Den Norden mit Porto, Madeira und insbesondere Algarve haben wir schon ausgiebig bereist. Wir lieben Portugal, das kann man mit Fug und Recht behaupten. Aber zu mehr als einer unfreiwilligen Zwischenlandung in der Hauptstadt hat es bislang nicht gereicht. Und dann ist da noch die Atlantikküste, die man aus mehrerlei triftigen Gründen nicht verpassen sollte: Unfassbar lange Sandstrände mit Wellen so hoch wie mehrstöckige Wohnhäuser – im Winter … ja … und auch nicht überall – und halb vergessene Weltkulturerbestätten im Hinterland.
Wir beginnen mit einem einwöchigen ergiebigen Trip ins historische Herz
Lissabons.
Vom nahegelegenen Flughafen gelangt man in einer knappen Dreiviertelstunde seit der Expo 1998 bequem mit der Metro bis ins Zentrum – einmal Umsteigen in Alameda inbegriffen. Der Fahrpreis beläuft sich unter Verwendung der Navegante Card mit aufgeladenen Guthaben – man halte sich fest – auf gerade einmal 1,66 €. Von der Station Baixa-Chiado ist unsere Unterkunft in einer Mansarde an der steilen Rua da Bica mit einer der drei noch operierenden Standseilbahnen in gut fünf Minuten Fußmarsch erreicht. Drei Stockwerke und eine steile Stiege bis nach oben, dann betreten wir die liebevoll restaurierte Altbauwohnung mit knarrenden, selten geraden Dielen, Kassettentüren, einem Balkon und zweier schwindelerregender Austritte direkt über dem Dach mit Ausblicken auf die Bahnschienen des Elevador da Bica und bis über den Tejo. Das
Bairro Alto
ist seit Jahren einer der angesagtesten Viertel mit unzähligen Restaurants, Bars und Cafés. Der einheimischen Szene ging der Ansturm der zahllosen Touristen wohl dermaßen auf den Geist, dass sie sich an den Stadtrand verzogen hat. Nichtsdestotrotz kann man hier immer noch ausgiebig lange ausgehen und gut und preiswert essen.
Die Gegend zieht vor allem ein sehr junges internationales Publikum magisch an. Exemplarisch sei hier das allabendliche gemeinschaftliche Chillout am Miradouro de Santa Catarina erwähnt. Gruppen von Erasmus-Schülern verlustieren sich an mitgebrachten Getränken und wer mehr bezahlen kann, lässt sich am Quiosque oberhalb der Terrasse bedienen. An einem der Abende landen wir in der Frutaria Saldanha, einer winzigen traditionellen Trattoria eines spitz zulaufenden Gebäudes. Anfangs hatte ich meine Zweifel, ob man in solch einem kleinen Gebäude ein Restaurant führen kann, aber es funktioniert tadellos. Die Preise sind trotz der Steigerungen in den letzten Jahren sehr moderat: Rund 12 € für ein Fischgericht, 3-4 € ein Glas Wein und große Wasserflaschen für 2 € – nicht mehr als an einem Kiosk.
Zum Tejo hin wird das Bairro durch die Cais do Sodré begrenzt, einem revitalisierten Uferbereich des ehemaligen Hafen- und Rotlichtviertels mit Lokalen, bewirtschafteten Ständen und traditionellen Kiosken mit Ausschank. Hauptanziehungspunkt ist jedoch der Mercado da Ribeira Nova mit einem auch in anderen Metropolen bereits erprobten Gastronomiekonzept für in die Jahre gekommene Markthallen: Hol Dir zu Essen und zum Trinken, was Dir gefällt und setz Dich dahin, wo es beliebt. Hier kredenzen Sterneköche bezahlbare Happen vor den Augen des Volkes. Das führt im hiesigen Fall zu allabendlichen Gelagen unter Freunden, Familien und Kollegen und einem nicht enden wollenden Kampf um die begehrten Sitzplätze. Sind diese erstmal gesichert, wird ständig Nachschub besorgt, bis nichts mehr auf die Tische passt. Neben den schnellen Klassikern wie Burgern und Pizza haben die meisten Stände portugiesische Spezialitäten wie Bacalhau in allen Varianten, gefüllte Kroketten und Seafood im Angebot. Natürlich auch das lokale Traditionsgericht Bacalhau à Brás: Gesalzener Kabeljau mit Zwiebeln und hauchfeinen Bratkartoffelstreifen, alles mit Eiern zu einem runden Törtchen gebunden. In den engen Gassen weiter oben isst man zwar authentischer, aber hier ist beste Stimmung garantiert.
Die Rua da Rosa ist so eine Meile mit großer Auswahl an Küchen: Koreanisch, indisch, und natürlich einheimisch mit und ohne Fado-Darbietung. Das Catinho da Rosa ist ein Refugium, was es uns angetan hat: Laut, herzlich, die Tische dicht beieinander und bei Bedarf verrückbar. Es gibt die Klassiker wie gegrillten Fisch mit Salzkartoffeln und Salat und davor das obligatorische Gedeck aus Brot, Butter, Oliven, Fischpaste und Käse. Dazu trinkt man Hauswein oder auch einfach nur eine Caneca Sagres oder Super Bock. Die Kellner in solchen Etablissements sind immer gut gelaunt, begrüßen einen in jeder geläufigen Sprache und sind absolute Meister im Platzieren neu eintreffender Gäste. Als zu vorgerückter Stunde noch eine Gruppe junger, auffällig gestylter Portugiesen eintrifft, werden wir kurzerhand höflich, aber bestimmt an den Nachbartisch bugsiert. Nach diesem gelungenen Abend nehmen wir den Rückweg über die parallele Rua da Atalaia – die hat es in sich. Alles, was wir bisher an Touristenfallen vermisst haben, gibt es hier konzentriert: Eine Bar nach der anderen, lauthals singende Briten, Junggesellinnenabschiede und leicht angeheiterte und bekleidete Animateurinnen. Bloß schnell durch hier … Der Wahnsinn wird nur noch unter bunten Regenschirmen in der Rua Nova do Carvalho übertroffen: Auf dem pink bemalten Asphalt riskiert ein Travestiekünstler auf Rollschuhen bei halsbrecherischen Einlagen seinen Kopf, damit möglichst viele Schaulustige in die überteuerten Lokale einkehren.
Weiter westlich gibt es auch ordentlich was zu sehen: Nichts Geringeres als das monumentale Parlamentsgebäude Palácio de São Bento. Wie es sich gehört, paradieren hier Soldaten in dunkelblauen Ehrenuniformen mit weißen Gürteln und Pickelhauben(!). Man erreicht es über die kurvige Rua Poiais de Sao Bento, auf der normalerweise die legendäre hölzerne 28E verkehrt, in unserem Fall aber nur langweilige Ersatzbusse. Etwa 700 Meter weiter, die Straße wird zur Calcada da Estrella, stehen wir vor der gleichnamigen weißen Basilika mit weithin sichtbarer Kuppel und Doppeltürmen. Da gerade Gottesdienst ist, empfiehlt es sich, zuerst auf das Dach zu steigen. Der Blick schweift erwartungsgemäß weit über die Dächer, aber die unmittelbare Nähe zu den kunstvollen Barockverzierungen der Türme und vor allem den direkten Zugang ins Innere der Kuppel hätten wir so nicht erwartet. Von einer umlaufenden Galerie blickt man geschätzte 30 Meter in die Tiefe und dem Pfarrer während der Messe auf den Kopf. Trotz dieser schwindelerregenden Perspektive verstehen wir jedes Wort aus diesem voluminösen Raum.
Wieder unten angekommen, ist die Kirche nun offen für Besichtigungen und beeindruckt mit mächtigen Tonnengewölben rund um die zentrale Kuppel mit feinsten Details und einem mehrfarbigen Marmorfußboden.
Gleich gegenüber verspricht der Jardim Guerra Junqueiro Abkühlung von den Anstrengungen in luftiger und sonniger Höhe. Ein Teich mit possierlichen Wasserschildkröten entzückt die Parkbesucher und unter monumentalen Gummibäumen mit exotischen Luftwurzeln verbringen die Leute ihre Mittagspause.
Ein Bus bringt uns nach der ersehnten Kaffeepause im Grünen zum Bahnhof Rossio und zur oberhalb gelegenen Igreja de São Roque. Die ab 1566 errichtete Mutterkirche der Jesuiten macht von außen einen unscheinbaren Eindruck, übertrifft aber in ihrem Inneren alles, was man in Lissabon sonst an Prunk in einem Gotteshaus zu sehen bekommt. Der Hauptaltar und die Seitenkapellen quellen über vor Gold, Edelsteinen und Marmor. Das unbestreitbare Glanzstück, die Kapelle Johannes des Täufers, wurde in 10 Jahren penibler Kleinarbeit von italienischen Künstlern in Rom aus Gold, Silber, Alabaster, Lapislazuli und verschiedenstem Marmor erschaffen, zerlegt, anschließend verschifft und hier wieder aufgebaut. Entsprechend den damaligen Glaubensvorstellungen musste der Innenraum möglichst groß sein, also verzichtete man auf Seitenschiffe und überspannte das einzige Mittelschiff mit einer ungewöhnlich großen Holzdecke aus Stämmen, die aus Deutschland importiert werden mussten.
Östlich der quirligen Praça Luís de Camões mit ihrem Straßenbahnknotenpunkt beginnt die
Baixa,
Lissabons historische Unterstadt und das Geschäftszentrum. Noble Cafés wie das Brasileira, legendäre Geschäfte, aber auch sehr touristische Fressmeilen wie die Rua Augusta mit einschlägigen Lokalen und vielen bunten Bildern als Speisekartenersatz, finden sich hier. Letztere mündet am kolossalen Arco in der weiten Praça do Comércio und somit direkt am Ufer des Tejo. Sollte dieser Bogen an den Pariser Arc de Triomphe erinnern, so war das durchaus beabsichtigt.
Ein unübersehbares Highlight des Viertels ist der Elevador de Santa Justa, ein über 120 Jahre alter Aufzug zwischen der Baixa und dem höher gelegenen Chiado. Die gusseiserne Konstruktion im neugotischen Stil überwindet 45 Höhenmeter und ist nahezu immer von einer langen Schlange von Touristen belagert, die gerne lange warten, um in einer engen Kabine viele Euros für eine Fahrt von wenigen Sekunden zu bezahlen. Ich entscheide mich für einige Bilder aus allen möglichen kostenfreien Perspektiven und gehe weiter.
Im Dreieck zwischen dem Aufzug, der Igreja de São Roque und der Praça Luís de Camões liegt der geschichtsträchtige Largo do Carmo mit seinen blau blühenden Jacarandabäumen. Das erinnert an einen jüngeren geschichtsträchtigen Tag eines traditionsreichen Frankfurter Fußballvereins in Sevilla … Hier wurde Caetano, der letzte Machthaber der portugiesischen Diktatur, am Abend der Nelkenrevolution in der Polizeikaserne von Demonstranten belagert, bis er endlich aufgab und ins Exil flüchtete. Bemerkenswert ist auch die benachbarte, aus der Entfernung von allen Hügeln der Altstadt sichtbare Ruine der Igreja do Carmo, die 1389 zusammen mit dem Karmeliterkloster errichtet wurde. Die gotischen Spitzbögen mahnen an das furchtbare Erdbeben von 1755 und beherbergen heute ein archäologisches Museum.
Weiter oben an der großzügigen Praça do Rossio findet sich zum einen ein sehenswerter innerstädtischer Bahnhof mit einem neo-manuelinischen Portal und zum anderen die Igreja de São Domingos de Lisboa. Als wir diese betreten, sind wir erschüttert: Die Wände des gesamten Innenraums befinden sich noch im gleichen desolaten Zustand, wie ihn die Feuersbrunst von 1959 hinterlassen hat.
Ein weiteres Mahnmal in Form einer Halbkugel mit Davidstern erinnert direkt vor der Kirche an das Pogrom von 1506, als sogenannte Altchristen, unter anderem Dominikanermönche, zu einem Massaker an Tausenden zwangskonvertierten Juden anstifteten.
Oberhalb vom Rossio führt eine weitere Standseilbahn, der Elevador da Glória, wieder hoch in die Oberstadt. Man kann aber auch die Mühe auf sich nehmen und über die südlich verlaufende Calçada do Duque eine nicht enden wollende Treppenansammlung mit sehr touristischen Restaurants in phantastischer Lage erklimmen und unterwegs die durchaus phänomenalen Aussichten genießen.
Lissabon gilt gemeinhin als sehr sicher: Keine Raubüberfälle, Messerstechereien oder Belästigungen – sagt man sich nach. Vor diesem Hintergrund müssen wir unsere heutigen Eindrücke auf der Praca Martim Moniz am nordöstlichen Ende der Baixa erst einmal verarbeiten. Die Zeltlager der Obdachlosen im Park und unter den Arkaden übertreffen die aus dem Jardim de Cerca noch einmal. Hinzu gesellt sich eine unangenehm desolate Drogenszene, wie man sie sonst nur aus dem Frankfurter Bahnhofsviertel kennt und wir sind froh, dass wir den Platz so schnell wie möglich wieder verlassen.
Ansonsten scheint in dieser großartigen Metropole nicht allzu viel zu passieren: Mit Vollgas und Blaulicht werden wir in der Rua do Alecrim von den Bombeiros überholt. Unten angekommen sehen wir, wie an der weiträumig abgesperrten Straßenbahnhaltestelle am Cais do Sodré eine mutmaßliche Blutspur abgestreut wurde, während die Polizei den Verkehr an diesem zentralen Knotenpunkt komplett manuell regelt.
Östlich der Baixa beginnt die hügelige
Alfama
mit dem Castelo de São Jorge als zentralem Mittelpunkt. Die Burg in ihrer jetzigen Form ist eine weitgehende Neuschöpfung des 20. Jahrhunderts, nachdem der Ursprungsbau durch das Erdbeben von 1755 völlig zerstört wurde. Die langen Warteschlangen vor dem überbewerteten Bauwerk und vor allem der horrende Eintrittspreis von 20 € sind daher alles andere als gerechtfertigt.
Schöne Ausblicke kann man auch kostenlos an einem der vielen Miradouros in diesem Viertel haben. Von der Sé, der Lissaboner Kathedrale folgt man einfach den Straßenbahnschienen nach oben und erreicht den ersten bereits an der Igreja de Santa Luzia in einem kleinen Park und unter einer von Azulejos geschmückten Pergola (sofern nicht irgendwelche Unverbesserliche die Kacheln als Souvenir demontiert und mitgenommen haben).
Noch prächtiger wird es am Miradouro das Portas do Sol: Weit über die Dächer der alten Alfama, des ursprünglichen Stadtkerns mit seinem engen Gassengewirr, blickt man hinunter bis zu den neuen Kreuzfahrtanlegern. Was dort an Schiffen fest macht, übersteigt die Vorstellungskraft. Ein Monstrum wie die Independence of the Seas überragt mit ihren 18 Decks die Aussichtsplattform unseres Berges und flutet mit rund 5000 Passagieren und Besatzungsmitgliedern ganze Stadtviertel. Am besten, man setzt sich mit einem kühlen Getränk an den benachbarten Quiosque, wartet bis der Dampfer wieder ablegt und gegenüber eine einigermaßen leere Straßenbahn eintrifft, um zurück ins Barrio zu zuckeln.
Nein, das machen wir natürlich nicht, sondern stapfen einige Hundert Meter weiter bis zum Mosteiro de São Vicente de Fora. Neben dem Castelo ist das Kloster die dominierende Landmarke im Alfama. Geöffnet ist an diesem Abend aber nur noch die zugehörige Kirche. Gleich dahinter liegt die erst 1966 fertig gestellte Igreja de Santa Engrácia – eigentlich gar kein reguläres Gotteshaus, sondern ein Panteão Nacional, wo eine Reihe wichtiger Persönlichkeiten ihre letzte Ruhestätte gefunden haben, u.a. der legendäre Fußballer Eusébio.
Parque das Nações
Unschwer zu erkennen, dass sich hinter diesem Begriff das ehemalige Gelände der Expo von 1998 verbirgt. Inzwischen ist daraus ein eigener Stadtteil mit Fernbahnhof, Einkaufszentrum, Multifunktionshalle, Museen und dem berühmten Oceanário erwachsen. Über den schon bekannten Knotenpunkt Alameda gelangen wir mit der Linha Vermelha bis zur Station Oriente, dem futuristischen Großbahnhof der Weltausstellung von Santiago Calatrava. Er wurde als neuer Hauptverkehrsknotenpunkt der Hauptstadt für die in alle Landesteile verkehrenden Züge konzipiert und soll künftig an eine neue Tejobrücke angeschlossen werden. Auffallend ist seine an gotische Stilelemente angelehnte leichte Dachkonstruktion.
Rafael e São Gabriel - im Vordergrund
'Lince Ibérico' (Bordalo II)
Auf der anderen Seite der Avenida Dom João II fungierte das heutige Centro Vasco da Gama als Empfangsgebäude für die Expo. Die beiden flankierenden 110 Meter hohen Torres São Rafael e São Gabriel sollen in ihrer Form und Namensgebung an die Schiffe erinnern, mit denen der Seefahrer 1498 den Seeweg nach Indien entdeckte. Leicht versetzt und direkt am Tejo liegt die 20.000 Zuschauer fassende MEO Arena, der ehemalige Pavilhão da Utopia, gleich daneben der bis heute für wechselnde Ausstellungen genutzte portugiesische Pavillon. Das die beiden Gebäudeteile verbindende Hängedach aus Beton macht auf mich keinen dauerhaften Eindruck: Erste Korrosionsschäden des stählernen Innenlebens sind bereits erkennbar.
Passend zum Motto der Weltausstellung ‚Die Ozeane: Ein Erbe für die Zukunft‘ hat man damals das größte Aquarium Europas geschaffen, das Ziel unserer heutigen Exkursion. Über zwei Ebenen um ein zentrales, fünf Millionen Liter fassendes Becken auf 1000 Quadratmeter Grundfläche erstrecken sich vier riesige doppelstöckige Acryl- und schätzungsweise zwanzig Nischenfenster. Der Tank ist groß genug, um Haie, Rochen, Barracudas, Muränen und ganze Schwärmen von kleineren Fischen gleichzeitig zu beherbergen. Aus allen Perspektiven ergibt sich die Illusion eines sonnenbeschienenen offenen Ozeans mit Riffen und Unterwasserflora.
Rings um diese Hauptattraktion sind Habitate für Pinguine, Seeotter, Seevögel und ein kleiner Regenwald angeordnet. In zahllosen kleineren Aquarien finden sich tropische Fische, Korallen, Quallen und Anemonen.
Mit der Vorortbahn Richtung Cascais gelangen wir in gerade einmal 7 Minuten nach
Belém
Der westlichste Stadtteil beherbergt einige bedeutende Monumente zur Erinnerung an Portugals Entdeckerära. Vom Bahnhof aus geht es zunächst zum Padrão dos Descobrimentos, einem monumentalen Denkmal aus der Salazar-Zeit, welches in Form eines Schiffsbugs zum Teil über den Tejo hinausragt. Darauf sind so ziemlich alle wichtigen Persönlichkeiten in Stein gehauen worden, die jemals zum Ruhme des Landes beigetragen haben. So imposant das Ganze auch wirkt, so ist die Architektur doch eindeutig vom faschistischen Geist geprägt. Den übertriebenen Eintrittspreis für die Aufzugsfahrt auf die Aussichtplattform dieses Machwerks ersparen wir uns. Auf dem Platz vor dem Monument ist die Rosa dos Ventos, eine Windrose aus Mosaiken mit 50 Metern im Durchmesser, eingelassen. In ihrem Zentrum zeigt sie eine Weltkarte mit den Routen der Entdecker – sofern nicht wie so oft eine Busladung Touristen darauf herumsteht.
Knapp einen Kilometer weiter erwartet uns der Torre de Belém, eines der wenigen manuelinischen Glanzstücke, welche das Erdbeben überstanden haben. Einst stand er einsam auf einem Felsen im Mündungsbereich des Tejo und bewachte zusammen mit zwei anderen Wachtürmen die Einfahrt nach Lissabon. Durch Aufschüttungen ist er heute mit dem Festland verbunden. Unglücklicherweise wird er gerade renoviert, aber auch die Außenansicht hat die Anfahrt gelohnt.
Auf dem Rückweg durch den benachbarten Jardim werden wir Zeuge einer knallharten Razzia: Mit zivilen und uniformierten Kräften geht die Polizei gegen die fliegenden Souvenirhändler im Parkt vor. Das auf Decken ausgebreitete Sortiment wird kurzerhand beschlagnahmt und wandert in bereitgestellte Lieferwagen, während einige der Frauen fluchend davonziehen. Auf einem nahegelegenen Platz gibt es zahlende Stände, die offensichtlich durch diese Aktion vor der illegalen Konkurrenz geschützt werden sollen.
Unweit des Parks am schattigen Largo da Princesa finden wir einen Foodtruck mit griechischen Meze (!). Es gibt sogar original Mythos Lager aus Flaschen. So weit entfernt von der Ägäis hätten wir das nicht erwartet.
Auf der Höhe des Padrão dos Descobrimentos, aber auf der anderen Seite der Durchgangsstraße und Bahnstrecke erstreckt sich das Mosteiro dos Jerónimos aus dem 16. Jahrhundert. Aufgrund der späten Stunde und der immer noch langen Schlange vor dem Eingang beschränken wir uns auf die Außenansicht und den freien Eintritt in die zugehörige und ebenfalls prachtvolle Igreja de Santa Maria de Belém. Ähnliche Höhepunkte der portugiesischen Manuelinik werden wir zu einem späteren Zeitpunkt in den Klöstern von Batalha und Tomar bewundern dürfen. Bereits das Südportal erschlägt einen mit seiner Detailfülle aus steinernen Figuren und Ornamenten. Im Inneren beeindruckt ein durch filigrane, reich verzierte Säulen getragenes Netzgewölbe – kaum vorstellbar, dass dieses Meisterwerk der Statik das verheerende Erdbeben überstanden haben soll. Neben dem Sarkophag Vasco da Gamas, dem großartigen Entdecker des Seewegs nach Indien, beherbergt der Altarraum die zwei Königspaare aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts: Manuel I. und Maria von Aragon sowie João III. und Katharina von Kastilien.
Mit dem Kloster und zweifellos dem Höhepunkt von Belém endet unser Ausflug noch nicht. Dreihundert Meter weiter östlich stoßen wir auf den Palácio Nacional de Belém. Streng bewacht sind von der Straße hinter einer Mauer nur Dächer und Obergeschosse mit Azulejoschmuck erkennbar – gesäumt von stolzen Pinien und Zypressen. Ursprünglich 1559 als Wohnsitz und Gästehaus der Königsfamilie erbaut, residiert hier seit 1911 der portugiesische Präsident. In der kleinen Parkanlage davor grüßt von einer mächtigen Säule Afonso de Albuquerque, der Eroberer der indischen Kolonien. Eine der beiden steinernen Bänke Richtung Straße trägt eine Inschrift, wonach der örtliche Fußballclub OS Belenses – immerhin vierfacher Meister und dreifacher Pokalsieger – an dieser Stelle entstanden ist.
Und weiter geht die Tour zurück ans Ufer. Vor uns sind die Gebäude des MAAT, des Museu de Arte, Arquitetura e Tecnologia, zu erkennen. Wir passieren das Central Tejo, ein ehemaliges Kohlekraftwerk und imposantes Industriedenkmal aus Backstein aus den Jahren 1914-51. Dahinter erstreckt sich ein weißer futuristischer Museumsbau in Wellenform. Die rund 15.000 Kacheln reflektieren das Wasser des Tejo und laden zusammen mit den schattigen Stufen am ansonsten kahlen Ufer zum Verweilen ein. Darüber hinaus ist das Dach des relativ flachen Baus komplett begehbar und bietet in alle Richtungen phantastische Panoramen der Uferzonen.
Letzte Etappe des heutigen Tages ist der Ponte 25 de Abril, das neben dem Torre wohl bedeutendste Wahrzeichen Lissabons. Schon als wir uns der gewaltigen Stahlkonstruktion nähern, zieht uns der geradezu unheimliche, durch Schwingungen verursachte Dauerbrummton des Straßenverkehrs in seinen Bann. Die 1966 eröffnete Hängebrücke ist bis heute die weltweit drittlängste kombinierte Eisenbahn- und Straßenverbindung ihrer Art und erinnert in Form und Farbgebung an die Golden Gate von San Francisco. Jenseits des Pylons beginnt an einem Yachthafen mit zahllosen Lokalen der Stadtteil Alcantara – ein Rückzugsort für die von der Touristeninvasion genervte einheimische Szene.
Schon vor dem Start der diesjährigen Portugal-Reise war ein Abstecher nach
Sintra
fest eingeplant. Die verspielten, teils märchenhaften Schlossbauten und Herrenhäuser inmitten einer malerischen sattgrünen Hügellandschaft hatten mich schon auf den ersten Bildern im Netz beeindruckt. Die Nutzung eines Mietwagens, um möglichst zeitsparend die gut 30 Kilometer bis in die Kleinstadt am Rande der Region Lissabon zu überwinden, wurde relativ schnell verworfen, als sich die Aussichtslosigkeit der Parkplatzsuche im Zentrum der Hauptstadt offenbarte. Mit dem im 30-Minuten-Takt verkehrenden Direktzug vom zentralen Bahnhof Rossio hatte ich bereits vor Reiseantritt eine sehr günstige (2,50 €) und schnelle Ersatzverbindung gefunden. Durch das bereits weiter oben erwähnte repräsentative Empfangsportal und eine Rolltreppe gelangen wir eine Ebene höher in die von prächtigen Azulejo-Bildern geschmückte Gleishalle. Der Nahverkehrszug fährt zunächst durch den 1890 eröffneten Innenstadttunnel und erreicht bei Campolide das Tageslicht. Links erblickt man den gewaltigen Aqueduto das Águas Livres, der mit seinen bis zu 65 Meter hohen Bögen das Tal von Alcântara überspannt – eine technische Meisterleistung aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Nächster Halt ist Benfica, der namensgebende Stadtteil des wohl berühmtesten portugiesischen und mitgliederstärksten Fußballclubs der Welt. Danach haben wir das Lissaboner Stadtgebiet bereits verlassen und halten in einer ganzen Reihe noch nie gehörter Vororte. Nach 40 Minuten ist der Bahnhof Sintra erreicht – Endstation, nun geht es zu Fuß weiter.
Nur wenige Meter vom Bahnhof entfernt versetzt bereits die Câmara Municipal mit einer Zuckerbäckerfassade wie aus tausend und einer Nacht in Erstaunen. Auf dem Platz davor steht der Pelourinho, ein 1940 rekonstruierter Pranger im manuelinischen Stil.
Ein Taleinschnitt trennt das Rathaus vom historischen Zentrum mit dem Palácio Nacional, der ab dem 15. Jahrhundert durch João I auf den Grundmauern eines maurischen Alcazar errichteten Sommerresidenz. Die weithin sichtbaren konischen Schornsteine kamen erst sehr viel später im 18. Jahrhundert hinzu. Der Raum mit den Ticketschaltern ist nicht besetzt und die zwei Automaten bieten nur unzureichende Informationen hinsichtlich der Preisgestaltung. Es gibt Tickets für jedes einzelne Schloss und obendrein eines für den Landschaftspark. Allein der hiesige Palácio kostet 13 €, der Eintritt in den Palácio Nacional da Pena schlägt mit 17 € zu Buche, das Castelo dos Mouros (eine Ruine!) 12 € und der Parque da Pena 10 €. Und das war nur eine Auswahl der vielen Monumente – ganz schön happig. Ob preisgünstige Kombitickets erhältlich sind, lässt sich nicht herausfinden. Wir nehmen nur den Park, um später an Ort und Stelle zu entscheiden, ob sich der Zugang lohnt. Der Außenbereich des Palácio Nacional de Sintra ist kostenlos. Es gibt einige verschachtelte Terrassengärten zu sehen und man hat einen weiten Blick über das Städtchen bis hinüber zum Castelo dos Mouros auf dem Hügel gegenüber.
Die bevorstehenden weiten Wege gebieten jedoch zum Aufbruch. Bald zweigt ein Pfad von der Straße ab und führt bergauf durch einen wildromantischen botanischen Garten und vorbei an der malerischen Villa Sassetti. Das Sommerhaus im Stile Lombardischer Schlösser wurde ab 1890 im Auftrag des Lissaboner Hoteliers Victor Carlos Sassetti errichtet und fügt sich mit seinen von roten Ziegeln und romanischen Bogenfenstern akzentuierten Bruchsteinmauern harmonisch in die umgebende Landschaft ein.
Erneut lassen die langgezogenen Mauern des als romantische Ruine konservierten Castelo dos Mouros weiter oberhalb erahnen, wie die maurischen Eroberer ab dem 8. Jahrhundert anfingen, diese liebliche Landschaft für ihre Zwecke umzugestalten. Bald haben wir den Parque da Pena erreicht und es erfolgt die erste Einlasskontrolle. Rund um einen verwunschenen Weiher mit üppiger Bepflanzung und Wassergeplätscher verteilen sich künstliche Burgruinen, Entenhäuser und ein Tempel. Kaum zu glauben, dass dies alles vor 1840 einer Mondlandschaft glich. Der Jahrzehnte lange Verfall nach dem großen Erdbeben hatte ganze Arbeit geleistet.
Je näher wir dem eigentlichen Schloss kommen, desto größer werden die Menschenmengen. Als wir schließlich vor dem bunten und überdekorierten Bauwerk stehen, könnte man tatsächlich glauben, wir stünden in Disneyland. Der deutschstämmige König Ferdinand II. hat diese Komposition aus zahllosen historisierenden Stilen auf den Mauern eines verfallenen Klosters errichten lassen und zweifelsohne das Neuschwanstein Portugals geschaffen. Der Zugang zu den Terrassen und Innenhöfen ist – man mag es kaum glauben – kostenlos. Auch wenn wir uns das Erlebnis mit sehr vielen teilen müssen, geht es zügig voran – im Gegensatz zur endlosen Schlange vor den kostenpflichtigen Innenräumen.
Nach einem schnellen Espresso auf einer bis auf den letzten Zentimeter besetzten Außenterrasse sind wir wieder klar im Kopf und können die überwältigenden Details der Ostfassade mit dem Eingangsportal nach und nach erfassen: Tetraeder- und Kugeldekor, dazwischen Flächen mit Azulejos, in Stein gemeißelte filigrane Pflanzenornamente und Fabelwesen. Der Durchgang zur Westseite gleicht einer Moschee mit Säulen, Gebetsnische und feinsten floralen Reliefs mit arabischen Inschriften. Sobald wir diesen passiert haben, bläst uns ein eisiger Wind vom Meer entgegen. Die große Terrasse wird durch zwei Treppenaufgänge erschlossen und besticht durch einen grellen roten und gelben Farbkontrast. Der Blick reicht über die grünen Hügel und die Küstenebene bis an den Horizont des offenen Atlantiks. Im Norden besteht ein ungehinderter Zugang zur vollständig gefliesten Schlosskapelle aus dem 16. Jahrhundert und ihrem kunstvollen Alabasteraltar. Bis hier hat man die Struktur des Bauwerks mit seinem eigenwilligen Fassadenmix weitgehend erfasst und kann sich die zeitraubende, teure und von Drängelei begleitete Besichtigung der Innenräume ersparen. Sintra hat schließlich noch vieles mehr zu bieten.
Bequem geht es nun ausschließlich bergab, während sich an lichten Kurven malerische Perspektiven des Märchenschlosses eröffnen. Nach knapp einer Dreiviertelstunde erreichen wir über die östliche Route den Eingang zum Parque da Liberdade, welcher eine wohltuende Abkürzung durch üppige Botanik abseits der stark befahrenen Serpentinenstraße ermöglicht.
Wieder auf der Straße angelangt lässt rechterhand der 1922 im verspielten Stil des Neomudéjar errichtete Fonte Mourisca erneut die Vergangenheit aufleben. Nur ein kurzer Fußweg ist es von dort bis zur Quinta da Regaleira, einer der architektonischen Höhepunkte in Sintra. Auch wenn die Öffnungszeiten sich dem Ende zuneigen, klingt dies zu verlockend, denn die Steigungen sind im Vergleich zu den Schlössern im Park eher moderat. Nach etwa 15 Minuten stehen wir tatsächlich vor dem Wunderwerk und sind sprachlos, auch wenn der Eingang auf das Gelände mittlerweile geschlossen ist. 1910 hat ein Lissaboner Millionär das Phantasiegebäude im neomanuelinischen Stil und darum einen ganzen Park mit Grotten, Brunnen und Türmen erbauen lassen. Während die beschattete Südostseite noch den Eindruck eines konventionellen schlossartigen Anwesens macht, eröffnet sich von Südwesten über eine Reihe ansteigender Terrassen eine Komposition aus detailverliebten Mischwesen, gedrehten Säulen, Fenstersimsen und Zinnen, welche von charakteristischem Schiffstauwerk umgebenen Belvederchen gekrönt werden. Es ist klar, dass wir zu dieser späten Stunde nur noch einen Bruchteil der ganzen Pracht zu sehen bekommen, aber an einem einzigen Tag ist in Sintra zu Fuß nicht mehr möglich.
Immerhin bleibt noch Zeit für eine Einkehr in der Konditorei Queijadas da Sapa direkt an der Straße zum Rathaus, wo wir die gleichnamigen köstlichen Pasteis in einem aus der Zeit gefallenen und maximal entspannten Ambiente probieren dürfen.
Avenidas Novas
ist ein Stadtteil nördlich der Baixa. Die erste der namensgebenden überbreiten Alleen, die Avenida da Liberdada, beginnt bereits am Rocio und zieht sich gut einen Kilometer bis zum Marquês de Pombal. Eigentlich sind wir nur hier, um die einladenden Parkanlagen und die mondänen Hotels am Straßenrand zu begutachten. Auffallend ist heute jedoch, dass auf der ansonsten stark befahrenen Ausfallstraße praktisch keine Autos zu sehen sind. An der Kreuzung kurz vor dem Kreisel passieren wir schließlich Polizeiabsperrungen und sehen wenig später den Grund. Rund um den Marquês de Pombal wurden riesige Bühnen und Videoleinwände aufgebaut. Heute am 17. Juni ab 18 Uhr kommt es zum Showdown in der portugiesischen Fußballmeisterschaft. Das Fernduell der punktgleichen Lissaboner Clubs wird am letzten Spieltag in einem Heimspiel von Sporting gegen Guimarães und im Auswärtsspiel Benficas bei Braga entschieden. In Hoffnung auf ein aufregendes Public Viewing mit Live-Schaltungen zu den Spielorten warten wir, aber es passiert nichts. Ein Polizist erklärt mir auf Nachfrage, dass der ganze Aufwand für die anschließende Meisterfeier von wem auch immer betrieben wird. Schließlich marschiert auch noch eine Sondereinheit herbei und stellt sich dekorativ vor das Denkmal für den Marquês. Bald werden wir aufgefordert den abgesperrten Bereich zu verlassen und sehen nur noch, wie eine endlose Kolonne von Bierwagen mit kleinen Verkaufsanhängern in die Fanmeile einfährt.
An einem nahen Bierstand werden jedoch beide Spiele auf getrennten Bildschirmen mit jeweiligem Fanlager davor übertragen. Nach der ersten Hälfte führt Braga 1:0 und Sporting hat darüber hinaus das deutlich bessere Torverhältnis. Alles sieht nach einer klaren Sache aus, die anwesenden Anhänger von Sporting singen schon und wir laufen erstmal zurück in die Wohnung, um uns für die anschließende Meisterfeier zu wappnen.
Gut eineinhalb Stunden später – der alte und neue Champion Sporting wird mit spontanen Hupkonzerten gefeiert – sind wir wieder da, aber es tut sich nichts. Vor der Absperrung stauen sich inzwischen die Fans zu Tausenden. Aus Richtung Rocio sind Böllerschläge zu vernehmen und schon bald kreuzen die ersten Pyrotechniker mit grünen Rauchbomben auf. Im Licht der Dämmerung kann man erkennen, wie von riesigen Auslegerkränen ganze Container und Videoleinwände platziert werden. Das Gelände vor der Praça do Marquês de Pombal wird offensichtlich in den Farben des Siegers umdekoriert. Gegen 23 Uhr geben wir schließlich entnervt auf. Am nächsten Morgen sehen wir in einer portugiesischen Nachrichtensendung, dass die siegreiche Mannschaft wohl erst weit nach Mitternacht mit ihrem Doppeldeckerbus auf der Meisterfeier erschienen ist und von einem wilden und infernalischen Feuerwerk empfangen wurde.
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