Am Tag unserer Weiterreise zur Atlantikküste begeben wir uns erneut an den Aeroporto, um unseren Mietwagen in Empfang zu nehmen. Die Verabredung mit dem Mitarbeiter von Amoita im regulären Parkhaus wirkt zunächst unüblich, funktioniert aber tadellos. Fast zeitgleich trifft der junge Mann zwecks Übergabe in der verabredeten Zone ein. Auch hier offenbart sich wieder das leidige Parkplatzproblem Lissabons: Alles ist brechend voll und auch vor dem Gebäude gibt es nirgendwo Stellflächen. Die Vertragsmodalitäten werden daher locker lässig auf der Hutablage besprochen und unterzeichnet, danach dürfen wir endlich los und sind doch erstaunlich schnell dem Getümmel um den Flughafen entronnen.
Die gut einstündige Fahrt über die A8 und anschließend die IP6 bis nach
Peniche,
dem inoffiziellen Surfer-Mekka Portugals, verläuft dank der leeren Straßen und dem eingebauten Automatic Toll Payment Service vollkommen unbeschwert. Nach einer kurzen Nachricht an den Vermieter erhalten wir aus einem Schlüsselkasten vorzeitig Zugang zu unserem Apartment in einem gemischten Wohnviertel aus der Mitte des 20. Jahrhunderts. Schon während der ersten Erkundungstour in Richtung des alten Ortskerns am Hafen im Süden muss ich feststellen, dass die Halbinsel doch deutlich größer ist als das beschauliche Städtchen, welches ich nach den ersten Studien in Google Maps vermutet hatte. Unser verspätetes Mittagessen in einem der Fischlokale am Hafen zeigt uns, dass die Uhren hier anders gehen als im quirligen Lissabon. Der Service wirkt etwas behäbig und unerfahren, aber die gegrillte Goldbrasse ist einwandfrei.
Direkt im Anschluss erreichen wir die weitläufige ab 1557 entstandene Festung, mit deren tragischer jüngerer Geschichte wir uns später noch beschäftigen werden.
Weiter geht‘s danach an die Südküste. Hier reichen die Häuser des alten Ortskerns bis an die Felskante. Das Weiß der Fassaden und die vom üppigen Grün überwucherten Basaltfelsen bilden wunderschöne Kontraste in der späten nachmittäglichen Sonne. Insbesondere der tief einschneidende Meeresarm an der Rua da Arribas do Mar hat es uns angetan. Entlang dieser engen, vom Autoverkehr freien Gasse folgen noch weitere sehenswerte Aussichtspunkte an einer Mauer, auf deren Seeseite teils natürlich, teils angepflanzte blühende Sukkulenten die Felsenlandschaft zieren.
Die kleine, leider verschlossene Ermida de Santa Cruz oberhalb der Estrada Marginal Sul setzt noch einmal einen idyllischen Glanzpunkt, bevor wir den ziemlich trögen Rückmarsch über die viel zu breite, den Norden und Süden verbindende Hauptstraße antreten. Peniche ist ein typisches Beispiel, wie mangelnde Städteplanung zur Zersiedlung führt, weil öffentlicher Raum für überdimensionierte Straßen und nicht genutzte Plätze verschwendet wird. Die liberale Baupolitik entwertet darüber hinaus alte Ortskerne und lässt überall öde Brachflächen entstehen.
Keine Hundert Meter Luftlinie von unserer Unterkunft entfernt beginnt die stürmische Nordküste Peniches mit ihren imposanten Felsformationen. Diese finden sich vor allem entlang der Ilhéu da Papôa, einer geschützten Halbinsel, als Überreste eines 72 Millionen Jahre alten Vulkans. Das Gebiet ist über hölzerne Brücken und steinerne Stufen erschlossen und kann bis zum Ende der Landzunge begangen werden. Vor dem östlichen Ufer ragen steile Felsen aus dem Wasser, deren Plateaus von Seevögeln als Brutstätten genutzt werden.
Bemerkenswert ist auch ein Global Stratotype Section and Point (GSSP) einige Hundert Meter weiter westlich an der Steilküste vor unserem Wohnviertel. Von diesen durch eine Bronzeplakette markierten Referenzpunkten gibt es nur gut Hundert auf der ganzen Welt. Was hier genau dokumentiert wird, erscheint zunächst völlig rätselhaft. Erst eine Recherche im Internet bringt Licht ins Dunkel: Das hier beschriebene geologische Profil beschreibt anhand mariner Sedimente das Entstehungsalter der aufgeschlossenen Gesteinsschichten.
Am westlichen Ende der Halbinsel, ungefähr ab dem Miradouro da Cruz dos Remédios wird es abenteuerlich. Ein Gang über das scheinbar ebene Felsplateau erfordert höchste Aufmerksamkeit, denn tiefe, bis hinunter zum Wasser reichende Spalten klaffen zwischen den stempelartigen Gesteinstürmen. Mit der Varanda de Pilatos erreichen wir den Höhepunkt des Nervenkitzels in diesem Wunderwerk der Erosion: Eine Edelstahlleiter führt in die Tiefe hinab in eine Höhle, welche abgesehen vom fehlenden Dach und einem phantastischen natürlichen Panoramafenster zum Ozean hin geschlossen ist.
Die Fahrt endet am Cabo Carvoeiro mit seinem Leuchturm und einem inzwischen gesperrten Miradouro oberhalb eines verlassenen Restaurants.
Nicht ganz so einsam geht es oberhalb des Fischereihafens zu. Dort nah an der Quelle fangfrischer Rohware haben sich zusätzlich zu den landestypischen Grillrestaurants einige Sushi-Anbieter etabliert. Ich durfte schon einige solcher Restaurants der unterschiedlichsten Qualitätsstufen und Zielgruppen (schneller Mittagstisch, Abendessen mit Stil usw.) kennenlernen. Miyabi habe ich wie so oft über die Google-Suche entdeckt und bin definitiv beeindruckt.
Nachdem wir durch das ansonsten öde Industrieviertel irren und zuerst bei der unmittelbaren stylishen Konkurrenz Umi Sushi mit einer Schlange vor der Tür vorbeimüssen, hat uns am Ende das chillige Ambiente im Miyabi – abgedunkelter Raum mit Bar und Loungemusik – überzeugt. Alle Tische sind mit geschmackvollen Tellern, Weingläsern und Wasserflaschen eingedeckt. Die digitale Karte scannen wir ein und sind von den vielen Kategorien überfordert – die ‚Chef Combo‘ ist unsere Rettung, dazu noch eine sehr würzige und gehaltvolle Misosuppe und ein fruchtiger Branco. Die warmen frittierten Lachs- und Thunfischrollen kommen vorweg und sind bereits perfekt auf den Punkt.
Mit etwas zeitlichem Abstand dann die kunstvoll angerichtete Hauptplatte mit über 40 einzelnen Teilen Sashimi, Nigiri, Uramaki, Hosomaki und zum Abschluss jeweils einem Gunkan mit Himbeere, Lachs, Frischkäse und Minze. Der dazu gereichte eingelegte Ingwer entfaltet eine Fruchtigkeit, wie ich sie so noch nicht erlebt habe. Der Frischfischanteil auf der Platte – Lachs, Weißfisch und Tunfisch – ist enorm (geschätzte 80%) und zudem unglaublich frisch und zart.
Hier stimmt einfach alles: Ambiente, unaufgeregter Service, Präsentation der Speisen, Frische, Geschmack und zu guter Letzt Preis und Leistung.
Den Besuch des bereits eingangs erwähnten Forte de Peniche haben wir uns aufgehoben, denn das ist nicht einfach nur ein Gemäuer, welches früher vor Überfällen schützen sollte, sondern harter Tobak. Die offizielle Bezeichnung Museu Nacional Resistência e Liberdade deutet schon darauf hin, dass hier ab 1934 ein wesentlicher Teil des Unterdrückungsapparates während der portugiesischen Salazar-Diktatur angesiedelt war. Nur wenigen der politischen Gefangenen gelang die abenteuerliche Flucht aus dem Hochsicherheitsgefängnis. Die spartanischen Zellen und die jeden physischen Kontakt unterbindenden Besucherräume dokumentieren die Rund-um-die-Uhr-Überwachung der teilweise viele Jahre inhaftierten Regimegegner. Eine umfangreiche Ausstellung informiert über Indoktrination, Verbrechen gegen die einheimische Bevölkerung in den Kolonialkriegen und die Deportationen von politischen Gefangenen in dort eigens errichtete Konzentrationslager bis hin zur Befreiung der Festung in der Nelkenrevolution. In den ehemaligen Zellen unterhalb der kreisrunden Batterie im Süden der Anlage ist eine der spektakulärsten Fluchten aus eben diesen über die Zinnen der Mauer akribisch dokumentiert.
Lediglich 20 Minuten Fahrzeit liegt das sagenhafte
Óbidos
von Peniche entfernt. Bereits vom Parkplatz in der Ebene lässt sich anhand des fast einen Kilometer langen Aqueduto de Usseira aus dem 16. Jahrhundert erahnen, wie bedeutsam dieser Ort einst war. Ich würde es spontan als das San Gimignano Portugals bezeichnen, denn da sind verblüffende Parallelen: Beide mittelalterlichen Städte sind in etwa gleich groß, liegen auf einem Hügel, sind von einer Mauer umgeben und werden von Touristen belagert, die sich vor einem einzigen Stadttor drängeln, um alle auf derselben Straße hinauf und wieder hinunter zu laufen, nachdem sie unterwegs allerlei Souvenirs und einzigartige Spezialitäten zu stolzen Preisen konsumiert haben. Es fehlen lediglich die Geschlechtertürme, dafür gibt es aber eine Burg (mit Türmen), welche zu einer Pousada, einer der noblen und historisch bedeutsamen Unterkünfte im Land, umfunktioniert wurde.
Trotzdem: Beide Orte sind ein Erlebnis, wenn man den Massen aus dem Weg geht, zum Beispiel die Stadtmauer erklimmt und Óbidos über einen schwindelerregenden Wehrgang fast einmal komplett umrundet. Zugänge gibt es an der Porta da Vila, wo in einer teilüberdachten Halle mit beeindruckender Akustik stets ein Barde singt, am malerischen Castelo und über eine kleine steile Parkanlage westlich der Altstadt, von deren Baloiço genanntem Aussichtpunkt man auf einer Schaukel sitzend in die Ferne blickt. Die Wehrgang ist aber nur etwas für Trittsichere, denn Geländer existieren nicht, d.h. auf der Stadtseite und den Treppen geht es ungesichert teilweise viele Meter senkrecht in die Tiefe.
Von einem der höchsten Punkte am Castelo und ebenso über dem Hauptstadttor erschließt sich das ganze unverfälschte, von Bausünden verschonte Ensemble aus weißen Häusern mit roten, von Flechten bedeckten Ziegeldächern. Dazwischen setzen Zypressen, alte Oliven- und üppige Zitronenbäume mediterrane Akzente. In manchen Seitengassen erinnern die tiefblau abgesetzten Sockel und Mauerkanten an Dörfer auf den griechischen Kykladen-Inseln, hätten da nicht unverbesserliche Schmierfinke entdeckt, dass die kalkhaltige Farbe wasserlöslich ist und man damit hässliche und peinliche Graffitis auf den weißen Wänden hinterlassen kann.
Die rund 4 km lange Bucht östlich von Peniche, im Grunde ein durchgängiger riesiger Sandstrand mit jeweils unterschiedlichen lokalen Bezeichnungen, findet ihren Abschluss in der Halbinsel
Baleal.
Rund um den winzigen Ort auf dem malerischen Felsen ist in den letzten Jahren ein weiterer weltbekannter Surfer-Hotspot entstanden. Man erreicht ihn über einen Damm auf einer Sandbank. Am Ende der Landzunge gewähren spektakuläre Felsformationen in Form aufgefalteter Sedimente einen tiefen Blick in die Erdgeschichte. Der Kilometer lange feine Sandstrand von Baleal wurde vom Schriftsteller Raul Brandão als der ‚Schönste Portugals‘ bezeichnet. Das ist angesichts der Wunderperlen an der südlichen Algarve vielleicht ein wenig übertrieben. Es ist kaum zu glauben, dass an diesem herrlichen Tag bis auf ein paar übenden Surfanfängern kaum jemand hier anzutreffen ist.
An einem Mittwochnachmittag treffen wir nach einer etwa 45-minütigen Anfahrt in
Alcobaça,
der ersten von drei Weltkulturerbestätten in unserer Umgebung, ein. Den weiten sandigen Platz vor dem Real Mosteiro de Santa Maria hat man Anfang der Jahrtausendwende nach Originalvorlagen neugestaltet – für meinen Geschmack ziemlich kahl, aber wenn es denn so war ... Die Klosteranlage der Zisterzienser, basierend auf einer Schenkung von Ländereien des ersten Königs Afonso Henriques an den Ordensgründer Bernhard von Clairvaux, wurde ab 1178 in mehreren Erweiterungen zu eine der größten Portugals ausgebaut. Bis heute sind vier Kreuzgänge erhalten.
Der erste, der Claustro de Dom Dinis, ist an allen Seiten von zwei Ebenen umgeben. Von einem Balkon des Brunnenhauses oberhalb des Dachgeschossniveaus überblickt man den Garten mit Orangenbäumen. Wir können gar nicht fassen, dass diese riesige Anlage für rund 1000 Mönche gedacht war und stolpern von einem Bauabschnitt in den nächsten. Eine Ahnung davon erhält man in der komplett gekachelten riesigen Küche mit ihrem monumentalen Rauchabzug, wuchtigen marmornen Arbeitstischen und Frischwasserbecken für lebende Fische. Bemerkenswert ist auch der hinter Bögen verlaufende Treppenaufgang zur Kanzel des Vorlesers an der Seite des von einem dreischiffigen Kreuzrippengewölbe überspannten Refektoriums. Diese Architektur wiederholt sich im großartigen Dormitorium, welches über eine versteckte Treppe eine Etage höher erklommen werden kann.
Östlich dieses Gebäudeabschnitts schließt sich der deutliche größere Kreuzgang Levada an, der schon seit einiger Zeit keinen Gärtner mehr gesehen hat.
In unmittelbarer Nachbarschaft zur Kirche ist im Saal der Könige in mannshohen Fliesenbildern die Geschichte des Klosters dargestellt, während weiter oben auf Podesten die portugiesischen Könige als farbige Terrakottafiguren verewigt wurden.
In der Mitte der doppelstöckigen Fassade erhebt sich das westliche Hauptportal der 1240 vollendeten Klosterkirche. Mit 106 Metern Länge ist das Mittelschiff das längste im ganzen Land. Im Querschiff befinden sich links und rechts jeweils die Grabmale von Dom Pedro I. und Inês de Castro, die der König selbst zu Lebzeiten ab 1357 in Auftrag gab, um mit der von seinem Vater gerichteten Geliebten im Tode vereint zu sein. Die beiden Sarkophage sind von Steinmetzarbeiten mit einer unfassbaren Detailfülle verziert und haben trotz Schändung durch napoleonische Truppen bis heute überdauert.
Kein Besuch der Abtei ohne Törtchen in der gegenüber gelegenen Pastelaria Alcôa zum Abschluss! Die Auslagen sind umwerfend gestaltet und ein Touristenmagnet, aber mehr als zwei von den Dingern schafft man aufgrund des abartig hohen Zuckergehalts nicht.
Danach brechen wir auf ins lediglich 20 Kilometer entfernte
Batalha,
dem für Portugals Gründungsgeschichte wohl bedeutsamsten Ort und dem nächsten Welterbe. Die EN8 führt über Cruz da Légua vorbei an einer ganzen Reihe von Baustoff- und Keramikfabriken. Mitten im Ort an einer Straßenkreuzung haben Künstler ein riesiges Painel de Azulejos geschaffen, welches die für die Gegend so bedeutsame Brennerei von Ziegeln aller Art zum Thema hat.
Wenig später stehen wir vor dem gewaltigen, im Kern gotischen Kathedralenbau mit seinen außen liegenden Strebepfeilern, unzähligen Türmchen und verschwenderischen Steinmetzarbeiten. Unmittelbar nach der siegreichen Schlacht von 1385 gegen ein zahlenmäßig überlegenes kastilisches Heer und der damit zementierten Unabhängigkeit Portugals ordnete Dom João I. zum Dank für den göttlichen Beistand den Bau des Dominikanerklosters an. Nach fast 200 Jahren war man immer noch nicht fertig mit allem, das goldene Zeitalter neigte sich aber bereits dem Ende zu und so ragen bis heute die Turmstümpfe der unvollendeten Kapellen in den Himmel.
Ähnlich wie in Alcobaça haben die Erbauer auch hier auf ein unendlich langes und hohes Mittelschiff gesetzt, um die Allmächtigkeit des Himmels zu versinnbildlichen. Gleich rechts neben dem Hauptportal sind in der Capela do Fundador der König mit seiner Gemahlin und seine Kinder (darunter Heinrich der Seefahrer) in teils monumentalen Grabmälern bestattet.
Der links an die Kirche anschließende königliche Kreuzgang offenbart in seinen gotischen Spitzbögen den Höhepunkt feinster manuelinischer Pracht. Das zum begrünten Innenhof mit seinen mächtigen Zypressen eingefügte Maßwerk wurde bis ins kleinste Detail mit abwechselnden märchenhaften Pflanzenornamenten ausgefüllt. Der östlich gelegene Kapitelsaal wird von einem stützenfreien Kreuzrippengewölbe überspannt – ein architektonisches Meisterwerk seiner Zeit. An einer seiner Wände stehen rund um die Uhr Wachen vor dem Grab des unbekannten Soldaten, welche regelmäßig in einem dramatischen Zeremoniell abgelöst werden. Wie üblich steht in der Nähe des Refektoriums ein Brunnenhaus, in dem sich die Mönche vor den Mahlzeiten die Hände waschen konnten.
Um die unvollendeten Kapellen zu bewundern, müssen wir das Kloster zunächst verlassen und treten von außen in eine Vorhalle, die schließlich vor ein manuelinisches Portal mit irrwitzigen Ausmaßen und Details führt. Von hier erschließt sich der offene Innenhof mit seinen sieben Kapellen, in denen die Gräber der Herrscherdynastie von Aviz vorgesehen waren. Die Maßlosigkeit der ganzen Ausstattung, das unvollendete Obergeschoss mit seinen abgeschnittenen Pfeilern und das fehlende Gewölbe wecken Assoziationen aus einem Fantasy Film. Vermutlich sind die Ideen von Autoren solcher Werke wie ‚Game of Thrones‘ oder ‚Herr der Ringe‘ aus Ruinen wie diesen entsprungen.
Das Mosteiro da Batalha hat die vergangenen 640 Jahre natürlich nicht unbeschadet überstanden, sondern wurde bereits im 19. Jahrhundert von umfangreichen Restaurierungsarbeiten begleitet, währenddessen Zubauten späterer Jahrhunderte im Sinne einer strengen Auslegung des ursprünglichen Baustils wieder entfernt wurden.
Bereits in der Nacht setzen nach den Tagen ruhigen sonnigen Wetters Sturmböen ein, die auch am nächsten Morgen nichts von ihrer Wucht verloren haben. Dies nehmen wir zum Anlass, um am weltbekannten Surfer-Hotspot
Nazaré
die möglicherweise gewaltigen Brecher zu erleben. Das Städtchen ist nicht gerade übersichtlich und besteht aus einem größeren Unterort und Sitio, einem historischen Kern auf einem hohen Felsplateau. Freie Parkplätze sind nirgendwo zu finden und so fahren wir durch bis zum Praia do Norte. Eine gute Entscheidung wie sich herausstellt, denn hier rollen röhrenartige Brecher heran, sogenannte Tubes und der Felsvorsprung mit dem Farol an der Spitze ist bereits in Sichtweite. Fasziniert beobachten wir die Wucht der Brandung, während wir zur Festung Forte de São Miguel Arcanjo hinaufsteigen. Leider ist heute der Zugang wegen Wartungsarbeiten gesperrt, jedoch erkennen wir auch von außen, dass die hohen Wellen nördlich aufschlagen, während es am südlichen geschützten Praia da Nazaré völlig ruhig ist.
Der Ort bietet darüber hinaus eine berühmte Wallfahrtskirche zu Ehren einer hölzernen Marienfigur und spektakuläre Ausblicke von den Terrassen mehrerer atemberaubender Felsnadeln. Diese und auch den Zugang zur Ermida da Memória, einer kleinen Kapelle an der Stelle, wo die erwähnte Statue ursprünglich entstanden und wiedergefunden wurde, müssen wir jedoch vor dem Ansturm angekarrter Bustouristen verteidigen. Vor einem der Food Trucks auf dem Weg zum Praia do Norte genehmigen wir uns unter einer vom Sturm gepeitschten Plane eine köstliche Holzofenpizza und sinnieren, welche der feilgebotenen schicken Merchandise-Shirts wir wohl mitnehmen könnten.
Auf dem Rückweg zum Parkplatz inspizieren wir staunend eine direkt am Strand liegende Doline, eine der an der portugiesischen Küste verbreiteten Einsturzhöhlen. Von oben hat die Jahrtausende lange Erosion den Zugang des Tageslichts und von vorne den Blick auf den offenen Ozean ermöglicht.
- Pegadas de Dinossauros
Auf dem Rückweg machen wir uns auf die Suche nach den ominösen Saurierspuren. Von der Estrada Atlantico weicht ein Feldweg nach unten Richtung Meer ab. An einer Stelle, wo es schließlich zu steil und uneben wird, lassen wir den Wagen stehen und gehen zu Fuß weiter. Nach einigen hundert Metern über ein schräges Felsplateau ist das Ziel mit den deutlich erkennbaren Abdrücken im versteinerten Schlamm einer ehemaligen Lagune erreicht. Die wahrlich beeindruckenden riesenhaften Fußspuren verlaufen in gleichmäßigen Schritten von unten nach oben, als wenn gerade eben ein Theropode aus dem Meer gestiegen wäre.
Zuvor hat uns die unfreiwillige Fahrt über die verkehrsberuhigte Meerespromenade von
São Martinho do Porto
dazu bewogen, am nächsten Tag nochmals diese Lagunenstadt anzusteuern. Am Nordende der halbkreisförmigen Bucht halten wir am gleichnamigen Miradouro inmitten einer Neubauzone mit unverschämten Luxusanwesen und verschaffen uns einen Überblick. Zu Fuß geht es weiter zum Farol, in diesem Fall ein eher lieblos bemalter Betonpfosten mit Blinklicht. Der Ausblick auf die schmale Einfahrt in den natürlichen Hafen und die gegenüberliegende Kapelle ist jedoch famos. Von dieser Felsnadel findet sich ein Abstieg hinunter zum geschützten Ufer mit einer kleinen Reparaturwerft. Ungläubig tasten wir uns durch einen Felsentunnel, der quer durch den Berg auf die offene Atlantikseite führt. Es ist nicht so ganz ersichtlich, wofür diese Verbindung ursprünglich geschaffen wurde, jedenfalls nicht für spazierende Touristen.
Wir fahren auf die gegenüberliegende Seite der Bucht nach Salir do Porto mit der angeblich höchsten Düne Portugals. Auf dem sandigen Untergrund haben sich Kiefern und Teppiche von blühenden Sukkulenten ausgebreitet. Ein neu angelegter Kreuzweg für Pilger führt laut Google bis ans Ende der Halbinsel zur Ruine der Capela de Santa Ana. Als wir nach 30 Minuten endlich ankommen, erwartet uns ein nagelneues schickes von der EU gefördertes Schmuckstück – die Überreste aus dem 12. Jahrhundert sind im Inneren der Rekonstruktion verschwunden, nichts ist mehr zu sehen.
Als größte zusammenhängende Altstadt Portugals fristet
Santarém
ein Mauerblümchendasein im Schatten der Weltkulturerbestätten Alcobaça, Batalha und Tomar. Doch wenn die zahllosen bröckelnden Fassaden und geschlossenen Geschäfte in den endlosen Gassen erzählen könnten … Die Initiatoren eines Projektes haben es versucht und die ungenutzten Fensterscheiben der geschlossenen Läden mit Fotografien und Zeitungsausschnitten aus früheren glorreichen Tagen beklebt, so dass man einen ungefähren Eindruck erhält, wie hier das Leben vor wenigen Jahrzehnten noch pulsierte.
Daneben gibt es aber auch eine ganze Reihe geschichtlich bedeutsame Orte zu bestaunen. Die Igreja de Santa Maria de Marvila betritt man durch ein manuelinisches Portal. Ihre drei Schiffe ruhen auf ionischen Säulen und sind über und über mit Azulejos aus dem 17. Jahrhundert ausgekleidet.
In der Igreja de Santa Maria da Graça erklärt uns ein engagierter städtischer Mitarbeiter an einem improvisierten Informationsstand, was es in seiner Heimatstadt noch so alles zu erkunden gibt. Der Zutritt ist dabei im Gegensatz zu den Welterbestätten durchgehend kostenlos! Die riesige Rosette über dem Hauptportal der Kirche wurde – wohl einmalig auf der ganzen Welt – aus einem einzigen Stein gemeißelt. Rechts vom Chor ist im Boden das Grab des Seefahrers Pedro Álvares Cabral, dem Entdecker Brasiliens, eingelassen. Daneben steht ein prunkvoller Sarkophag mit den sterblichen Überresten von Pedro de Meneses, dem ersten Gouverneur der heute spanischen Enklave Ceuta und seiner Frau.
Anschließend schickt er uns ins Museu Municipal de Santarém in der ehemaligen Kirche São João de Alporão, die mit allerlei beeindruckenden Grabmälern architektonischen Spolien und einer riesigen Sonnenuhr bestückt wurde.
Als wir das Museum in Richtung Jardim Portas do Sol verlassen, passieren wir links die Ruine des Teatro Rosa Damasceno. 1938 wurde der Bau als Kino und Theater nach den allerneuesten technischen Erfordernissen errichtet. Leider rosten seit über 25 Jahren die Fenster dieser wunderbaren Art-Deco-Fassade vor sich hin.
Die Straße endet in einer von alten Stadtmauern umgebenen Gartenanlage. Von den Bastionen blicken wir weit ins Flusstal des Tejo, der in Richtung Mündungsdeltas bei Lissabon mäandert. Die über ein Kilometer lange Stahlfachwerkbrücke Ponte Dom Luis aus dem 19. Jahrhundert überspannt hier eine weite Kurve mit Sandbänken.
Auf unserem Rundweg kehren wir wieder zurück zur Praça Sá da Bandeira und dürfen für den Eintritt in die Sé, die Kathedrale von Santarém endlich auch mal 4 € bezahlen. Es wartet eine bunt bemalte Stuckdecke und viel barocker Prunk. In die Igreja de Nossa Senhora da Piedade gegenüber kommen wir heute nicht mehr rein, denn um die Mittagszeit war dort noch eine Beerdigung. Macht nichts, wir haben wahrlich genug gesehen, nehmen aber noch das Convento de São Francisco am Stadtrand mit. Dieses Kloster hat im Gegensatz zu Batalha und Alcobaça nur noch Ruinencharakter. So würde es wohl überall aussehen, wenn die verheerenden Schäden des Erdbebens nicht repariert worden wären.
Auf eine gänzlich andere Bausubstanz treffen wir jedoch in
Tomar.
Rund 130 Kilometer führt uns die weiteste Fahrt über drei verschiedene Autobahnen zum mutmaßlich kulturellen Höhepunkt der Reise. Das Ensemble aus Kastell und Convento erhebt sich auf einem malerischen Hügel über der Stadt und entstand ab 1162 als wehrhafte Klosteranlage der Tempelritter. Bis zum Anfang des 17. Jahrhunderts war der Komplex mit Klosterkirche, eigenem Aquädukt und acht (!) Kreuzgängen, inzwischen im Besitz des Christusordens, fertiggestellt.
Gleich nach dem Eingang betritt man den Claustro do Cemitério mit kostbaren Azulejos und Zitrusbäumen, wo Mönche und hohe Würdenträger des Ordens ihre letzte Ruhestätte fanden. Im Anschluss geht es in den doppelstöckigen Claustro da Lavagem, welcher im unteren Geschoss mit Waschbecken für die Reinigung der Gewänder ausgestattet ist.
Betritt man die Klosterkirche, fällt sofort auf, dass sich im Inneren der Rotunde, der ursprünglichen Kirche, ein weiterer oktogonaler Bau mit üppiger Dekoration verbirgt. Assoziationen an den ähnlichen Grundriss innerhalb der Grabeskirche von Jerusalem sind berechtigt, sahen sich die Templer doch als Hüter der heiligsten Stätten des Abendlandes.
Gegenüber von diesem zentralen Element führt eine Treppe hinunter in die von einem Kreuzrippengewölbe überspannte Halle des Casa de Capítulo. Ein mächtiges, in Stein gehauenes Tauwerk ziert die Einfassung zu einem prächtigen Fenster mit Sitznische.
Südlich an diesen Erweiterungsbau schließt sich der doppelstöckige Kreuzgang des Dom João III an. Über eine der filigranen steinernen Wendeltreppen in den Ecken gelangen wir bis auf die oberste Terrasse und staunen nur noch, als wir die äußere überschwängliche Detailfülle der Halle erblicken.
Ein wohl berühmtes Ausstattungsmerkmal, das Janela do Capítulo hätten wir fast übersehen: Das Meisterwerk aus allen erdenklichen manuelinischen Motiven – Tauwerk, Korallen, Pflanzen und Christuskreuz – wurde von seiner Jahrhunderte alten Patina aus Moos und Flechten befreit und strahlt nun mit dem ebenfalls restaurierten Casa de Capítulo um die Wette. Es ist das gleiche Fenster, welches wir zuvor als Sitznische von Innen betrachten durften.
Das Castelo kommt zum Schluss. Von hier aus könnte man weite Teile der Außenfassade des Klosters kostenfrei betrachten, würde aber auch den großartigsten Teil im Innenbereich verpassen. Erst aus der erhöhten Perspektive der Wehrgänge erschließt sich die weitläufige Burganlage mit ihren üppigen Nutzgärten und dem gewaltigen über sechs Kilometer langen Aquädukt. Im Jahre 1190 konnten die Tempelritter die gerade neu erbaute Festung fünf Tage lang erfolgreich gegen die Belagerung durch die Almohaden verteidigen.
Von hier oben blicken wir auf das Schachbrettmuster der Praça da República mit dem Rathaus und der Igreja de São João Baptista.
Wir wollen den Tag mit einem gepflegten landestypischen Abendessen unten in der Stadt begehen, doch dieses Vorhaben gestaltet sich nicht gerade einfach. Am heutigen Sonntag steht erneut ein großes Fußballfinale an, diesmal um den portugiesischen Pokal im altehrwürdigen Estádio de Honra. Die Kontrahenten sind wie letzte Woche auch Benfica und Sporting. Als wir uns auf die Suche nach freien Tischen begeben, sind schon nahezu alle erreichbaren Lokale mit Live-Übertragung von Fans belagert. Wir haben Glück und ergattern in der Weinbar ‚A Canoa‘ noch Plätze im Freien mit Blick auf die Mattscheibe. Nach einer Reihe von Petiscos sind wir satt und erleben noch mit, wie sich Sporting den nächsten Titel holt. Danach bricht in der kleinen Stadt die Hölle los … Rund um die Praca Alves Redol, einem Kreisel vor der Brücke über den Nabão, rotiert nach wenigen Minuten ein nicht endender Autokorso aus Klein- und Lieferwagen mit Fahnen und jubelnden Menschen. Dazwischen Rauchbomben in grün-schwarz und explodierende Böller. Ganz Tomar scheint an diesem Tag auf Sporting eingeschworen zu sein. Wäre das Ergebnis andersherum, hätte vermutlich die andere Hälfte der Einwohner ein nicht weniger beeindruckendes Spektakel veranstaltet.
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