fällt uns die Titelschlagzeile einer aktuellen Tageszeitung ins Auge. Diese berichtet über den aktuellen sensationellen Fund eines weiteren, in Vergessenheit geratenen Theaters nördlich der Altstadt nahe der Porta di Diana. Mittlerweile hat man die Struktur einer über 80 Meter langen ovalen Arena für rund 10.000 Zuschauer, einer für die Zeit des 1. Jahrhunderts typischen Kampfstätte für Gladiatoren und Tierhatzen belegen können. Schon jetzt gilt die Entdeckung als der bedeutendste römische Theaterfund der letzten hundert Jahre.

Volterra - Porta dell'Arco (4. Jh. v. Chr.) Auf der Südseite der Altstadt findet sich mit der etruskischen Porta dell'Arco aus dem 4. Jahrhundert vor Christus das älteste Tor in der Stadtmauer. Auf den Gassen Volterras finden sich bis heute betriebene Alabasterwerkstätten, in denen man über und über mit weißem Staub bedeckte Steinmetze bei der Bearbeitung des bereits in der Antike begehrten Minerals beobachten kann.

San Gimignano

San Gimignano - Piazza Duomo mit Torri dei Salvucci war einstmals eine US-amerikanische Domäne – zumindest am helllichten Tag. Doch die Zeiten ändern sich. Abgesehen davon, dass in diesem Sommer Frankreich geschlossen in die Toskana gefahren zu sein scheint, haben auch hier mittlerweile die Chinesen aufgeholt. Sie wälzen sich zusammen mit tausenden anderen durch die südliche Porta und die zentrale Via San Giovanni hinauf, unter dem Arco dei Becci hindurch und passieren die Piazza della Cisterna – benannt nach einem achteckigen mittelalterlichen Brunnen. Ein schmaler Durchgang führt anschließend zum zentralen Versammlungsort, der Piazza del Duomo mit der Loggia del Comune, einer auf beiden Seiten offenen Halle, welche nahezu immer von lärmenden Touristengruppen bevölkert ist. Links davon steht der Palazzo Comunale sowie die Kathedrale mit der einladenden Freitreppe davor (von Touristen besetzt) und gegenüber der Palazzo vecchio del Podesta, dessen offene, von einem mächtigen Bogen begrenzte Eingangshalle gerne von musizierenden Reisegruppen genutzt wird.

San Gimignano - Via und Porta San Giovanni Im Prinzip kenne ich jede Ecke des Städtchens bereits von früheren Besuchen. Um wirklich Neues zu entdecken, ist es mit seinen gerade mal drei Hauptstraßen zu klein. Dort kann man neben den gängigen toskanischen Delikatessen auch täuschend echt wirkende Replika von Schwertern erwerben, was die jugendlichen Nahkampfexperten außerordentlich erfreut. Aber den Blick vom Torre Grossa muss ich meinen Jungs dann doch zeigen. Nur aus der Vogelperspektive oder weiter Entfernung lässt sich das berühmte Panorama San Gimignanos erfassen. Obendrein ist im Preis die Ausstellung namhafter Künstler der Renaissance im Museo Civico des Palazzo Comunale enthalten. Der Turm ist mit 54 Metern die höchste Stelle am Ort und der schwindelerregende Ausblick auf die umgebenden Geschlechtertürme weckt Assoziationen an den Frankfurter Maintower, mit dem Unterschied, dass wir hier von geschlossenem Mittelalter umgeben sind. Bemerkenswerterweise war man auch damals mit den Torri dei Salvucci schon geneigt, Zwillingsbauten zu errichten. Von den einst 72 Türmen stehen heute nur noch 18, der Rest dürfte dem Zahn der Zeit und statischen Unzulänglichkeiten zum Opfer gefallen sein und als Steinbruch für darauf folgende Bauprojekte gedient haben.

Gegen Abend, wenn die Masse der Tagestouristen den Ort verlassen hat, kehrt sogar eine entspannte Ruhe ein und man kann vom Sitzplatz einer Bar die raffinierten Illuminationen an den mittelalterlichen Gebäuden wirken lassen.

Castellina in Chianti – Radda in Chianti – San Pietro a Cedda

Castellina in Chianti - Via delle Volte Ein verregneter Tag begleitet uns auf der als Panoramafahrt geplanten Tour ins Chianti Classico. So wundert es nicht, dass wir die im Reiseführer gepriesenen Weinschlösser nicht sehen. Immerhin finden wir Castellina in Chianti, einen der wohl bekanntesten Ziele des Rotweintourismus, in dem man neben einer absurden Münzprobiertheke auch ganz normale Läden findet, in denen der Betreiber einfach mal unverbindlich einen netten Schluck zum Test ausschenkt. Die einzige ungewöhnliche Attraktion entdecke ich mit der Via delle Volte, die früher zu militärischen Zwecken genutzten Tunnelgänge entlang der Festungsmauer. Passend zum Charakter einer Burganlage fällt dann auch die ganz aus Bruchstein erbaute Chiesa di San Salvatore aus.

Radda in Chianti - Propositura di San Niccolò Weiter als bis Radda fahren wir heute nicht. Der ovale Grundriss offenbart noch immer den Charakter eines befestigten mittelalterlichen Marktfleckens, welcher durch seine Lage zwischen den Republiken Florenz und Siena lange Zeit umkämpft war. Um die zentrale kleine Piazza Ferrucci drängen sich der Palazzo Comunale mit seiner Kreuzgewölbeloggia, ein Brunnen und die Propositura di San Niccolò.

Poggibonsi - Chiesa di San Pietro a Cedda (11. Jh.) Auf dem Rückweg, bereits auf dem Ortsgebiet von Poggibonsi, fällt uns auf einer Anhöhe an der Straße eine einsame Kirche ins Auge. Die Chiesa di San Pietro a Cedda stammt aus dem 11. Jahrhundert und beeindruckt mit einem nahezu fugenlos perfekt ineinander gearbeiteten Sandsteinmauerwerk. Etwas abseits steht ein überdachter Brunnen.

Vinci

Vinci - Blick vom Castello Nördlich von Empoli am Fuße des Montalbano liegt der Geburtsort des italienischen Universalgenies. Das beschauliche Städtchen lebt im Wesentlichen von den Touristenscharen, welche das mit Modellen und Skizzen Leonardos bestückte Museo Leonardiano di Vinci belagern. Die Ausstellung ist auf mehrere Gebäude verteilt, wobei die wirklich spektakulären mechanischen Repliken von tatsächlich erprobten Baumaschinen und utopischen Flug- und Kriegsgeräten erst im zweiten Teil im Castello dei Condi Guidi zu bestaunen sind. Obendrauf gibt es dann noch den Wahnsinnsblick von der Aussichtsplattform des Burgturms. In der Ferne erhebt sich als einzige markante Landmarke der Turm von

San Miniato.

San Miniato - Blickrichtung Süd (Palazzo Comunale, Chiesa del Crocifisso, Duomo) Eine knappe halbe Stunde von Il Castagno über den Hügel von Montaione und entlang des Flüsschens Egola auf einer kaum befahrenen Straße in einem lieblichen Tal, dann erreichen wir San Miniato. Die einstige Festungsstadt der staufischen Kaiser wird gekrönt von der Rocca di Federico II, der Trutzburg von Friedrich II. Früher noch mit dem Zusatz „al Tedesco“ versehen liegt sie auf schmalen Hügelkämmen – das vermutlich längste Dorf Italiens. An diesem Nachmittag ist kaum ein Mensch auf den engen Gassen unterwegs, sind einige Geschäfte aufgrund der Ferienzeit geschlossen. Und doch wird das Ortsbild einladender, je mehr man sich der Mitte nähert. Die Biblioteca Comunale mit ihren umlaufenden Arkaden ist im ehemaligen Convent von San Domenico untergebracht und mit etlichen Gedenktafeln geschmückt, so z.B. an die Zerstörungen im zweiten Weltkrieg. Oberhalb der Piazza mit ihrer langgezogenen von Fresken geschmückten Fassade des Istituto Diocesano Sostentamento Clero ist die Cattedrale di Santa Maria Assunta e di San Genesio über zwei steile Treppen zu erreichen. Auch hier im Zentrum des Ortes sind kaum Touristen zusehen – ein echter Geheimtipp in der sonst so erschlossenen Toskana.

San Miniato - Torre di Federico II Zur Burg führen nochmals steile Treppenwege hinauf. Der Platz vor dem Turm, dem einzigen Überbleibsel der Festung gibt nicht viel her, daher entschließe ich mich zu einer Besteigung. Die letzten Meter nach einer zwar engen, aber gut begehbaren Holztreppe haben es in sich: Die steinerne Wendeltreppe bis zur Plattform ist in der Mitte lediglich durch ein senkrechtes Seil gesichert und so eng, dass ich glaube, mit jeweils einem Fuß ins Leere zu treten. Die Aussicht von der 37 Meter hohen Spitze kann dafür nur als spektakulär bezeichnet werden. Erst von hier oben erkennt man die sich wie Tentakel in alle Himmelsrichtungen erstreckenden wenigen Straßenzüge der Stadt. Nichts im weiteren Umkreis kommt aufgrund der exponierten Lage auf dem fast 200 Meter hohen Hügel auch nur annähernd an diese Landmarke heran. Allerdings hatte die deutsche Wehrmacht 1944 nichts Besseres zu tun, als das Wahrzeichen zu sprengen. Erst 1958 wurde es rekonstruiert.

Florenz

Ein Ausflug in die Weltkulturhauptstadt will genau geplant sein. Mit dem eigenen Wagen dort hinein zu fahren ist schon mal so gut wie ausgeschlossen, da Florenz neben Venedig und Siena die wohl strengsten Zufahrtsbeschränkungen verhängt hat. Also dann lieber in Certaldo in den Nahverkehrszug gesetzt und bis in die Innenstadt gezuckelt. Doch auch diese Alternative erfordert den vollen körperlichen Einsatz, denn im August rund eine Stunde in einem unklimatisierten, miserabel belüfteten Blechkasten ausharren zu müssen, welcher bereits seit den frühen Morgenstunden von der glühenden Sonne aufgeheizt wurde, setzt eisernen Willen voraus. Bei Temperaturen nahe der 50°-Marke erweist sich jedes kleine Fahrtlüftchen, welches den Weg durch die unverschämt winzigen Oberlichter gefunden hat, als überlebenswichtig.

Florenz - Santa Maria del Fiore (ab 1296) Von Santa Maria Novella sind es nur noch wenige Schritte bis zum historischen Kern mit seinen einzigartigen Sehenswürdigkeiten. Sofern man diese überhaupt zu Gesicht bekommt ... Als wir am Duomo Santa Maria del Fiore ankommen, ist der Teufel los: Die beiden Schlangen für den Innenraum bzw. den Aufgang zur Kuppel führen jeweils einmal komplett um die nicht gerade kleine Kathedrale herum. Wer es dorthin geschafft hat, dürfte zuvor bereits eine Stunde allein am Ticketschalter verbracht haben, um jetzt mindestens weitere zwei Stunden in der Mittagshitze zu warten. Die Situation ist so aussichtslos, dass wir zügig eine Entscheidung fällen und uns den Irrsinn ersparen. Da ändern auch Superlative wie „viertgrößter Kirchenbau Europas“ oder „die größte gemauerte Kuppel der Welt“ wenig. 19 Jahre zuvor hatten wir mehr Glück: Im Mai hatte der große Massenandrang noch nicht begonnen und man konnte ohne längere Wartezeit über ein raffiniertes Treppensystem zwischen innerer und äußerer Kuppelschale auf die Laterne bis in 114 Metern Höhe klettern. Von hier oben erschließen sich die Dimensionen des 1296 als Antwort auf den Dombau Sienas gedachten Megabauwerks. Gut achtzig Jahre später konnte man zumindest das Langhaus in Betrieb nehmen. Der 85 Meter hohe Campanile entstand nach Plänen Giottos zwischen 1298 und 1359. Die prächtige Westfassade aus dreifarbigem Marmor wurde erst im 19. Jahrhundert vollendet, nachdem man den ursprünglich gotischen, zu einem Drittel ausgeführten Entwurf wieder abgerissen hatte.

Florenz - Santa Maria del Fiore (ab 1296, Ostansicht mit Kuppel) Das eigentliche Wunder erblicken wir aber erst, als wir Richtung Ostseite der Kathedrale schlendern. Die Entstehung der gewaltigen Kuppel zwischen 1418 und 1434 war für die damalige Renaissance bahnbrechend. Die Baumeister unter der Leitung Brunelleschis hatten sich zum Ziel gesetzt, nicht nur die größte, sondern auch die höchste Kuppel aller Zeiten zu errichten und somit das bis heute existierende antike Pantheon in Rom zu übertreffen. Der bislang gebräuchliche Einsatz eines hölzernen Leergerüstes kam aufgrund des unvorstellbaren Materialbedarfs nicht in Frage. Stattdessen verwendete man ein steinernes Rippenskelett, welches später mit einer inneren und äußeren Schale aus maßgefertigten Ziegeln versehen wurde. Um die horizontalen Kräfte des Gewölbes aufzunehmen, wurden im Gegensatz zu den äußeren Strebewerken gotischer Kathedralen unauffällige Steinketten verwendet.

Ein weiterer Höhepunkt auf der Piazza del Duomo ist zweifelsohne das Battistero di San Giovanni – leider wie so oft mal wieder eines der Jahre lang hinter Gerüsten verschwundenen Monumente Italiens. Zumindest das Ostportal mit der Paradiespforte und ihrer in 10 Bronzetafeln verewigten Episoden aus dem Alten Testament ist weiterhin zugänglich.

Florenz - Fontana del Nettuno mit Palazzo Vecchio (ab 1299) Die relativ kurzen Wege innerhalb des historischen Zentrums führen uns in etwa 10 Minuten zur Piazza della Signoria und den monumentalen Palazzo Vecchio mit dem 94 Meter hohen Torre di Arnolfo. Das heutige Rathaus war ab dem 14. Jahrhundert Sitz des Parlaments der Republik und beeindruckt durch seine enormen Ausmaße und den burgähnlichen Charakter. Davor stehen, umlagert von Selfies schießenden Touristen, einige berühmte Skulpturen: An der Ecke des Palastes die Fontana del Nettuno, der oktogonale Brunnen mit der Marmorfigur des Meeresgottes und den mythischen Figuren der Scylla und Charybdis zu Füßen. Links vor dem Portal eine Kopie von Michelangelos David, der wohl berühmtesten Statue der Geschichte, welche mit über fünf Metern Höhe aus einem Marmorblock gehauen wurde. Rechts davon der nahezu gleichgroße Herkules wie er Cacus erschlägt. Auf der Südseite der Piazza steht die Loggia dei Lanzi, welche ursprünglich im 14. Jahrhundert für Zeremonien gedacht war.

Florenz - Ponte Vecchio (1333-45) Wir ziehen vorbei an den völlig überfüllten Uffizien zu den überdachten Lungarno degli Archibusieri am Ufer des Arno und den Ponte Vecchio. Die einstige Metzger- und Gerberbrücke ist auch heute noch dicht mit Läden bebaut, allerdings jenen der weniger geruchsintensiven Juweliere. Auf der Südseite des Flusses kehren wir erstmal zu einem Mittagessen ein. Von Touristen wimmelt es hier immer noch, aber das Preisniveau in den Trattorien ist weitgehend akzeptabel und der Service trotz des enormen Andrangs immer noch gut gelaunt – der Vorteil der nahen Konkurrenz.

Florenz - Palazzo Pitti (ab 1458) Auf einer Anhöhe hinter dem gewaltigen Palazzo Pitti habe ich auf dem Stadtplan die Anlagen des Giardino di Boboli ausgemacht - eine günstige Gelegenheit, doch noch einmal einen Blick von oben auf die Altstadt zu werfen, so glaube ich. Jedoch ist der Garten nur für Einheimische frei zugänglich. Touristen sollen gefälligst ein Kombiticket für das Museum für nur noch 14 Euro pro Person erwerben. Für einmal durch den Park schlendern … ich glaub‘ es hackt!

Florenz - Palazzo Strozzi (1489-1539) Dann halt weiter zur Basilica di Santo Spirito und über den Ponte Santa Trinita, von wo sich noch mal ein malerischer Blick auf den Ponte Vecchio eröffnet, zurück in die Altstadt. Auf halbem Weg lohnt ein Abstecher in den geöffneten, von Arkaden umgebenen Innenhof des Palazzo Strozzi, einem typischen Florentiner Stadtpalast der frühen Renaissance.

Gambassi Terme

Gambassi Terme - Il Castagno Unsere diesjährige Unterkunft liegt inmitten der Berge zwischen Volterra und San Gimignano, umrahmt von Wäldern und Feldern. Zum winzigen Flecken Il Castagno, einem Ortsteil des Thermalbades Gambassi, gehören einige außerhalb liegende Agriturismi. In einem dieser Domizile im klassischen Bruchsteingebäude auf einem großzügigen, zum Teil landwirtschaftlich genutzten Grundstück mit neuem Außenpool wohnen wir für zwei Wochen und blicken auf Sonnenblumenfelder. Es wachsen Feigen, Weintrauben, Kiwis, Äpfel und nachts bei Vollmond rennen grunzende Wildschweinrotten aus dem angrenzenden Wald, um durch durch den benachbarten abgeernteten Acker zu pflügen.

Direkt an der Via Poggio all'Aglione, der Verbindungsstraße nach Montaione verbergen sich unter einem Flachdach die gut erhaltenen Ruinen einer Römischen Zisterne aus dem 2. Jahrhundert.