Toskana 2012

Maremma, Crete Senesi und das Val d'Orcia

Mittlerweile 16 Jahre anhaltendes Reisen durch die Provinzen Mittelitaliens haben eine Erkenntnis vertieft: Die kulturelle Vielfalt der Landstriche lässt auch den wiederholten Besuch ein und desselben Ortes niemals eintönig verlaufen. Insbesondere einmalige, vollständig intakte mittelalterliche Stadtbilder wie jene von Siena, Orvieto und Perugia üben eine magische Anziehungskraft auf den Besucher aus. Zwischenzeitlichen Abstechern in die angrenzenden Regionen Umbrien und Latium soll in diesem Jahr der tiefe Süden der Toskana mit seinen einst tückischen Sümpfen rund um Grosseto, mit den für die Bildsprache dieser Region Stil prägenden Crete Senesi und den Hügelstädten im Val d'Orcia folgen.

Ganz konträr zu den prunkvollen Stadtanlagen des reichen Nordens dominieren schroffe Bergkuppen mit scheinbar uneinnehmbaren Befestigungen das Bild der dünn besiedelten Landstriche. Eine davon,

Civitella Marittima

Civitella Marittima - Ombronetal an der Straße von Siena, überblickt das Ombronetal und die weite Ebene von Grosseto. So verlockend es auch sei, man sollte sich keinesfalls verleiten lassen, mit dem Auto ganz hinauf zu fahren, um dann bequem den Rest zu Fuß erkunden zu können. An diesem Tag bezahlen wir diesbezügliches Lehrgeld: Nicht nur das die Straße sich in immer steiler werdenden Gassen verliert – die mittelalterlichen Häuser rücken am Ende so weit zusammen, dass tatsächlich nur noch ein Eselskarren oder ein italienischer Kleinstwagen, idealerweise mit drei Rädern, hindurch passen. Minuten lang verharren wir vor dem Nadelöhr, denn es bestand bis dahin keine Wendemöglichkeit! Dann sind die Berechnungen und Risikoabwägungen so weit gediehen und ich manövriere in Millimeterarbeit den Vectra an den Kanten der Häuser vorbei.

Schweißgebadet und einsichtig parken wir dann doch unten am Kreisel an der einzigen Bar und dem kleinen Container mit Pizza al Taglio und Creperie und laufen nach oben. Etwas versteckt liegt inmitten des alten Kerns die Locanda nel Cassero, eine Osteria der Spitzenklasse, welche man möglichst nur mit Vorreservierung betreten sollte, da ansonsten keiner der geschätzten vier Terrassenplätze mehr zu haben ist. Immerhin stehen wir bereits vor der Eröffnung des Lokals um 19.30 Uhr vor der Tür und haben zumindest im einladend dekorierten Innenraum freie Wahl. Bereits 2006 hatten wir diesen wundervollen Ort durch einen Zufall entdeckt und waren begeistert. Sechs Jahre später bedient uns immer noch dieselbe Dame in diesem auch mit herrlichen Gästezimmern aufwartenden Familienbetrieb.

Die Vorspeise, Panzanella, der traditionelle toskanische Brotsalat, besticht durch eine verblüffend einfache Zusammensetzung: Eingeweichtes Brot vom Vortag, rote Zwiebeln, Gurken, Tomaten, Olivenöl, Basilikum, Weinessig, Salz und Pfeffer ergeben eine runde Offenbarung. Trittico di farciti su peperoni arrosto, das gefüllte Gemüse auf gegrillten Peperoni, wurde offenbar extra für Vegetarier konzipiert, was ich in dieser Form noch in keiner anderen toskanischen Trattoria erlebt habe. Auberginenlasagne mit Thymian und die mit Ricotta gefüllten Zucchiniblüten wiederum sind fester Bestandteil der hiesigen traditionellen Küche und wir sollen sie an anderer Stelle erneut vorfinden.

Civitella Marittima - La Casetta Francini Weiter unten an der kerzengeraden Stichstraße Strada Provinciale Terzo nach Roccastrada, einer vermutlich ursprünglich für Raketenfahrzeuge konzipierter Versuchsstrecke, zweigt ein Feldweg rechts ab zur Casetta Francini, unserem diesjährigen, mitten in den Feldern gelegenen Domizil. Roberto und Ornella, die beiden Besitzer haben das ehemalige Landhaus mit viel Liebe zum Detail in ein Bed & Breakfast verwandelt. Die beiden aus dem gleichen Bruchstein errichteten Terrassen vor und hinter dem Haus wirken nicht, als wären sie erst kürzlich entstanden. Jedem individuell eingerichteten Schlafraum ist ein ebenso einzigartiges Bad zugeordnet. Mehrere Räume und jeweils eine Wohnküche lassen sich zu kompletten Apartments zusammenlegen. Eines davon haben wir ergattert und blicken nun von unserer Riesenveranda über Pinien und den nagelneuen Pool in die Weite des Ombronetals bis hinüber auf die von der Silhouette Roccastradas gekrönte Hügelkette der Colline Metallifere. Gegen Abend wird die ländliche Stille von tiefen Brunftschreien aus einer stattlichen Rinderherde in wenigen hundert Metern Entfernung jäh unterbrochen. Im Laufe der nächsten Tage machen wir noch Bekanntschaft mit einem Bienenschwarm, welcher in Folge der anhaltenden Trockenheit halb verdurstet über unseren Pool herfällt.

Genau das richtige Wetter, um schwitzend durch eine Ausgrabungsstätte zu stapfen, so denken wir. Und so verschlägt es uns nach

Roselle,

Roselle - etruskische Zyklopenmauer einen der archaischen Ursprungsorte dieser Kulturlandschaft. Das antike Rusellae nordöstlich von Grosseto, gelegentlich zum etruskischen Zwölfstädtebund gerechnet, weist bedeutende Überreste aus jener und römischer Zeit auf. Wir besteigen das Siedlungsplateau aus östlicher Richtung und stehen, begleitet von einem infernalischen Konzert unzähliger Zikaden, zunächst vor der mächtigen kilometerlangen Zyklopenmauer. Grob behauene Tuffsteinblöcke wurden nahezu fugenlos aufeinander getürmt und erinnern eher an Megalithkulturen als an das von den römischen Eroberern nahezu vollständig aus dem Gedächtnis der Geschichte gelöschte geheimnisvolle Volk. Sie umgeben ein Areal in der Größe von Grossetos historischem Zentrum.

Roselle - Atrium im Haus der Mosaiken Der Aufstieg zu den beiden Siedlungsresten erfolgt südlich der beiden Hügel entlang einer auf deutlich tieferem Niveau gelegenen antiken Straße. Oben angekommen bewundern wir die diagonal verblendeten Mauern am Forum. Überdachte Bereiche schützen die aktuellen Ausgrabungen. Darunter haben die Archäologen römische Wasserleitungen kunstvoll mit Beton abgestützt, um die tiefer liegenden etruskischen Schichten zu erkunden. In gemauerten Nischen hat man zum Teil beeindruckende Marmorstatuen aufgestellt. Das Amphitheater befindet sich auf einem noch höheren Niveau mit nahezu vollständigem Rundumblick auf die gesamte Stadt und die Ebene und wird bis heute für Aufführungen genutzt. Am südlichen Ende der Ausgrabungen ermöglichen die Überreste des ‚Hauses der Mosaiken' vor dem majestätischen Fernblick eine plastische Vorstellung vom römischen Luxus.

Unten im Tal erkenne ich die ersten Ausläufer des nahe gelegenen

Grosseto.

Grosseto - Stadtmauer der Medici an der Porta Corsica (1574-93) Bereits 2006 machte ich Bekanntschaft mit der Provinzhauptstadt im Zentrum der flachen Maremma und konnte mich schon damals nicht so richtig anfreunden. Die von Festungsmauern der Medici umgebene Altstadt macht von außen einen vielversprechenden Eindruck: Eine der wenigen Städte in Italien mit vollständig begehbaren Bastionen, ähnlich wie jene in Lucca. Sie kann sich jedoch bei weitem nicht mit Toskanastädten ähnlicher Größenordnung wie Pistoia, Siena, Arezzo oder eben Lucca messen. Dazu fehlt die während des zweiten Weltkriegs nahezu vollständig vernichtete historische Bausubstanz im an sich überschaubaren und mit guter Infrastruktur gesegneten Zentrum.

Grosseto - Cattedrale di San Lorenzo (ab 1294) Lediglich um die Piazza Dante herum verbreiten der Palazzo Comunale, die Cattedrale di San Lorenzo im gotischen Streifenlook und der von Zinnen gekrönte Palazzo Aldobrandeschi – alle frisch renoviert – das gewohnte toskanische Flair. In den Einkaufsstraßen dominieren zweistöckige unscheinbare Wohnhäuser und die eine oder andere Betonbausünde. Vielleicht liegt es daran, dass das von Malaria geplagte Grosseto erst im 19. Jahrhundert in Folge der Trockenlegung der umliegenden Sümpfe wieder nennenswert besiedelt werden konnte. Erst in den 50er Jahren hatte man den Erreger in der Maremma ausgerottet. Erwähnt werden sollte jedoch der beliebte, an jedem Donnerstag Morgen vor den Mauern stattfindende Wochenmarkt: Neben der Möglichkeit, sich preisgünstig mit Überschussware komplett und einigermaßen aktuell einkleiden zu können, locken die zahllosen Haushaltswaren- und Feinkoststände.

Ein ganz und gar historisch korrektes Gesamtbild erwartet uns hingegen in

Monteriggioni.

Als wir vor neun Jahren zum ersten Mal die imposanten Mauern und Türme auf dem Monte Ala erblickten, waren wir entzückt. Damals hatte man uns auf einen eher als Provisorium gedachten Parkplatz am Fuße des Berges geleitet und wir erklommen die letzten dreihundert Meter zu Fuß. Wir traten durch das östliche Stadttor, die nach Siena ausgerichtete Porta Franca und betraten ein mustergültiges mittelalterliches Ensemble: Die kleine Piazza Roma, rechts flankiert von der einschiffigen Chiesa di Santa Maria Assunta, rund um den Platz Kunsthandwerkläden und eine Trattoria, in der die köstlichsten Bruschetti direkt auf dem offenen Feuer geröstet und mit zerriebenem Knoblauch, feinstem Olivenöl und sonnengereiften gehackten Tomaten serviert wurden. Die wenigen Gassen des einstigen senesischen Vorpostens – im wesentlichen zwei – führten einmal ums Karree zum zweiten Tor, der Porta di Sotto, vorbei an Olivengärten und immer in Sichtweite der Festungsmauern. Kaum zu glauben, dass diese friedliche Idylle im 13. Jahrhundert der Anlass zu blutigen Schlachten zwischen den Stadtstaaten Florenz und Siena gewesen sein soll.

Naheliegend, dass wir heute, nach einem missglückten Versuch, zur Mittagszeit in Siena noch einen Parkplatz zu finden (welch tollkühnes Unterfangen!), dieses weiter nordwestlich gelegene Kleinod erneut ansteuern. Kaum haben wir die Autobahn verlassen, trifft uns der Schlag: An der Stelle der früheren Wiese haben größenwahnsinnige Stadtplaner einen etwa zehnmal so großen Parkplatz mit Automaten angelegt und in einem unüberschaubaren Durcheinander wimmelt es von Touristen. Mit entsprechend düsterer Vorahnung machen wir uns auf den Weg nach oben.

Monteriggioni - östliche Stadtmauer (im Hintergrund Porta Franca) Natürlich ist es auch auf der Piazza deutlich voller als damals, sonst scheint sich optisch zum Glück nicht viel verändert zu haben. Lediglich die aufwendigen hölzernen Aussichtsstege seitlich der beiden Stadttore ermöglichen gegen Entgelt neuerdings einen Blick über die Mauern in die umliegenden Ebenen. Im Preis mit inbegriffen ist auch das kleine örtliche Stadtmuseum, was ich eher beiläufig zur Kenntnis nehme, da ich mir nicht so recht vorstellen kann, was es hier zu sehen geben sollte. Als wir den ersten Raum im Gebäude betreten, muss ich mein Vorurteil revidieren: Es entpuppt sich als Rittermuseum zum Anfassen und die Jungs haben einen Riesenspaß, sich stumpfe Eisenschwerter auf ebensolche -helme zu donnern und keuchend unter 30 Kilo schweren Kettenhemden zusammenzubrechen. Auch originalgetreue Rekonstruktionen fieser Hellebarden und Armbrüste künden von der bereits im Mittelalter grenzenlosen Phantasie, seine Feinde möglichst effizient ins Jenseits zu befördern.

Monteriggioni - Via I Maggio Zum Mittagsmahl begeben wir uns nach einigem Hin und Her ins Il Feudo am hinteren linken Ende des Platzes und warten zunächst vergeblich auf einen der desinteressierten Kellner. Als einer der Herren sich endlich herablässt, unsere Bestellung aufzunehmen, verschwindet er sogleich auf nimmer Wiedersehen. Ein weiterer erbarmt sich schließlich, als er überrascht feststellen muss, dass sein Kollege unangekündigt in die Mittagspause geflüchtet ist, und bringt uns Speisen und Getränke. Die mit Kürbis gefüllten hausgemachten Ravioli sind gar nicht mal schlecht und das Ristorante macht optisch einen durchaus einladenden Eindruck. Als jedoch zwei weitere Gäste zwischenzeitlich den Nachbartisch besetzen und trotz unübersehbarer Gestik konsequent für mindestens eine halbe Stunde vom am Tresen herumalbernden Personal ignoriert werden, steht unser Urteil fest: Definitiv keine Empfehlung, sondern eher in der Kategorie überlaufene Touristenfalle zu vermerken. Schade, in Bezug auf Gastronomie scheint Monteriggioni mittlerweile versaut. Aber zumindest seinen Nimbus als historisches Kulturerbe dürfte es dank strenger Bauvorschriften gesichert haben.

Auf unserer Fahrt ins Val d'Orcia hoffen wir, diesen Touristenmassen zu entkommen. Gleich die erste der auf dem Plan stehenden Ortschaften trägt den unter Weinkennern verheißungsvollen Namen

Montalcino

und ist zugleich ein Beispiel dafür, wie eine gute Vermarktungsidee einen hemmungslosen Wettlauf um Anbauflächen und wahnwitzige Preisvorstellungen entfachen kann.

Montalcino - Azienda Agricola 'Casanova di Neri' An einer Biegung der von San Quirico kommenden SR2, wenige Kilometer vor der Heimat des Brunello, taucht unvermittelt die unverkennbare Silhouette einer Azienda Agricola der nobleren Kategorie auf: Top sanierte Natursteingebäude, langgezogene, von Zypressen umsäumte Einfahrt, weißer Marmorkies. ‚Casanova di Neri' prangt am Eingang und mich ergreift eine schlimme Vorahnung als meine bessere Hälfte jubiliert: „Oh, das sieht aber nett aus, da müssen wir auf der Rückfahrt unbedingt mal halten!" Na toll, wenn sich ein Weingut schon ‚Casanova' nennt … Widerwillig schleppe ich mich in Richtung des als Probierstube unschwer erkennbaren Nebengebäudes. Die davor zunächst teilnahmslos wartende junge Dame erkennt sofort die Lage und ruft nach einer fachlichen Betreuung. Es eilt ein barhäuptiger Herr energischen Schrittes herbei und eröffnet uns in professioneller Manier auf die passende Sprache abklopfend den Verkaufsraum – vollklimatisiert, unbestreitbar einer der gehobeneren Sorte. Ich suche verzweifelt eine Preisliste, während er in freudiger Erwartung auch schon anfragt, was es denn sein darf. Er hätte da den Brunello von 2007 für 30 € und einen Brunello Selezione von 2006 für 40 € … Im letzten Augenblick erblicke ich ein Blatt und kann somit einen großen Bogen um die maßlos überteuerten Tropfen machen. Ein Rosso die Montalcino tut’s auch, denn die Auswahl im Val d'Orcia ist riesig.

Montalcino - Aufgang zur Fortezza (1361) Aber Montalcino hat mehr zu bieten als nur Brunello. Gleich am Ortseingang thront die mächtige La Fortezza, deren Innenhof, Mauern und Türme besichtigt werden können. Im weiteren Verlauf der Via Ricasoli und Via Spagni reihen sich die Chiesa di Sant'Agostino, der Palazzo mit der Loggia dei Priori und die Concattedrale del Santissimo Salvatore, der Dom von Montalcino mit einer neoklassizistischen Fassade aneinander. Alles in allem ein angenehmer Ort, um einen gepflegten Nachmittag mit gutem Essen, feinen Tropfen und etwas Kultur zu verbringen.

Auf dem Rückweg am Ende der Piazza Garibaldi passieren wir noch die Chiesa di Sant'Egidio, aber dann geht es auch schon weiter. Die Zeit drängt,

Montepulciano

Montepulciano - Sturzbäche auf der Via Graciano del Corso wartet. Schon einmal hatte mich der Ruf des Vino Nobile in die kleine, aber prächtige Stadt auf einer 600 Meter hohen, lang gestreckten Hügelkuppe gelockt. Damals kam ich zwar bis ins historische Antico Caffé Poliziano, hatte aber keine Vorstellung, was sich im Untergrund so alles verbirgt. Nach einer köstlichen Stärkung in der Trattoria Diva e Maceo soll es eigentlich gleich losgehen. Jedoch hat sich der Himmel verfinstert und es bricht ein infernalisches Unwetter herein: Sturzbäche ergießen sich die steile Via Graciano del Corso hinunter – die Kanäle haben keine Chance. Wir stehen im überdachten Eingangsbereich, während hinter uns das Lokal zur Mittagspause schließt und sind froh, als nach einigen Minuten die Sintflut vorüber ist.

Montepulciano - Citta' Sotterranea Ercolani Der Delikatessenladen nebenan lockt mit einer kostenlosen Kellerbesichtigung, die wir uns natürlich nicht entgehen lassen. Was wir dann aber unten entdecken verschlägt uns die Sprache: Der vermeintliche Weinkeller entpuppt sich als weit verzweigtes System von Gängen, Galerien und Treppen, die immer tiefer in den Tuffsteinuntergrund hineinführen. Reihen von gewaltigen hölzernen Weinfässern, vergitterte Räume mit Pecorinolaibern in Regalen und alte Brunnenschächte lassen eine Jahrtausende währende Nutzung vermuten. Auf dem Rückweg nach oben fällt unser Blick auf eine vergitterte Treppe in die Tiefe. Die rechteckigen Nischen in den Wänden lassen nur einen eindeutigen Schluss zu: Hier lagert der Wein inmitten einer antiken etruskischen Nekropole, eine von zahllosen anderen in dieser Gegend.

Der Aufgang endet im hinteren Teil Ladengewölbes, so dass wir auf dem Weg nach draußen zwangsläufig an der strategisch platzierten Probiertheke vorbei müssen. Die angebotenen Köstlichkeiten – Pecorino, Wein und Honig – verfehlen nicht ihre Wirkung und wir verlassen mit Kartons und Tüten bepackt die Verkaufsräume.

Entlang der Via di Gracciano nel Corso hat man in den Sockel des Palazzo Bucelli scheinbar wahllos etruskische und römische Grab- und Reliefsteine verbaut – welch ein Überfluss an solchen Hinterlassenschaften hier geherrscht haben muss!

Die Piazza Michelozzo dominiert der Torre di Pucinella, an dessen Spitze die gleichnamige Holzfigur die volle Stunde schlägt. Der putzige Mann im weißen Kostüm und spitzen Hut entstammt der Commedia dell'Arte, der italienischen Volkskomödie des 16.-18. Jahrhunderts und ist zugleich Ursprung des Kaspers im deutschsprachigen Raum.

Montepulciano - Chiesa di Sant'Agostino (15. Jh.) Gegenüber schließt die elegante weiße Fassade der Chiesa di Sant'Agostino den Platz nach Nordwesten hin ab.

Montepulciano - Antico Caffé Poliziano Die Via Voltaia del Corso ist die Fortsetzung der Via Graciano und führt uns zielstrebig ins Antico Caffé Poliziano, an dessen Theke wir bei einem erstaunlich günstigen Espresso das mondäne Interieur aus dem 19. Jahrhundert bestaunen.

Im höchstgelegenen Teil des Plateaus von Montepulciano erreichen wir die Piazza Grande mit dem Dom (1619) und seiner unvollendeten Backsteinfassade. Der Palazzo Tarugi gegenüber wäre ein standesgemäßes Domizil für eine Stadtwohnung mit Blick auf den herrlichen Pozzo dei Grifi e dei Leoni, einem von zwei Säulen flankierten Kalksteinbrunnen aus dem 16. Jahrhundert mit Wappen der Medici und der Giachi sowie Löwen und Greifen auf dem Architrav.

Gegen Ende des Nachmittags steuern wir die eine knappe Stunde nordwestlich gelegene

Abbazia di Monte Oliveto Maggiore

Abbazia di Monte Oliveto Maggiore - Chiesa (1400-1417) an. Leider zu spät für eine Besichtigung der prunkvollen Innenräume erreichen wir gegen Ende eines anstrengenden Tages die Abtei am Monte Oliveto. Die Mönche haben sich bereits zum Abendgebet in der Conventkirche versammelt – da gibt es kein Pardon für Besucher. Nur ein Trost: Die Cantina mit dem Probier- und Verkaufsstand der klösterlichen Weinproduktion hat gnädigerweise eine halbe Stunde länger auf, was wir dankend zur Kenntnis nehmen. Der offensichtlich nicht zum Orden gehörende Verkäufer ist prächtig gelaunt und gibt vor den verkostenden Anwesenden einige respektlose Zoten in perfekter englischer bzw. deutscher Sprache zum Besten.

Auf dem Weg nach San Galgano durchqueren wir am übernächsten Tag die Hügel der Colline Metallifere, des toskanischen Erzgebirges und mit

Monticiano

Monticiano eine von mehreren kleinen Ortschaften entlang der SS73. Von der nicht sonderlich spektakulären Piazza San Agostino führen zwei Straßen leicht ansteigend vorbei an der Chiesa dei Santi Giusto e Clemente auf einen Hügelkamm mit fünf parallel verlaufenden engen mittelalterlichen Gassen. Diese enden nahezu alle an der Piazzetta della Concordia, welche nach Südwesten hin von Bruchsteinhäusern halbrund abgeschlossen wird. Durch Außentreppen erschlossen und mit Terrakottablumentöpfen dekoriert sowie grünen Fensterläden versehen ergeben sie ein stimmiges Dorfbild.

Über die SS6 und SS441 fahren wir im Anschluss etwa 7 weitere Kilometer über weite Felder und vorbei an Waldstücken, bis unvermittelt in weiter Ferne die Silhouette der Klosterkirche von

San Galgano

San Galgano - Fensterdetail Südansicht Klosterkirche (ab 1224) erscheint. Die ehemalige Zisterzienserabtei ist eine seit dem 18. Jahrhundert verfallene Ruine, die wir bereits 2006 erstmalig besuchten und einer der Hauptanziehungspunkte in der südlichen Toskana. Majestätisch erheben sich die gut erhaltenen Außenmauern der im gotischen Stil errichteten Kirche in flirrender Hitze vor dem Montesiepi – ein für Mittelitalien ungewöhnliches Bauwerk im reizvollen Kontrast aus roten Ziegeln und Travertin. Im Inneren finden gelegentlich Veranstaltungen statt: Umgeben von Mauern, nach oben freier Blick zum Sternenhimmel – ist ein reizvollerer abendlicher Rahmen für ein klassisches Konzert vorstellbar?

San Galgano - Montesiepi (12. Jh.) San Galgano - Mittelschiff Hervorgegangen ist die Anlage ab 1224 aus der Einsiedelei des heiligen Galgano Guidotti auf dem benachbarten Hügel. In der dortigen Rotonda (12. Jh.) lässt sich heute noch sein angebliches, fest im Fels steckendes Schwert betrachten. Der Blick von oben auf die Klosteranlage im Tal ist in jedem Fall lohnenswert, stellt sich jedoch erst ein, wenn man nach Art eines Pilgers den staubigen Pfad in der sengenden Sonne nach oben gestapft ist. Neuerdings entschädigt die Weinbar Salendo, ein auf halbem Rückwege nach unten gelegenes Bistro mitten im Wald für die Entbehrungen.

Auf dem Rückweg passieren wir mit

Torniella

Torniella - Il Castello ein weiteres inmitten der Colline Metallifere gelegenes Dorf. Die Chiesa di San Giovanni Batista und das Castello Aldobrandesco am höchsten Punkt des Hügels geben dem abgelegenen Ortsteil von Roccastrada den Charakter einer Burg.

Der Tagesausflug in die Stadt des legendären Palio darf auf keiner Toskanareise fehlen und da ich bereits in folgenden früheren Artikel darüber ausschweifend berichtet habe, sollte erst einmal genug gesagt sein.

Siena

Im Banne der Piazza

Siena - Fahnenschwenker der Contrada Priora della Civetta Wochenende. Die senesische Fieberkurve steigt. Nervosität, wie vor einem großen Fußballspiel, liegt in der Luft. Bunte Fahnen flattern im heißen Wind dieser ungewöhnlich glühenden Junitage 2003, in denen das Thermometer Tag für Tag knapp an der 40°-Marke kratzt. Benommen von der sengenden Hitze schleichen wir durch die Gassen und retten uns von einem Häuserschatten zum nächsten. Nur noch gut eine Woche bis zum 2. Juli, dem Termin des ersten Palio dieses Jahres. Im Moment ist für mich kaum vorstellbar, wie man unter solchen Bedingungen völlig überfüllte Straßen ertragen soll geschweige denn ein Pferderennen stattfinden kann. Der Straßenzug nördlich der Piazza del Campo ist in den rot-weiß-schwarzen Farben der Contrada Priora della Civetta geschmückt – in der Ecke oben links prangt die Eule, das Symbol dieses ‚Stadtteils'. Vielleicht sollte man lieber von Quartieren sprechen, denn die meisten der heute noch existierenden 17 traditionellen Contraden entsprechen schon allein hinsichtlich ihrer sehr überschaubaren Größe ganz und gar nicht unserer Vorstellung von einem Viertel.

Siena - Gasse zur Porta Fontebranda und San Domenico Aber genau deshalb zieht Siena eine stetig wachsende Anhängerschaft in seinen Bann: Diese großartige Freiluftkulisse vereint Vorzüge auf engstem Raum, wie man sie in anderen Breiten vergeblich sucht: Eine beinahe lückenlose mittelalterliche Stadtsilhouette vermittelt urbane Geborgenheit. Die störenden Einflüsse modernen Mobilitätswahns sind weitgehend aus dem mauerbewährten Stadtgebiet verbannt. Nur der auf das Notwendigste beschränkte einheimische Verkehr hat Zufahrtsrechte. Darüber wachen gnadenlose Schranken und Videokameras vor den Portalen – keine Chance für auswärtige Besucher, motorisiert in das Gassengewirr vorzudringen. Ein Unterfangen, welches angesichts der Steilheit und Enge sehr schnell in einem Desaster enden kann. Das haben wir auch eingesehen und lenken unseren fahrbaren Untersatz von der stark befahrenen Umgehungsroute Strada di Pescaia geduldig in das Parkhaus Santa Caterina-Fontebranda, einer der gut erreichbaren Tiefgaragen am Stadtrand in der Nähe einer mächtigen Kirche.

Siena - San Domenico In Folge der topographischen Beschaffenheit des Untergrundes – die Stadtteile wurden auf drei Hügeln erbaut und wuchsen im Laufe der Jahrhunderte zusammen – ist Siena geradezu für Fußgänger prädestiniert. Links oder rechts einer Hauptachse führen häufig enge steile Treppengassen durch tiefe Häuserschluchten und geben den Blick frei auf monumentale Bauwerke wie den Duomo Santa Maria Assunta oder die wehrhaften, von Zypressen gesäumten Backsteinmauern von San Domenico.

Siena - Panoramablick vom neuen Dom Und doch ist Siena weitläufig genug, um einer US-amerikanischen Touristeninvasion wie im nahe gelegenen winzig kleinen San Gimignano zu entgehen. Vielleicht liegt es auch an der öffentlich zur Schau getragenen Ablehnung der Toskaner und insbesondere der Senesen gegenüber der aggressiven Außenpolitik der Bush-Administration dieser Tage: Überall ‚Pace'-Fahnen an den Häusern und in den Studentenkneipen eindeutig antiamerikanische Plakate. Nein, wahrscheinlich eher nicht – die Amerikaner sind natürlich da, wie immer unüberhörbar penetrant in ihrer Ausdrucksweise und man begegnet ihnen freundlich, wie anderen Gästen auch. Sie fallen aber nicht weiter auf, denn Sienas Bewohner leben hier nicht wegen der Touristen.

Palio

Siena - Piazza del Campo mit Palio-Tribüne Sie feiern zunächst einmal hauptsächlich sich selbst, und zwar gleich zweimal im Jahr, in einem der skurrilsten Pferderennen der Welt. Jeweils am 2. Juli und 16. August finden die Feierlichkeiten rund um dieses größte Fest der Stadt ihren Höhepunkt in einer halsbrecherischen Hatz rund um die Piazza del Campo, den unbestreitbaren Mittel- und Höhepunkt dieses mittelalterlichen Freilichtmuseums. Die drei Runden absolvieren die Fatini, eingekaufte Jockeys von überall her, nur nicht aus Siena, in gut eineinhalb Minuten ohne Sattel und riskieren dabei für ihre Contrada Kopf und Kragen. Nicht selten kommen die Tiere alleine ins Ziel, was aber ausdrücklich als regelkonform gilt. Nur zum Zweck des Rennens verwandeln sie diesen wunderschönen Platz mit immensem Aufwand in eine Freiluftarena. Eine 20 cm hohe Schüttung aus Sand und Tuff, sorgfältig fest gewalzt, gibt den Pferden ein Mindestmaß Halt und den Reitern ein wenig Polster beim oft unvermeidbaren Sturz. Kunstvoll gedrechselte Tribünenaufbauten fassen die zahllosen Ehrengäste und zahlenden Zuschauer, während sich im kostenlosen Innenraum des Rundes die stehende Masse drängelt.

Siena - Siegerpferd 'Caro Amico' (Palio 16. August) auf der Piazza del Campo Aber eigentlich geht es um die mehrtägigen Rituale vor dem kurzen Kräftemessen. Da werden die zuvor von einer Kommission ausgewählten Pferde den teilnehmenden Contraden zugelost, welche diese dann in der eigenen Kirche unter lautstarken Gesängen segnen und anschließend Tag und Nacht bewachen lassen. Da werden an langen Tafeln am Abend zuvor in den Gassen aller Stadtviertel Festessen abgehalten. Da zieht der ‚Corteo Storico' in einer stundenlangen Prozession am Tag des Wettkampfes u.a. mit Abordnungen aus jeder Contrada in aufwendigen historischen Kostümen und genau festgelegter Zusammensetzung aus Fahnenschwenkern, Trommlern, Komparsen, Pagen, militärischen und zivilen Würdenträgern zum zentralen Campo. Da wird der Beginn des eigentlichen Rennens durch zahllose Fehlstarts hinausgezögert, bis die Spannung unerträglich geworden ist und sich mit einem Mal explosiv entlädt. Und anschließend feiern die Sieger tagelang in den Straßen.

Siena - Siegesprozession der Contrada Selva auf der Piazza del Campo Natürlich haben wir es trotz der räumlichen und zeitlichen Nähe bei unserem erneuten Besuch im Jahr 2006 zum 16. August nicht geschafft, uns Zugang zum Palio zu verschaffen. Das wäre vermessen, denn für die Plätze gibt es mehrjährige Wartelisten. Zum Trost verfolgen wir das Rennen bequem im Fernsehen in unserem Landhaus in Montalcinello am Rande der Maremma. Nichts desto trotz läuft uns einige Tage später bei einem Besuch auf der Piazza stolz das Siegerpferd ‚Caro Amico' mitsamt seinem Jockey ‚Salasso' über den Weg, während drum herum Arbeiter mit dem Abbau der Tribünen und der Reinigung des Pflasters beschäftigt sind. Natürlich ist das kein Zufall, denn auch der Aufmarsch der musizierenden und singenden Bewohner der Contrada della Selva und der Fahnen schwenkenden Alfieri aus einer der Seitengassen gehört zum Ritual der ununterbrochenen Auskostung des Triumphes. Dass jener möglicherweise dem Losglück zu verdanken oder gar ein Produkt geheimer und gar nicht so seltener Absprachen zwischen einzelnen nicht ganz so verfeindeten Contraden sein könnte, spielt bei diesen Jahrhunderte alten und längst zum Selbstzweck gewordenen Zeremonien überhaupt keine Rolle.

Einkaufsstraßen

Entlang der Haupteinkaufsstraßen Sienas finden sich zahlreiche noble Boutiquen und berühmte, traditionelle Geschäfte. Exemplarisch sei hier nur das ‚Nannini Conga d'Oro' in der Via Banchi di Sopra 24 genannt, die älteste Pasticceria der Stadt mit Kaffee aus eigener Rösterei, erlesenen Backwaren und Gelati – leider aufgrund des hohen Bekanntheitsgrades des Namens (Röhre Gianna war nicht ganz unbeteiligt) und infolge der unbehelligt zugänglichen Toiletten oft hoffnungslos überfüllt. Diese Straße setzt sich weiter nördlich in der Via dei Montanini fort. Noch zu erwähnen sei die Via di Città, welche sich parallel zur Piazza del Campo windet, um dann zum Domhügel hin anzusteigen. Dort finden sich auch die besten Adressen für anspruchsvollere Souvenirs: Alte Stiche und Malereien, architektonische Zeichnungen, auch gerne handwerklich gerahmt und die Wappen sämtlicher Contraden auf großformatigen bunten Fahnen gedruckt – ein Highlight für jeden Rittergeburtstag!

Der fehlende Autoverkehr, die phantastischen Häuserkulissen und die zahllosen Geschäfte laden dazu ein, sich durch die Gassen treiben zu lassen und die Zeit zu vergessen. Nicht zuletzt die sich immer wieder überraschend öffnenden

Innenhöfe

Siena - Pozzo di Santa Pazzia im Innenhof des Palazzo Chigi-Saracini bieten als Ruhezonen Gelegenheit zur Erholung vor dem lebhaften Treiben auf den Gassen. Gerne verweilt man an diesen häufig von kunstvollen Arkaden umgebenen und mit malerischen Brunnen in der Mitte gekrönten Orten der Stille und Muse. Der Palazzo Chigi-Saracini aus dem 12. Jahrhundert in der Via di Città, heute Heimstätte der Accademia Musicale Chigiana, sei hier nur exemplarisch genannt. Um das Eingangsportal herum blicken berühmte Musiker in Form von marmornen Büsten aus ihren Nischen in den Wänden auf uns herab.

Mr. Pizza

In eine der wohl authentischsten Stehpizzerien Sienas verschlägt es uns, als mal wieder der jüngste Mühlheimer von urplötzlich über ihn hereinbrechenden Heißhungerattacken malträtiert wird. ‚Mr. Pizza' steht da reißerisch über dem Eingang in der Via delle Terme 94 – zugegeben eine eher an auf Homeservice spezialisierte Imbissketten erinnernde Bezeichnung. Mangels brauchbarer Alternative betreten wir mit abgrundtiefer Skepsis den Laden, sind dann aber in Bruchteilen von Sekunden von der Richtigkeit unserer Entscheidung überzeugt: Eine nackte spartanische Theke mit einer Auswahl gerade angeschnittener Wagenradpizze dahinter. Davor und an einem Brett an der Wand entlang hölzerne Barhocker, eine Eistruhe und der in italienischen Trattorien stets präsente Sichtkühlschrank. Alles ist wild plakatiert und im Hintergrund läuft angenehm stimmungsvoller Südstaatenblues. Der dreitagebärtige Bäcker ist mit dem Aufschnitt eines gerade fertig gewordenen Monstrums beschäftigt. Eine gewaltige Teigknetmaschine mit frischem Inhalt an der Wand gegenüber lässt auf den reißenden Absatz seines Produkts schließen. Mit durchschnittlich 2 € je Ecke, welche immerhin fast die Dimension eines handelsüblichen Tiefkühlteiglings erreicht, liegt er auch durchaus auf dem Niveau knapp bemessener Studentenbudgets, von denen es hier reichlich gibt.

Piazza del Campo

Siena - Palazzo Pubblico mit Torre del Mangia Siena - Fonte Gaia auf der Piazza del Campo Jeder, der diese Stadt besucht, landet früher oder später auf diesem zentralen muschelförmigen Grund und ist zunächst sprachlos angesichts der unbeschreiblichen Pracht des Rathauses, seinem irrwitzigen Turm und der perfekten Harmonie der den Platz umgebenden Häuserzeilen. Gleich einem Amphitheater fällt das in neun ‚Kuchenstücke' geteilte und mit rotem Backstein gepflasterte Gelände zum Palazzo Pubblico hin ab und verleitet insbesondere in den Abendstunden, wenn die sengende Hitze gewichen ist und das westliche Pflaster beschattet wird, zahlreiche Besucher zum Verweilen auf dem blanken, immer noch angenehm warmen Boden. Am oberen mittleren Ende ist die Fonte Gaia, der von wasserspeienden Wölfinnen gezierte ‚Brunnen der Freude', ein Rennaissancewerk von Jacopo della Quercia aus dem Jahre 1412, in den Platz eingelassen. All diese Eindrücke sind noch fest in unseren Erinnerungen an den ersten Besuch 1996 verankert, so dass es zumindest mich nach neuen Perspektiven drängt. Eine davon findet sich auf der Spitze des

Torre del Mangia,

Siena - Torre del Mangia 102 Meter über der Erde, einem für mittelalterliche Verhältnisse atemberaubend hohen Glockenturm (1325-44). Der Zugang zu diesem architektonischen Wunderwerk ist zu festgelegten Uhrzeiten immer nur einer streng limitierten Zahl von Besuchern erlaubt, so dass es sich empfiehlt, frühzeitig Tickets zu besorgen. Als es dann endlich so weit ist, kämpfen wir uns (zwei Erwachsene, zwei Kleinkinder) durch mehrere verschachtelte Treppenaufgänge des Rathauses, vorbei an den entgegen strömenden Touristen der vorherigen Schicht bis auf die erste Aussichtsplattform auf dem Dach des Palazzo Pubblico vor – hier beginnt der eigentliche Aufstieg durch den Turmkern. Nach nicht enden wollenden Treppenstufen ist die zweite Plattform auf der weißen Travertinkanzel des Campanile erreicht und wir blicken ungläubig in die tiefliegende Stadt: Zu unseren Füßen die Piazza, deren Muschelgestalt sich erst von hier oben erschließt – es zieht uns regelrecht die Schuhe aus. Links davon, aus dem karminroten Häusermeer majestätisch hervorragend, das Hauptschiff von Santa Maria Assunta – ein Augenschmaus in schwarzem und weißem Marmor. Rechts etwas weiter weg am Rand der mittelalterlichen Stadt erhebt sich der wuchtige Backsteinbau von San Domenico. Aber wir sind noch längst nicht oben ... Über eine schwindelerregende Holztreppe geht es jetzt durch den Tabernakel auf die eigentliche Turmspitze mit ihrer erheblich kleineren Plattform und dem metallenen Glockenträger darauf. Wem es jetzt immer noch nicht schlecht ist, der kann auch noch die letzten steilen Leiterstufen bis direkt unter die Glocke zurücklegen. Leise Zweifel, wie dieses Konstrukt ohne nennenswerte bauliche Veränderungen nach Hunderten von Jahren immer noch solchen Massen trampelnder Füße stand halten kann, machen sich in meinem Unterbewußtsein breit.

Duomo

Siena - Duomo Santa Maria Assunta Als wir vor der Prachtfassade des gewaltigen Domes stehen, stockt uns erneut der Atem: Die Komposition aus marmornen Galerien, Skulpturen, Portalen und vergoldeten Mosaiken, eines der bedeutendsten Werke der italienischen Gotik, erschlägt jeden Betrachter. Vor dem Hintergrund der Bedingungen, welche zum Zeitpunkt der Entstehung im frühen Mittelalter (ab 1226) herrschten, ein geradezu monumentales Bauwerk. Berücksichtigt man noch die Dimensionen des nur bis zu den Außenmauern vollendeten, bereits mit schwarzem und weißem Marmor verkleideten Hauptschiffs des neuen Doms, dann erscheint nur noch eine Vokabel angemessen: Größenwahn. Die geplante Erweiterung hätte die Kathedrale zu einer der größten der damaligen Zeit gemacht, musste aber 1357 in Folge der Pest und anderer Probleme statischer und finanzieller Natur eingestellt werden.

Siena - Innenansicht Santa Maria Assunta Auch das Innere der Kathedrale ist unbedingt einen Besuch wert. Der Fußboden ist durchgehend in farbigem Marmor, größtenteils wertvolle Intarsienarbeiten, gestaltet. Über der Vierung erhebt sich eine unregelmäßige sechseckige Kuppel, deren Gewölbe mit einer aufgemalten perspektivisch verzerrten Kassettendecke zur Öffnung in der Mitte hin die Illusion eines weitaus höheren Raumes vermittelt.

Siena - Battistero San Giovanni (1316-25) Das Battistero San Giovanni (1316-25) schließt sich unterhalb des Chores an und ist über eine Schautreppe von der Via dei Pellegrini aus zu erreichen. Seine Fassade wirkt wie aus Zuckerguss und ist ebenfalls ein Wunderwerk aus weißem, schwarzem und rotadrigem Marmor, welcher zu Ornamentbändern, Giebeln, Skulpturen, Scheingalerien und -rosetten geformt wurde.

Siena - Blick vom neuen Dom auf die Piazza del Campo Wir entschließen uns zu einem Besuch des Museo dell'Opera. Hier sind nicht nur berühmte Gemälde, u.a. die Madonna von Duccio di Buoninsegna (1308-11), welche extra für die Ausstattung des Domes gefertigt wurden, zu sehen, sondern man hat die Gelegenheit, in schwindliger Höhe über die unvollendete neue Fassade entlang zu spazieren und blickt auf die roten Dächer von Siena und das großartige Panorama der Piazza del Campo mit dem Torre del Mangia.

Wohl kaum eine andere Stadt der Toskana übt eine ähnliche faszinierende Anziehungskraft auf ihre Besucher aus. Nach dem vierten Mal wirkt vieles vertraut, die Bilder warmer, erdiger Farben brennen sich im Gedächtnis ein und man wird eins mit diesem Meisterstück urbanen Städtebaus. Gleichzeitig ist die Fülle an kulturellen Schätzen so immens, dass es immer wieder neue Winkel und Details zu entdecken gibt.

Das auf einem Hügel oberhalb der Maremma gelegene

Massa Marittima

Massa Marittima - Blick von der Stadtmauer auf die Città Vecchia eignet sich ebenso für einen Mehrfachbesuch und beeindruckt mit einem der schönsten Domplätze der Toskana. Mit seinen knapp 9000 Einwohnern und seinen umwerfenden Sichtachsen, sowohl innerhalb der Città Vecchia, als auch von der wuchtigen Stadtmauer zur höher gelegenen Città Nuova wirkt es wie eine Kleinstausgabe von Siena. Der Aufstieg zum Torre del Candeliere erfordert Schwindelfreiheit. Über den Arco Senese, einer statischen Meisterleistung aus dem 14. Jahrhundert, gelangen wir auf die Stadtbefestigung und werden mit einem phantastischen Panorama belohnt.

Massa Marittima - Cattedrale di San Cerbone (13. Jh.) Insbesondere in den späten Abendstunden entfaltet sich rund um die dreieckige Piazza Garibaldi vor dem Duomo San Cerbone ein ähnlich urbanes Lebensgefühl wie auf der Piazza del Campo. Wenn man Glück hat so wie wir, wird man Zeuge einer italienischen Hochzeit, nach allen Regeln der Kunst vor den Augen der Öffentlichkeit zelebriert. Der extra engagierte Kameramann dokumentiert von der Anfahrt in der Limousine, dem theatralischem Auftritt der Braut auf den endlosen Stufen der Cattedrale di San Cerbone und bis zur anschließenden Modenschau der Hochzeitsgäste jeden Moment.

Massa Marittima - Piazza Garibaldi mit Palazzi dei Podestá und del Comune (13. Jh.) Auch ein Pendant zum senesischen Palio gibt es hier: Den Balestro del Girifalco, das historische Armbrustschießen der drei Terziere Cittàvecchia, Cittànuova und Borgo. Zu diesem Zweck entstehen Stahlrohrtribünen auf der Piazza und dem eigentlichen Wettstreit geht ein bunt kostümierter Festumzug mit Fahnenschwingern voraus – ganz nach dem großen Vorbild.

Eine Exkursion zum erloschenen Vulkan Monte Amiata, der mit 1738 Metern dominierenden Erhebung im Süden führt uns vorbei an pittoresken Bergdörfern wie

Montegiovi

Montegiovi mit seinen kaum 200 Einwohnern, jedoch einer puristischen Silhouette aus wenigen roten Dächern und einem einzigen Kirchturm, dem der Chiesa di San Martino. Kurz darauf erreichen wir den Hauptort

Castel del Piano

Castèl del Piano - Via della Basilica mit Torre dell'Orologio und stehen vor der anspruchsvollen Aufgabe, den Weg in den hiesigen Centro Storico aufzufinden. Der eher modern wirkende Obelisk auf der begrünten Piazza Garibaldi deutet so gar nicht darauf hin, dass es hier so etwas wie ein mittelalterliches Zentrum zu sehen gäbe. Wir parken in der Strada Provinciale Cipressino und wenden uns hin zur Piazza Madonna, welche von den beiden Chiese della Propositura und della Madonna delle Grazie flankiert wird. Schräg gegenüber erhebt sich der Torre dell'Orologio. Darunter betreten wir durch die Porta Pianese die Altstadt und werden sogleich von gepflegtem nachmittäglichem Palaver empfangen. In der schattigen Loggia Pubblica des Palazzo Nerucci sitzen sie und tafeln und es hallt von den Mauern der Häuser wieder. Nur wenige Gassen führen einmal durch das halbkreisförmig an den Rand eines Hügels gebaute Zentrum.

Nur drei Kilometer weiter südlich erklimmen wir mit

Arcidosso

Arcidosso - Rocca aldobrandesca (10. Jh.) ein weiteres Prachtexemplar eines bebauten Hügels in Sichtweite des Monte Amiata und geraten auf halbem Weg zur Burg in ein örtliches Musikfestival. Ein offensichtlich blendend gut gelaunter Einheimischer erklärt uns unaufgefordert und in perfektem Englisch mit lockerer Zunge wessen wuchtige Burg dies war (derer von Aldobrandeschi, wessen sonst), wie der Name Arcidosso entstand (arx dossum = Festung auf dem (Berg)-Rücken – Aha!) und dass es hier vorzüglichen Wein zu trinken gäbe (Hamm wa schon gemerkt …). Steil und abweisend ragt das Gemäuer aus dem 10. Jahrhundert auf dem höchsten Punkt des Berges in den Himmel.

Allein das überall wiederkehrende typische Toskanabild ist bereits Grund genug, die karge Landschaft der

Crete Senesi

Crete Senesi zwischen Siena und den dicht beieinander liegenden Hügelstädtchen Montalcino, San Quirico d'Orcia, Pienza und Montepulciano anzusteuern – Namen, deren Klang verheißungsvolle Erwartungen wecken. Die Fahrt vorbei an Zypressenalleen, von einsamen Gehöften gekrönten Lehmhügeln und abgeernteten goldgelben Getreidefeldern mit kunstvoll darauf platzierten Strohballen ist ein unvergessliches Erlebnis. Das alles ist an einem Tag nicht zu schaffen, so dass wir heute erneut in diese wundervolle Gegend aufbrechen, diesmal mit dem Ziel

San Quirico d'Orcia,

San Quirico d'Orcia - Trattoria al Vecchio Forno wo wir aus dem Staunen über sagenhaft schöne Osterien mit lauschigen Gärten nicht mehr heraus kommen. Wir fallen in die Trattoria Al Vecchio Forno ein und bestellen quer Beet Köstlichkeiten, während uns die hauseigene Schildkröte gemächlich über die Füße klettert. Zuerst kommen die Fiori di Zucca, mit Ricotta gefüllte und frittierte Zucchiniblüten, angerichtet wie auf einem Gemälde. Dazu eine runde und auf den Punkt knusprige Auberginen-Lasagne – ein Traum! Es folgen große Pastaplatten in köstlicher hausgemachter Pesto und Ravioli mit einer Offenbahrung von Walnussfüllung. Es fällt schwer, in der Mittagshitze auf die zahllosen Spitzenrotweine zu verzichten – wir wollen noch etwas an diesem Tag sehen. Den Holländern am Nachbartisch ist es egal, bleiben wahrscheinlich für den Rest des Tages hier sitzen.

Orcia Rosso Mein zwischenzeitlicher Abstecher zu den sanitären Bereichen macht mich fassungslos: Aufwendige Dekore wie in einem Hotel. Die ausliegenden Prospekte für die Zimmer im Palazzo del Capitano legen nah, woher die Ideen kommen. Die zugehörigen Preise lösen beklemmende Atemnot aus. Der eigentliche Gastraum der Trattoria darüber ist über und über mit tausenden von Korken dekoriert und angesichts der hochsommerlichen Temperaturen verwaist.

San Quirico d'Orcia - Collegiata dei Santi Quirico e Giulitta (12.-14. Jh.) Gestärkt geht es zur Erkundung des Zweistraßenstädtchens. Einmal die Via Dante Alighieri hinauf und hinunter und wir haben alle wesentlichen Höhepunkte gesehen: Die Collegiata dei Santi Quirico e Giulitta mit einem sehenswerten Seitenportal Giovanni Pisanos, der benachbarte Palazzo Chigi, die Chiesa della Madonna ziemlich genau im Ortszentrum an der Piazza della Libertà, gegenüber das Stadttor und davor in Angriffsposition gebracht ein gewaltiges hölzernes Katapult, der Nachbau einer Mittelalterlichen Blide. Ebenfalls unmittelbar am Stadttor befindet sich der Eingang zum Horti Leonini. Kurz dahinter eröffnet sich eine weitläufige Anlage kerzengerade und kugelrund geschnittener Buchsbaumhecken. Deren strenge Geometrie erschließt sich erst von der gegenüber liegenden Anhöhe. Dort gelange ich auch zu den Überresten des im 2. Weltkrieg zerstörten Torre del Cassero. Das südöstliche Ende der historischen Altstadt markiert die Chiesa di Santa Maria Assunta aus dem 11. Jahrhundert.

Südlich von San Quirico entspringen heiße Quellen, welche bereits im Altertum ausgiebig genutzt wurden. Der heutige Kurort

Bagno Vignoni

Bagno Vignoni - Thermalbecken wird von einem überdimensionalen Thermalbecken dominiert, in welchem aus hygienischen Gründen mittlerweile nicht mehr gebadet werden darf. Am Rand und größtenteils unter Wasser erkennt man noch die steinernen Sitzbänke für die Badegäste. Die 52°C heiße Quelle tritt in der Mitte aus und fließt in Richtung des Parco dei Mulini wieder ab. Dahinter verbergen sich die Überreste ehemaliger Getreidemühlen, welche aus dem Fels geschlagen waren und bereits seit dem Mittelalter genutzt wurden. Heute sieht man nur noch das warme Wasser in Kanälen über das Felsplateau fließen. Anschließend stürzt es ins Tal und bildet weiter unten weiße Sinterterrassen, in denen Leute kostenlose Thermalbäder nehmen. Am Abhang sind noch Teile der Mahlkammern erhalten.

Mit den Città del Tufo nehmen wir einen Höhepunkt der Reise in Angriff und begeben uns auf eine kurvenreiche strapaziöse Gebirgsfahrt am Rande des Monte Amiata, um nahe der Grenze zum Latium mit

Sovana

Sovana - Tomba Ildebranda (3. Jh. v. Chr.) eine der bedeutendsten etruskischen Totenstädte zu erkunden. In einer Senke nur wenige hundert Meter vor dem Hügelplateau zweigt ein unbefestigter Weg zur gleichnamigen Nekropole ab. Dafür, dass wir hier einen der wenigen Orte mit gut erhaltenen Artefakten aus dieser Zeit besuchen, sind nur wenige Leute unterwegs. Berühmt wurde diese Ansammlung von Gräbern inmitten eines Waldes durch die einzigartige Tomba Ildebranda, einem im hellenistischen Stil komplett aus dem Fels gehauenen Tempelgrab. Der Zahn der Zeit hat den relativ weichen Tuffstein stark verwittern lassen, die Gestalt der korinthischen Säulen ist gerade noch erkennbar. Die eigentliche Kammer betreten wir in einer zweiten Ebene unterhalb der Säulenhalle, deren Treppenaufgang wie durch ein gewaltiges Erdbeben in der Mitte zerbrochen erscheint.

Ein weiteres Grab können wir zunächst nur von außen erkunden. Der Zugang in die Grabkammer ist durch einen harmlosen Holzzaun versperrt, den wir nicht ganz legal umgehen. Durch eine schmale mehrere Meter hohe Felsspalte geht es in einen stockdunklen Raum. Jetzt dämmert mir, was ich vergessen habe: Die Taschenlampe. Mit den LEDs meines Handys leuchte ich notdürftig die gut erhaltenen Podeste und Nischen aus – immer auf der Hut vor plötzlich zum Leben erwachenden Fledermäusen.

Beeindruckend ist auch der Hohlweg Il Cavone: Viele Meter in den Felsen geschlagen und im Laufe der Jahrtausende durch zum Teil natürliche Erosion weiter vertieft zeigt er an seinen senkrecht aufsteigenden Wänden etruskische Grotten und Gräber aus späteren Epochen.

Sovana - Loggia del Capitano und Palazzo Pretorio (12. Jh.) Das eigentliche Hügelstädchen Sovana besteht nur aus einer Straße nett restaurierter Häuser mit unverputzten Tuffsteinfassaden und da knallt, mal wieder, die Sonne. Wir flüchten in die einzig offene Bar direkt im Palazzo Pretorio und schieben uns eine mäßige, aber dafür spottbillige Pizza rein. So gestärkt schaffen wir es einmal hin zur Burgruine Rocca aus dem 11. Jahrhundert, einst Hauptsitz der Aldobrandeschi am östlichen Ende und wieder zurück zum Duomo dei Santi Pietro e Paolo ganz im Westen. Die romanisch-gotische Kathedrale wirkt auffällig gedrungen. Erst im angenehm kühlen Innenraum erschließen sich ihre wahren Ausmaße.

Die kurvige Strada Provinciale Sovana führt uns an den südlichen Rand der Toskana. Im Dreiergestirn der Città del Tufo nimmt

Sorano

Sorano - La Fortezza Orsini (ab 12. Jh.) die herausragende Stellung ein. Allein die Auffahrt über die von senkrechten Felswänden begrenzten Serpentinen verursacht ein mulmiges Gefühl. Links und rechts erkennen wir Grabnischen aus etruskischer Zeit – ein Anzeichen dafür, dass der gesamte Hügel von einem Labyrinth aus Gängen und Schächten durchzogen ist. Wir bleiben auf einem Parkplatz am Fuße des Plateaus stehen und gehen zu Fuß weiter. Die sengende Sonne fordert ihren Tribut: Nur mit nachdrücklichen Worten kann ich den Rest der Familie zum Weitergehen animieren. Zu allem Unglück entpuppt sich der Aufstieg als Sackgasse, denn wir landen oben angekommen inmitten der Festungsmauern der Rocca degli Orsini. Diese wird heute als Hotel genutzt und es gibt nur eine Touristeninfo, einen schönen Ausblick und keine Verbindung zum Rest der Stadt.

Sorano - ehem. jüdisches Ghetto Wie nicht anders zu erwarten verweigern meine Begleiter einen erneuten Aufstiegsversuch in die andere Richtung nachdem wir wieder unten am Wagen angelangt sind. Also geht es weiter mit Motorkraft … Irgendwie sind wir jedoch immer relativ schnell aus der Stadt wieder draußen, egal in welche Richtung wir fahren. Erst der Blick aus einer Kurve erschließt uns die wahrhaft faszinierende Topographie dieses Ortes: Einem Adlerhorst ähnlich kleben die unter den Aldobrandeschi erbauten mittelalterlichen Häuser am Felsen – die Dächer dicht an dicht. Somit dürfte klar sein, dass man hier mit Fahrzeugen nicht weiter kommt. Wir stellen also ab und steigen, diesmal bequemer von oben und weitgehend im Schatten, in die mittelalterlichen Gassen hinab. Die schmalen Wege bilden ein verwirrendes Labyrinth, führen rauf und runter und sind durch noch steilere Treppen miteinander verbunden – ob für öffentliche oder private Nutzung, ist nicht immer zu erahnen. Da wo es gar nicht anders ging, haben findige Baumeister kurzerhand die Wege mit Bögen und Gewölben überspannt. An einer Stelle sind noch die Spuren des Eingangstores zum ehemaligen jüdischen Ghetto zu erkennen.

Sorano - Westansicht vom Masso Leopoldino Als wir am höchsten Punkt der Altstadt, dem Masso Leopoldino angelangt sind, stehen wir auf dem Dach eines befestigten natürlichen Tuffsteinfelsens, welcher von einem Uhrturm flankiert wird. Von hier oben erschließt sich die ganze architektonische Pracht – kein modernes Bauwerk stört die perfekte Harmonie – aber auch der Zerfall, dem bereits einige unbewohnte Häuser am Rande der Schlucht zum Opfer gefallen sind. Als wir die frei stehenden Außenmauern eines Gebäudes von einer weiteren Terrasse aus der Nähe betrachten, wird uns bewusst, dass der Einsturz in Folge handbreiter Risse nur noch eine Frage der Zeit ist.

Pitigliano Als wir auf dem Rückweg Richtung Grosseto die umwerfende Silhouette von Pittigliano passieren, blutet uns das Herz. Doch für einen Abstecher ist es an diesem Tag schon zu spät.

Wie an jedem Morgen erblicken wir von unserer Terrasse in der Ferne

Roccastrada,

Roccastrada ein typisches südtoskanisches Hügelstädtchen mittelalterlichen Ursprungs, so wie es scheint. Als wir es jedoch aus der Nähe in Augenschein nehmen, wirkt es weitgehend unspektakulär. Im Gegensatz zu seinen malerischen Nachbarn dominiert hier noch der graue Verputz an den Häusern, dafür verfügt man über den einzigen Supermarkt weit und breit. Einige wenige historische Schätze wie der nach dem Krieg restaurierte Uhrturm und die Chiesa di San Nicola mit einer kontrastreichen Travertin- und Backsteinfassade haben die Zeit überdauert.

Ganz anders der trotz seiner kaum 200 Einwohner mit einer Fülle von entzückenden Kleinoden gesegnete Ortsteil

Montemassi.

Montemassi - Castello Gülden schimmert die Ruine des Castello im Abendhimmel. Die Silhouetten der die weite Ebene von Grosseto umspielenden Berge verschmelzen mit den zarten Pastelltönen des Maremmalichts. Die versammelten Principe lobpreisen die hiesige Pizza als die beste diesseits, während ich die das Gesamtkunstwerk umrahmenden Zypressen als durchaus wohlproportioniert und -positioniert empfinde und darauf eine Grappa Barrique kommen lasse. Ja, die Zykaden sind so laut, dass wir uns kaum unterhalten können. Aber wer hat denn Angesichts solcher Erhabenheit die Muse für Konversationen? Nun gut, der Vino Bianco de la Casa … man weiß nicht so richtig, was da drin ist in der Karaffe. Egal … die Ruine des Castello im Abendlicht, die Pastelltöne des Maremmahimmels, die Zykaden, die Zypressen, die bleierne Hitze eines hochsommerlichen Tages … und dann die erste Fledermaus über unseren Köpfen … Das ist es!

Montemassi - Blick vom Castello auf die Chiesa di Sant'Andrea Apostolo Montemassi wird von einer weithin sichtbaren Burgruine dominiert. Der steile Aufstieg zum frisch renovierten Castello der Aldobrandeschi erfolgt in Serpentinen und erfordert gegenüber dem Nachwuchs einiges an Überzeugungskraft. Die anschließend in Aussicht gestellte köstliche Pizza im Ristorante Il Grottaione am Ortseingang verfehlt dann schließlich nicht ihre Wirkung. Oben angekommen schauen wir tief in die Maremma bis weit hinter Grosseto und auf die in Folge der aberwitzigen Kreuzfahrthavarie der Costa Concordia zu trauriger Berühmtheit gelangten Isolo del Giglio.

Das bekannteste Seebad der Maremma lockt uns am letzten Tag der Reise dann doch zu einem Abstecher. Auch wenn die Toskana gemeinhin eher durch kulturelle Hinterlassenschaften im Landesinneren glänzt, entfaltet der Name

Castiglione de la Pescaia

Castiglione della Pescaia einen mondänen Klang. Die Strade Provinciale Macchiascandona und delle Padule verlaufen am nordwestlichen Rand der Ebene von Grosseto bis hinunter zur Küste. Dann muss man sich entscheiden: Bleibt man im Ort oder fährt links über die Mündung der Bruna und entlang des kilometerlangen Piniengürtels. Mit keinem dieser Vorhaben kommen wir zum Ziel. Die offiziellen Strände sind hoffnungslos überfüllt und die Parkplatzsuche innerhalb des eigentlich reizvollen Städtchens gestaltet sich als nahezu unlösbar. Andererseits ist die wilde Küste unterhalb des Pinienwaldes ist für motorisierte Besucher praktisch unerreichbar: Die wenigen wilden Parkmöglichkeiten entlang der Strada Statale wurden in den letzten Jahren rigoros beseitigt und durch metertiefe Gräben ersetzt. Nur über lange Fußwege gelangt man noch ans Ziel seiner Träume. Vor einigen Jahren hatten wir dieses Vergnügen, jedoch fehlt uns heute leider die Zeit.

Nach langem hin und her ergattern wir doch noch einen (kostenpflichtigen) Abstellplatz und schlendern durch die Gassen zur Hafenmole hinunter. Von dort aus blickt man auf die Mauern der Rocca (12. - 14. Jh.) auf dem sanft von Pinien umsäumten Hügel. Einmal mit den Füßen im tyrrhenischen Meer gestanden zu haben, so beschloss ich, sollte das Mindeste sein, während es der Rest des Teams lieber vorzieht, im Schatten zu verweilen. Zum Beweis noch ein paar umher liegende Muscheln eingesteckt, dann geht es zurück ins Städtchen in den nächsten Eissalon.