24 Jahre nach der letzten Begegnung mit der Inselwelt der Kykladen hat mich das schlechte Gewissen ereilt, diesen sagenhaften Archipel in der Mitte des Ägäischen Meeres so lange vernachlässigt zu haben. Am Kraterrand von Santorin blickte ich damals von der steinernen Terrasse einer einfachen Höhlenwohnung in die wohl eindrucksvollste Caldera Europas und stellte mir vor, wie die verheerendste Eruption der Bronzezeit nicht nur die griechische Inselwelt für immer verändert, sondern die Entwicklung der antiken Zivilisationen rund um das östliche Mittelmeer maßgeblich geprägt hat. Mittlerweile ist diese Destination nicht mehr bereisbar, eines der vielen Opfer des um sich greifenden Übertourismus in Europa. Im Hauptort Fira treten sich abertausende von Kreuzfahrttouristen gegenseitig die Füße platt, nachdem ein nicht unbeträchtlicher Teil davon die ausgemergelten Esel ohne Rücksicht auf das eigene Übergewicht malträtiert hat. In Ia ist beim täglichen Großereignis Sonnenuntergang kein Quadratzentimeter Mauer zum Sitzen mehr frei. Für die luxussanierten Höhlenwohnungen in Imerovigli werden inzwischen Wochenpreise zwischen 4.000-8.000 € (!) abgezockt.

Zuvor hatte ich Paros, Naxos, Mykonos und deren unmittelbare Nachbarinseln Delos und Antiparos während eines ersten und sehr aufschlussreichen Versuchs des Inselhüpfens kennen gelernt. Die ersten beiden galten damals noch als Geheimtipp, glänzen aber neuerdings ebenso mit maßlos überteuerten Unterkünften, auch wenn ihnen das Schicksal der Kreuzfahrerinvasion erspart blieb. Die Entscheidung fiel also schwer ...

'Vulkan' war das entscheidende Stichwort … eine dem Inneren der Erde entsprungene Insel sollte es zumindest sein. Und da gibt es neben Nisyros im östlichen Dodekanes, einem von Schwefel dampfenden Krater, welchen wir 2018 zumindest aus der Entfernung von der Südküste von Kos bewundern durften, noch einige andere im nach wie vor aktiven Kykladenbogen. Unsere Wahl fiel auf Milos, was nicht zuletzt eine Folge der mittlerweile zahllosen Reisedokumentationen im Regionalfernsehen gewesen sein dürfte. Als authentisch, nicht so überlaufen und Geheimtipp wurde sie gepriesen. Die Bilder waren durchaus beeindruckend: Eine vielfarbige Geologie, ein seit der Antike aktiver Bergbau, die zerklüftete Küste mit unzähligen kleinen Stränden und nicht zuletzt die unverzichtbare einmalige Architektur der alten Dörfer. Nach ersten Nachforschungen war klar: Da kommt man nur mit der Fähre in, es sei denn, man vertraut sein Leben einer der winzigen Propellermaschinen an, die zweimal täglich dort landen oder auch nicht. Bei dieser Gelegenheit konnte der so lange hinaus geschobene Zwischenstopp in der griechischen Metropole eingelegt werden, um all die sagenhaften Hinterlassenschaften hellenischen Schaffens endlich gebührend in Augenschein zu nehmen.

Hafen von Piräus Neulingen im Geschäft griechischer Fährtransfers sei gesagt, dass der Buchungs- und Check-in-Prozess gegenüber früheren Jahren Quantensprünge erfahren hat. Für die Nutzung ist lediglich ein elektronisches Ticket von Nöten, welches der Pfiffige zuvor bequem von Deutschland aus über spezialisierte Vergleichsplattformen erwirbt. Der obligatorische Check-in kann bereits zwei Tage vor Abreise erfolgen, so dass man beim Betreten des Schiffes nur noch einen QR-Code auf dem Handy vorzeigt. 'Schiff' ist übrigens im aktuellen Fall leicht untertrieben: Wir haben uns für die deutlich schnelleren SeaJets entschieden – Ungetüme, welche von der äußeren Form an einen Barrakuda erinnern und auf zwei Rümpfen wie ein Katamaran durch die Ägäis rasen. Trotzdem fasst dieser Fährentyp 1000 Passagiere, 200 Fahrzeuge, hat Flugzeugsitze und mindestens drei Klassen und erreicht 40 Knoten (fast 60 km/h). Das hat wiederum zur Folge, dass der Aufenthalt im Freien jenseits von Häfen oder Buchten auf offener See nur in den vom Fahrtwind abgewandten Bereichen auf den Hinter- und Seitendecks möglich ist. Aber den erfahrenen Seemann beeindruckt das nicht im Geringsten. Bereits während der Ausfahrt aus dem Hafen habe ich die besten Plätze entdeckt und verfolge, wie sich das unendliche Häusermeer von Athen zügig entfernt.

Serifos Nach einiger Zeit passiert der Jet auf der Steuerbordseite die unbewohnte Insel Agios Georgios, deren Silhouette von einer Vielzahl von Windkrafträdern gekrönt ist, bevor nach zweieinhalb Stunden der erste Zwischenstopp Serifos, eine der westlichen Kykladen, erreicht ist. Stolz und erhaben liegt die Chora auf einem Hügel über dem Naturhafen, als die Fähre bei tief stehender Sonne innerhalb von wenigen Minuten am Anleger von Livadi festmacht. Rund eine halbe Stunde später passiert das Schiff 14 Kilometer weiter südöstlich die direkt über dem Ufer thronende Katharinenkirche von Sifnos und erreicht den Hafenort Kamares. Hier werden Bengalos auf der Mole zur Begrüßung entzündet und die aus dem Schiff hervorquellenden Passagiere und Fahrzeuge scheinen das ganze Eiland mit einem Schlag zum Leben zu erwecken.

Milos - Göttliche Farben aus dem Vulkan

Milos - Plaka und Klima Eine knappe Stunde später ist Milos in Sicht. Hoch über den bunten Häusern am Strand von Klima markieren weiße kubische Häuser den Ort Trypiti. Knapp vier Stunden haben wir gebraucht und machen verspätet im Hafen Adamas fest. Die Übergabe des Leihwagens und der Kontakt mit unserem im Dorf weiter oben wartenden Vermieter klappt trotzdem reibungslos.

Plaka

Plaka Während der Küstenort Adamas aufgrund seines Fähranlegers mit seinen Tavernen, Cafés und Autovermietungen entlang der Promenade selbst jetzt im April zur Vorsaison durchaus den Eindruck von Geschäftigkeit vermittelt, geht es im fünf Autokilometer weiter oben gelegenen Hauptort Plaka recht beschaulich zu. Hier haben wir unser im Höhlenstil der Kykladen gestaltetes Appartement in einem alten Haus mit freiem Blick in den Süden, auf die umliegenden Dörfer und Teile der Bucht von Milos gefunden. Beim obligatorischen Aufstieg zu den spärlichen Resten der venezianischen Burg aus den Anfängen des 13. Jahrhunderts durchqueren wir Altstadtgässchen, deren einzelne Stufenkanten wie es sich gehört aufwendig mit weißer Farbe bemalt sind. Manchmal sind sie auch blau, dann handelt es sich um einen privaten Zugang – meine Interpretation. Viele der Häuser wirken herausgeputzt, andere sind schon so lange verlassen, dass Teile der Außenfassade heraus gebrochen sind und die hölzernen Decken beginnen einzustürzen, während darunter die zurückgelassenen Habseligkeiten der ehemaligen Bewohner immer noch auf dem Waschtisch liegen und das Bett wie frisch gemacht an der Wand seinem Schicksal entgegen sieht.

Mittagsblume Mitten im Gewirr der Gassen sorgen immer wieder Teppiche von blühenden Mittagsblumen mit ihrem fleischigem Blättergewirr über den Mauern für grelle violett-purpurne Farbkontraste. Auch wenn die Königin mediterraner Pracht, die Bougainvillea, zu dieser frühen Zeit im April noch in den Startlöchern steckt, so gibt dies einen Vorgeschmack auf das Blütenmeer, welches jedes Jahr aufs neue diese sonst so kargen Eilande überzieht.

Wir stapfen weiter und auf einmal läuft eine Schildkröte über die Treppe. Diese possierlichen Tierchen haben wir bislang in freier Wildbahn lediglich in Griechenland entdeckt und jedes Mal sorgt dieses Ereignis für einen Freudentanz.

Panoramaansicht West Etwas unterhalb der Burgreste lädt bereits die Panagia Thalassitra die ersten Atemlosen mit ihrer Terrasse zum Sunset-Vergnügen. Natürlich ziehen wir weiter und werden belohnt: Auf dem Gipfel eröffnet sich ein Rundumblick auf die gesamte zerklüftete Gestalt der Insel Milos: Weiße Dörfer, grüne Wiesen und ein tiefblaues Meer.

Plaka - Plateia Georgiou Drosopoulou ('Phátses') Das Entreé von Plaka ist zweifelsohne die Plateia Georgiou Drosopoulou am Fuß des Kastrohügels. Dort hat nicht nur das örtliche archäologische Museum mit einigen Funden aus den nahe gelegenen Katakomben seinen Sitz, sondern entfaltet auch ein ganz und gar anderes Lokal innen und außen die skurrilen Ideen seines Inhabers. Bunte Windspiele und Bänder hängen am Baum, Tische und Stühle sind phantasievoll bemalt. Aus dem Lautsprecher tönt schleppender Reggae. Innerhalb des aufwendig dekorierten Hauses offenbart sich eine ganze knallbunte malerische Welt. Nahezu jeder Quadratzentimeter des Gastraums ist mit überdimensionalen Leinwänden mit größtenteils ornamentaler Kunst behängt. Das Essen im Phátses an diesem ersten Abend ist eine zwiespältige Erfahrung: Das hausgemachte griechische Humus eine exorbitante Knoblauchbombe, die wahrscheinlich gegen sämtliche Grenzwerte der EU verstößt, der Auberginen-Feta-Auflauf schön rund und fluffig, die kleine Retsinaflasche vom lokalen Winzer Kostankakis maßlos überteuert und das bereits benutzte Messer geht zurück. Um uns herum malende (!) Gäste – das gehört sich hier wohl so – und eine insgesamt chillige Atmosphäre, denn der afro-französische Kellner hält mit seinem Charme die Leute bei Laune, während der griechische Besitzer mit Dreadlocks und Vollbart im Hintergrund agiert.

Plaka - Palaios Auf einem weiteren Spaziergang durch Plaka fällt uns an einem kleinen zentralen Platz ein stattliches eingeschossiges Gebäude ins Auge. Die großen Sprossenfenster sind von steinernen Simsen gerahmt und farblich geschmackvoll in Türkis und Sand aufeinander abgestimmt. Das Lokal hat noch geschlossen, aber beim neugierigen Blick durch die Fenster sehen wir Berge frisch gebackener Hefestückchen, fein säuberlich in Tüten verpackt. In der Konditorei Palaios wurde offensichtlich schon schwer gearbeitet. Am darauf folgenden Tag hat der Laden tatsächlich erstmals in dieser Saison geöffnet, der Service wirkt noch improvisiert, aber der Kaffee auf der schattigen Terrasse ist sein Geld wert. Beim Verlassen nehmen wir noch eine der gepackten Ostertüten mit auf den Heimweg.

Trypiti - Panagia Faneromeni An der südwestlichen Bebauungsgrenze von Plaka führt ein ausgeschilderter Weg hinunter zum antiken Theater von Milos. Auf halben Wege dorthin passieren wir die kleine Bilderbuchkapelle Panagia Faneromeni: Ein weiß getünchtes Kleinod mit wulstiger Apsis, kleiner Außenglocke und von Zypressen umrahmt. Holla, jetzt sind wir in Griechenland!

Trypiti - römisches Theater Bald darauf werden die ersten antiken Fragmente verstreut in der Landschaft sichtbar. Ein Blick über die nächste Böschung offenbart das halbkreisförmige Rund aus Marmorbänken. Wie so häufig bei antiken Theatern wurden die Zuschauerränge in das natürliche Gefälle eines Hanges eingepasst. In diesem Fall blickt der Zuschauer vom Westhang in die gewaltige natürliche Bucht von Milos. Von der ursprünglichen Anlage ist nur ein Bruchteil erhalten. Nach archäologischen Erkenntnissen war das gesamte Auditorium etwa viermal so hoch wie die heute noch sichtbaren Sitzreihen. Nicht weit von hier wurde die berühmte Venus von Milo entdeckt und von französischen Schatzsuchern nach einigen konspirativen Verhandlungen mit den damaligen Machthabern von Konstantinopel in den Pariser Louvre verschleppt. Der genaue Fundort der Aphrodite-Skulptur ist heute nicht mehr rekonstruierbar, da die ursprüngliche Nische im Laufe der Zeit zerstört wurde. Unterhalb des Amphitheaters wurde 2022 eine exakte Kopie der Statue aufgestellt.

Die Besichtigung der nahe gelegenen, durchaus bedeutenden Katakomben ersparen wir uns, da die obligatorische Führung durchweg als lieblos, viel zu kurz und wenig informativ kritisiert wird.

Sarakiniko

Sarakiniko Ein absoluter landschaftlicher Höhepunkt sind die kreideweißen Felsformationen von Sarakiniko im Nordosten. Aus vulkanischen Ascheablagerungen und anschließender Erosion hat sich hier im Laufe der Zeit eine fremdartige Landschaft gebildet, welche an Bilder von der Mondoberfläche erinnert. Die Brandung hat phantasievolle Bögen und Wassertöpfe aus dem porösen Gestein gewaschen. Einzelne Klippen ragen teilweise über die Uferzone hinaus und laden im Sommer so manche Tollkühne zum Sprung ein. Auch an diesem bedeckten Tag lässt es sich ein Team aus Models und einer Photographin nicht nehmen, effektvolle Bilderserien zu produzieren. Sogar ein aufblasbares Bett haben sie mitgebracht. Ein kleiner Meeresarm führt in ein grünes Tal hinein, ein untrügliches Zeichen von Regenwasseransammlungen. In den Tuffsteinfelsen am Rand haben Unbekannte vor längerer Zeit ein rätselhaftes System aus geraden Gängen gegraben, welches durch mehrere rechteckige Eingänge erhellt wird.

Paralia Firopotamos

Paralia Firopotamos Einen ersten Vorgeschmack auf die in den kleinen Küstenörtchen verbreiteten Syrmata, ehemaligen bunten Fischerhäusern, suchen wir am Strand von Firopotamos nicht weit von Plaka an einer Bucht im Nordosten. Die Straße dorthin führt über den Ortskern von Triovasalos im Osten und hat es in sich. Zum Glück fahren die Einheimischen sehr diszipliniert, so dass das Millimeter genaue Passieren des Gegenverkehrs kein Problem darstellt, so fern man die Nerven behält und darauf vertraut, dass der andere Fahrer den Spiegel einklappt. Still und verschlossen stehen die meisten der ausgebauten Bootshäuser da und warten auf ihre Bestimmung als temporäre Sommerunterkunft. An Zweien wird von fleißigen Besitzern innen und außen gewerkelt, während der nicht aktive Teil der Familie je nach Alter entweder auf Plastikstühlen sitzt oder auf dem schmalen Strandabschnitt vor dem Haus herumtollt. Außer uns hat es an diesem Tag nur eine französische Familie hierher verschlagen.

Paliorema

Paliorema Eine der eindrucksvollsten Orte auf Milos sind zweifellos die ehemaligen Schwefelminen von Paliorema. Seit rund 65 Jahren sind die früheren Verarbeitungsanlagen und Unterkünfte der Arbeiter dem Verfall preisgegeben – der Abbau lohnt schon lange nicht mehr. Ein wahrhaft gespenstischer Lost Place. Schon die Anreise gestaltet sich abenteuerlich: Ursprünglich führte von Zefiria nur eine endlose Schotterpiste in Serpentinen an die menschenleere Ostküste. Mit regulären Mietwagen war es sogar verboten, diese zu benutzen. Sie liegt in der Restricted Area – zu groß ist die Gefahr für das Fahrwerk, die Reifen und den Unterboden. Glücklicherweise wurde kürzlich jedoch ein großer Teil dieser alten Straße neu asphaltiert und wir landen etwa zweieinhalb Kilometer auf bequemen Weg vor dem Ziel. Der Rest ist eine immer steiler und holpriger werdende Schotterstraße, woraufhin wir nach etwa der Hälfte der Strecke Mitleid mit dem kleinen Nissan bekommen. Der folgende Fußweg führt uns vorbei an rostroten Felsformation und schon bald sehen wir in der Ferne direkt am Meer die Grundmauern der verlassenen Anlagen.

Paliorema Der nahezu weiße Untergrund der Straße ist von schwefelgelben und rostbraunen Schlieren durchsetzt, an den Seiten erblicken wir verrostete Bauteile von Maschinen und immer wieder Bruchsteinmauern deren Funktion sich uns nicht sofort erschließt. Nichts auf dem Areal ist gesichert und wir müssen uns vor dem Betreten ehemaliger Unterkünfte oder Betriebsgebäude penibel vergewissern, dass der Untergrund nicht nachgibt oder das über uns liegende Dach noch hält. Auch in Strandnähe geht das Abenteuer weiter: Auf einer erstaunlich intakten Steinbrücke steht wie arrangiert eine verrostete Lore. Die zugehörigen Gleisanlagen sind nur noch teilweise erhalten und führen über einen erhöhten Felsvorsprung, der vor dem Eingang eines Stollens in den Berg zu Ende ist. Davor liegt ein Trümmerhaufen aus alten Mauern und eisernen Bauteilen. Im Inneren des Stollens sind Schwefeladern erkennbar, jedoch empfiehlt es sich nicht, noch weiter in den Berg zu gehen.

Auf der gleichen Seite des Tales liegen die früheren Baracken der Bergleute. Auch hier hat man sich der Hanglage angepasst und mehrere Stockwerke terrassenartig übereinander gebaut. In den wenigen zugänglichen Innenräumen erblicke ich verrostete Bettgestelle mit zerfledderten Matratzen. Hinter einigen Behausungen sind noch Beete zu erkennen. Die Arbeiter müssen hier über einen längeren Zeitraum gelebt und sich teilweise selbst versorgt haben.

Paliorema Auf dem Rückweg beschließe ich, die ehemaligen Aufbereitungsanlagen auf der gegenüberliegenden Talseite genauer zu erkunden. Ein Schienensystem führt steil an verschiedenen Funktionsebenen vorbei den Berg hinauf. Die meisten davon sind für Besucher nicht mehr zugänglich. Über halb verfallene Treppen gelange ich immerhin bis zur dritten Ebene, erspähe monströse verrostete Maschinen und steil abwärts führende betonierte Kanäle. Wieder unten angelangt fällt mein Blick in aufgebrochene Kuppeln gemauerter Öfen. Dort wurde der Schwefel aus dem zuvor in mehreren Stufen zerkleinerten Abraum verflüssigt.

Paliorema - kristalliner Schwefel Das Element war bis in die 50er Jahre ein begehrter Exportartikel der Insel und wird sowohl in industriellen Prozessen, wie der Kautschukvulkanisation, der Streichholz- und Schwarzpulverherstellung als auch zur Schädlingsbekämpfung im Weinbau eingesetzt. Mit dem deutlich billigeren Abfallprodukt aus der Erdölraffinerie fehlte diesem Industriezweig bald die wirtschaftliche Grundlage. Als wir auf dem Rückweg zum Wagen an einer Abraumhalde vorbei kommen, sehen wir mit kristallinem Schwefel bedeckte weiße Brocken. Keiner braucht sie mehr ...

Mandrakia

Mandrakia Eine der touristischen Hauptattraktionen der Insel Milos erreichen wir nach einer steilen Abfahrt östlich von Plaka. Der ganze Ort befindet sich noch im Frühjahrsputz: Es wird betoniert, verputzt, gestrichen und gesägt. Die kunterbunt, geradezu kitschig bemalten Stufen, Absätze und Terrassen rund um das Hafenbecken benötigen dringend einen neuen Anstrich. Das geschieht jetzt und vermutlich jedes Jahr um die gleiche Zeit nach dem Ende der Winterstürme. Wer nah am Wasser baut, führt einen ständigen Kampf gegen die Elemente.

Klima

Trypiti Am Nachmittag scheint sich das Wetter an diesem unbeständigen Tag endlich etwas zu beruhigen und wir beschließen den Abstieg hinunter nach Klima. Nachdem wir das bereits zuvor bekannte römische Amphitheater passiert haben, entdecken wir einen alten idyllischen Feldweg mit ausgetretenem Steinpflaster – früher die einzige Landverbindung des abgelegenen Küstenfleckens. Links und rechts blüht es und Ziegen und Schafe ergötzen sich am frischen Grün des Frühlings. Rechts oberhalb von uns thront auf einem Hügel die heilige Kapelle des Propheten Elias. An einer Stelle ist die mörtellose Feldmauer eingestürzt, so dass antike Kapitellfragmente aus weißem Marmor zum Vorschein kommen. Hier hat sich wohl bereits vor Jahrhunderten der Urahn des heutigen Besitzers an den Resten des Theaters zu Schaffen gemacht.

Klima Nach rund einer Dreiviertelstunde konzentriertem Abstieg erreichten wir endlich den Fuß des Tales und somit den kleinen traditionellen Ferienort Klima. Wie bereits zuvor in Mandrakia haben sich hier aus den Syrmata direkt am Strand zunächst Wochenendunterkünfte für Einheimische und später Apartments für Touristen entwickelt. In der Hochsaison werden diese inzwischen von vorbei pilgernden Scharen wie im Freilichtmuseum bestaunt und manch einer verflucht diese vermeintlich authentische Unterkunft gebucht zu haben. Es gibt hier einfach nicht viel mehr Platz und so spielt sich das Leben an einem schmalen Strandabschnitt ab.

Trypiti

Trypiti Der freie Blick von der Terrasse unseres Apartments in Plaka bleibt stets an der Reihe nicht mehr genutzter Windmühlen auf dem Hügel oberhalb von Trypiti hängen. Da müssen wir hin, beschließen wir eines Morgens und schauen uns diese Industriedenkmäler etwas genauer an. Aus den anfangs vermuteten fünf kreisrunden Gebäuden werden bei näherer Betrachtung auf einmal neun inklusive dreier Ruinen. Einige davon wurden mitsamt ihren noch vorhandenen Dreschplätzen vorbildlich restauriert, andere können als Ferienunterkunft genutzt werden. Die Außenanlagen wurden mit viel Liebe zum Detail in Skulpturengärten verwandelt.

Trypiti ist insbesondere am Abend eine willkommene Alternative zu der noch größtenteils geschlossenen Gastronomie in Plaka. Wir landen eher per Zufall im gemütlich-familiären Glaronisia in der Nähe des zentralen Parkplatzes, da das zuvor anvisierte leicht versnobte OKTO noch geschlossen hat. Nach einem überaus herzlichen Empfang durch die rasante Kellnerin sind wir vom ungewöhnlichen Angebot erst einmal beeindruckt. Auf der komplett überdachten Terrasse wird authentische Inselküche mit üppigen Portionen und ausgefallenen Zutaten serviert: Eingelegter Meerfenchel, Saganaki vom lokalen Kefalotyri, köstliche Zucchinibällchen mit Tzatziki. Die hervorragenden Auberginen mit Feta aus dem Ofen zergehen auf der Zunge. Beeindruckend auch die griechische Variante der Bruschetta: Geröstetes Weißbrot mit Tomatenpaste, Oliven, Kapern und Knoblauch belegt. Überhaupt scheint man hier Kapern im Überfluss zu ernten: Selbst der Bauernsalat enthält reichlich davon und selbstverständlich ist auch das köstliche Fava damit dekoriert. Dazu gesellt sich eine gute Bierauswahl – auch das heimische Syrma Ale mit Thymianhonig ist dabei.

Fyriplaka

Fyriplaka Fyriplaka, einer der bekanntesten Strände im Süden von Milos und in den Sommermonaten stark frequentiert, zeigt sich uns heute am 12. April nahezu menschenleer. Es dominieren die Naturgewalten in Form einer tosenden Brandung und spektakulären Steilküste. Schilder warnen vor Steinschlag. Einige wenige Behausungen, zwei davon aus Stein, eine Bretterbude – die Bar Loco – sind verschlossen. Der Besitzer des Etablissements hat schon mal die Preisliste herausgehängt: Aperol Spritz 10 €, nun ja ... sportlich. Es ist kaum zu glauben, dass hier in den Hochzeiten Strohschirme in Viererreihen gestanden haben, denn die Plattform der Bar liegt mittlerweile direkt an der Abbruchkante des Sandes. Links und rechts des flachen feinen Strandes sorgen dicke Felsbrocken im Wasser für Abwechslung. Man könnte Stunden lang der für Mittelmeerverhältnisse mächtigen Brandung zuschauen.

Tsigrado

Tsigrado Etwas weiter südöstlich hinter drei weiteren Felsnadeln verbirgt sich der Tsigrado-Strand. Er ist berüchtigt für seinen halsbrecherischen Zugang über eine Leiter und ein ausgeleiertes Seil quer durch eine in den Tuffstein geschlagene Schneise. Nach dieser Mutprobe unten angelangt steht man in einer relativ kleinen, fast vollständig von Steilwänden umgebenen Bucht. Am Abend jedoch liegt diese komplett im Schatten und in Folge der noch kühlen Jahreszeit ist hier nun keiner mehr.

Die Rückfahrt in den Norden führt uns vorbei am Strand von Achivado Limni. Von diesem leicht erhöhten Punkt kurz vor dem Flugplatz überblickt man den gesamten majestätischen Naturhafen der Insel.

Plathiena

Plathiena Extrem enge Ortsdurchfahrten und steile Betonpisten führen hinunter zu einem der schönsten Strände im Nordwesten. Platiena gilt in den Sommermonaten mit Strandbar, Toiletten und behindertengerechten Zugängen als besonders gut erschlossen. Nur leider haben wir nicht Sommer und so sind wir mal wieder fast alleine und genießen die Ruhe. Rechts oberhalb dominiert ein pompöses Anwesen mit langer Einfahrt und eigenem Olivenhain die Bucht. Gegen Spätnachmittag ist es mit der Ruhe vorbei, als eine Gruppe junger Griechen anrückt und sich mit ca. 15 Personen unter einer einzigen Tamariske tummelt. Als die ersten wie von der Tarantel gestochen ins Wasser rennen, ist das Geschrei groß.

Adamas

Der Küstenort hat neben seinem für die Insel lebenswichtigen Fähranleger seit 1998 auch ein Mining Museum im Programm. Mit Unterstützung des mittlerweile die meisten Bergwerke auf Milos betreibenden französischen Konzerns Imerys wurde hier ein durchaus informatives und sehenswertes Dokumentationszentrum geschaffen. Neben der Aufbereitung der Bergbaugeschichte von den industriellen Anfängen unter teils härtesten Bedingungen im 19. Jahrhundert, als Arbeiter/innen auf dem täglichen Weg in die Minen noch zu Fuß die gesamte Insel überquerten oder gleich vor Ort in ärmlichen Behausungen ihr Dasein fristeten, bis zur hochtechnisierten Förderung der für die Bauindustrie bedeutsamen Rohstoffe Bentonit und Perlit der Gegenwart. Sehenswert sind auch unzählige Obsidian-Artefakte aus der Sammlung des bedeutenden Heimatkundlers Zafeiris Vaos. Über sieben Jahrtausende lang war das vulkanische Glas aus Milos die Hauptquelle für Schneidwerkzeuge und Waffen prähistorischer Siedlungen in der Ägäis.

An einem Freitagmorgen treten wir die Heimreise an. Wieder hinunter nach Adamas und gleich den Leihwagen abgegeben. Das läuft alles sehr unkompliziert und die Mitarbeiter im Büro von Avance Cars passen sogar auf unser Gepäck auf, während wir noch ein letztes Mal am Hafen frühstücken. Aufgrund des starken Windes kommt der SeaJet mit rund halbstündiger Verspätung an. Die Route führt wieder mit den gleichen Zwischenstopps über Sifnos und Serifos nach Piräus. Zum Glück haben wir genügend Zeitpolster eingebaut, um noch bequem mit der günstigen Metro M3 diesmal aber vom nahen Dimotiko Theatro in gerade einmal gut einer Stunde bis direkt zum Flughafen zu gelangen.