Athen – Die Wiege von fast allem ...

Anlässlich der Reise nach Milos konnte der so lange hinaus geschobene Zwischenstopp in der griechischen Metropole eingelegt werden, um all die sagenhaften Hinterlassenschaften hellenischen Schaffens endlich gebührend in Augenschein zu nehmen. Nicht das wir das nicht 1991 schon mal versucht hätten, aber der damalige enge Reiseplan ließ uns nur einen kurzen abendlichen Aufstieg zur Akropolis, deren Plateaubezirk natürlich schon geschlossen war. Immerhin konnten wir noch das benachbarte Odeon erspähen und anschließend in einer urgemütlichen Taverne der Plaka den Abend bei Wein und köstlichen Mezedes ausklingen lassen.

Dieses mal haben wir eineinhalb Tage Aufenthalt zu angenehmen Frühjahrestemperaturen geplant und dazu ein schickes Domizil in der Altstadt gefunden. Auch die Anreise vom weit außerhalb gelegenen Flughafen Eleftherios Venizelos gestaltet sich inzwischen mit der anlässlich der Olympischen Spiele 2004 neu erbauten U-Bahn mit Anschluss an das Stadtzentrum und den Hafen Piräus fortschrittlicher und kostengünstiger – sorry, Ihr armen Taxifahrer: Ich weiß, Ihr könnt nichts für die Spritpreise.

Plaka

Plateia Monastirakiou Als wir am späten Abend die Metro-Station Monasteraki verlassen, stehen wir mitten im pulsierenden Nachtleben von Plaka. Mit unseren Rollkoffern poltern wir über das unebene Pflaster, vorbei an Kneipenbummlern, Touristen und unter Kolonnaden lagernden Obdachlosen. Nach einem unvermeidlichen kleineren Irrweg dank Google Maps finden wir unsere Unterkunft direkt am Rande der aktuellen Ausgrabung Stoa Poikile nahe der antiken Agora. Der zuvor erhaltene Eingangscode funktioniert auf Anhieb und im Zimmer steckt auch wie versprochen die Codekarte. Schnell das Gepäck abgelegt und los in den Trubel.

Hadriansbibliothek (132 n. Chr.) Trotz der verhältnismäßig kühlen Witterung sitzen die Leute unbeeindruckt vor den Lokalen – dabei ist gleich Mitternacht. Wir bekommen ohne Probleme noch Saganaki mit Pommes, griechischen Salat und ein Fläschchen Retsina. Im Anschluss bummeln wir durch das lebendige, weitgehend verkehrsberuhigte Altstadtviertel. An der im Sommer stets überfüllten und nicht ganz ungefährlichen Plateia Monastirakiou haben sich Gruppen von ausländischen Jugendlichen versammelt und begleiten lauthals singend einen Straßenmusiker. Ehrfurchtsvoll blicken wir auf die mächtigen Säulen der Hadriansbibliothek gleich daneben und über allem strahlt der hell erleuchtete Felsen der Akropolis. Das Nationalheiligtum und der Tempel des Hephaistos über der Agora – eine Zimmeraussicht, wie wir sie uns nicht dramatischer hätten ausmalen können.

Tempel des Hephaistos (5. Jh. v. Chr.) Am nächsten Morgen, nach einem vom Café 'The Brunchers' aufs Zimmer gelieferten Frühstück, startet bei strahlendem Sonnenschein dann genau dort unsere große Erkundungstour. Der nahezu perfekt erhaltene Tempel aus dem 5. Jahrhundert v. Chr. erhebt sich über der vergleichsweise nur mäßig besuchten Agora. Es ist die perfekte Jahreszeit für antike Ausgrabungen: Die Sonne verbrennt einem nicht das Hirn, das frische Grün und der strahlende Marmor bilden satte Kontraste. Von hier blickt man hinüber zu der in den Jahren 1952-56 nach einer großzügigen Spende John D. Rockefellers, Jr. wieder errichteten doppelstöckigen Stoa des Attalos. Die beeindruckende Wandelhalle aus Marmor und Kalkstein stammte ursprünglich aus dem 2. Jahrhundert und wird heute als Museum genutzt.

Parthenon (5. Jh. v. Chr.) Der Aufstieg zur Akropolis erfolgt von Nordwesten aus über eine breite Fußgängerstraße vorbei an einer Anhöhe mit den markanten Bauten des Nationalen Observatoriums Athen und der Ieros Naos Agia Marina, am Heiligtum des Pan und am Brunnen der Pnyx. Aufgrund des bereits einsetzenden großen Andrangs besorgen wir uns die Tickets und passieren sogleich die Einlasskontrolle. Stolze 20 € wollen die Griechen sehen – die Hauptsaison hat begonnen. Sechs Tage zuvor wäre es noch die Hälfte gewesen. Die Propyläen, der Torbau zum heiligen Bezirk aus dem 5. Jahrhundert v. Chr., vermitteln bereits einen ersten Eindruck von der Monumentalität der Anlage. Bereits hier steht auf nahezu jedem Podest ein Aufseher, um die üblichen Unbelehrbaren am Beklettern der Felsen und Mauern zu hindern. Wir zwängen uns mit all den anderen durch einen Wald von mächtigen Trommelsäulen. Auf der Plattform verläuft sich die Menschenmasse aus allen Ecken dieses Planeten dann endlich. Bereits das Erechtheion im Norden, ein komplexer multifunktionaler Tempel aus dem späten 5. Jahrhundert v. Chr., lenkt die Blicke durch seine ungewöhnliche von Karyatiden getragenen Vorhalle auf sich. Jedoch muss man sich erst einmal durch die unzähligen Photographen vor dem gewaltigen Parthenon kämpfen. Der Tempel aller Tempel wurde zum Dank für die Rettung der Griechen vor den Persern der Göttin Pallas Athena Parthenos geweiht und ist trotz der Plünderungen und Zerstörungen der letzten Jahrhunderte immer noch das berühmteste Bauwerk. Während der türkischen Herrschaft wurden beide Gebäude noch als Harem bzw. Moschee zweckentfremdet. Die griechischen Behörden haben nach der Wiedererlangung der Unabhängigkeit im gesamten Bezirk fremde Bauten entfernen lassen. Das griechische Nationalheiligtum wird selbstverständlich streng bewacht. So großzügig die Aufseher den meisten Besuchern auch vorkommen mögen: Offensichtliche Respektlosigkeiten werden nicht geduldet. Das müssen die beiden minderjährigen Töchter einer russischen Familie, deren äußere Gesamtwirkung man als durchaus overdressed und dem Kardashian-Clan zugeneigt charakterisieren darf, schmerzlich erfahren. Ihre soeben per Smartphone gestartete TikTok-Tanzeinlage samt dümmlichem Posing wird von einer resoluten Wärterin abrupt beendet und mit der Löschung des Videos bestraft.

Akropolis - Parthenon, Propyläen, Erechtheion, Tempel des Hephaistos (5. Jh. v. Chr.), Stoa des Attalos (2. Jh. v. Chr.), Hadriansbibliothek (132 n. Chr.) Aus unerfindlichen Gründen drängelt sich ein großer Teil der Besucher auf der Aussichtsplattform im Osten. Nun gut, als dort endlich wieder etwas Platz ist, schlendern wir halt auch mal hin. Von hier hat man offensichtlich den perfekten Überblick: Die Felsplattform, die beiden Tempel, Teile der Agora und das Häusermeer von Athen – ein überwältigendes Stadtpanorama wie kein zweites auf der Welt. Richtung Nordosten schweift der Blick weiter zum Lykabettus, dem 277 Meter hohen Stadtberg Athens. Von den Stufen der Propyläen aus sehen wir die Schiffe aus dem Hafen von Pyräus auslaufen. Eine solche klare Sicht ist für Griechenlands Hauptstadt eher ungewöhnlich, denn in den Sommermonaten ist die ganze Ebene vom Smog erfüllt.

Odeon des Herodes Atticus (2. Jh. n. Chr.) Südwestlich unterhalb der Propyläen liegt das prächtige Odeon des Herodes Atticus aus dem 2. Jahrhundert, welches bis in die heutige Zeit als musikalischer Veranstaltungsort genutzt wird. Im römischen Stil erbaut und in den 50er Jahren restauriert fasst das auch heute noch fast vollständig geschlossene Amphitheater rund 5000 Zuschauer und war in der Antike von der größten bislang bekannten Dachkonstruktion geschützt.

Dionysostheater (4. Jh. v. Chr.) Vom weiter östlich gelegenen Dionysostheater (4. Jahrhundert v. Chr.), der Geburtsstätte der griechischen Tragödie und dem weltweit ersten Bau dieser Art, ist nicht mehr so viel zu sehen: Von den einst 78 Sitzreihen, auf denen bis zu 17.000 Zuschauer Platz fanden, sind noch etwas mehr als 20 erkennbar.

Monument des Lysikrates (4. Jh. v. Chr.) Wir verlassen das Gelände der Akropolis durch den südöstlichen Ausgang und kehren in Sichtweite des Monuments des Lysikrates an der gleichnamigen Plateia zu Mokka und Frappé unter schattigen Bäumen ein. Der Pavillon, bis heute Vorbild für ähnliche Bauten in klassizistischer Form, wurde im 4. Jahrhundert v. Chr. zu Ehren des bei den Dionysosfestspielen siegreichen Choregen Lysikrates errichtet, erst im 19. Jahrhundert von späteren Anbauten befreit und wieder in den Originalzustand versetzt.

Olympeion (2. Jh. n. Chr.) Von hier zweigt die Lisikratous ab und führt südöstlich direkt auf das Hadrianstor zu. Das Ehrenmal wurde 132 zu Ehren des römischen Kaisers anlässlich seines Besuchs eingeweiht und markiert den Eingang zum Olympeion. Eben diesem Hadrian ist es zu verdanken, dass der nach dem Heraion von Samos zweitgrößte Tempel Griechenlands um die gleiche Zeit nach gut 300-jähriger Bauzeit endlich fertiggestellt wurde. Die mächtigen Trommeln einer der umgestürzten korinthischen Säulen symbolisieren die Zerstörung der Anlage, mutmaßlich durch ein Erdbeben, und die anschließende Nutzung als Steinbruch.

Panathinaiko-Stadion (4. Jh. v. Chr; Rekonstruktion 1895) Am nördlichen Ende der Ausgrabung zweigt die Leoforos Vasilissis Olgas ab und führt direkt zum Panathinaiko-Stadion. Die heutige hufeisenförmige Arena stellt eine Rekonstruktion des Veranstaltungsorts der antiken Panathenäischen Spiele aus dem 4. Jahrhundert v. Chr. dar und wurde 1895 auf dessen Fundamenten zu den ersten Olympischen Spielen der Neuzeit 1896 errichtet.

Zappeion (1874-88) Nur wenige hundert Meter entfernt erhebt sich in einer Parkanlage das klassizistische Zappeion (1874-88), ein Multifunktionsgebäude von Theophil Hansen und Ernst Ziller, das im Laufe der Zeit buchstäblich die unterschiedlichsten Nutzungen erfuhr: Als Wettkampfstätte bei den Olympischen Spielen 1896, Olympisches Dorf bei den Zwischenspielen 1906, Messeausstellungsraum, Lazarett der griechischen Armee und schließlich Wehrmachtskaserne.

Plateia Syntagmatos - Wachwechsel der Evzonen Von hier geht es über verwirrende Wege des Ethnikós Kípos, des Nationalgartens, bis zur Plateia Syntagmatos. Hier vor dem griechischen Parlament und dem Grabmal des unbekannten Soldaten veranstalten die stattlichen Evzonen, die ehemalige königlich-griechische Leibgarde, ein stündliches Spektakel. Wir stehen mit weiteren Schaulustigen in einem Halbkreis davor, während ein strenger Soldat in grüner Tarnuniform und blauem Barett penibel darauf achtet, dass diese imaginäre Grenze nicht überschritten wird. Während der ganzen Zeit bis zur vollen Stunde verziehen die beiden traditionellen Wachhabenden in weißem Rock, Hemd, Schnabelschuhen und rotem Fez keine Mine und bewegen sich nicht einen Millimeter. Dann geht es plötzlich Schlag auf Schlag: In Zeitlupe vollführen sie einen merkwürdigen Formationsschritt und bewegen sich dabei in Richtung des Grabmals des unbekannten Soldaten. Trotz der dabei dargebotenen physikalisch undenkbaren Figuren geraten sie keine Sekunde aus dem Gleichgewicht. Wie aus dem Nichts erscheinen plötzlich von hinten drei weitere Soldaten im feierlichen Ornat und marschieren mit lautem Gleichschritt auf die Menge zu. Der Mann mit dem Barett kann gerade noch rechtzeitig mehrere Schaulustige vor dem Niedertrampeln erretten. Die ganze Prozedur ist exakt einstudiert und läuft stündlich nach dem gleichen Schema ab. Die dabei vollführten Bewegungen erfordern Monate langes intensives Training, um die gezeigte Balance, Synchronität und Genauigkeit zu erreichen. Als die Wachablösung ihren Platz eingenommen hat, kommt erneut der Mann mit dem Barett, offensichtlich der Befehlshabende, zum Einsatz und kontrolliert die exakte Position jedes Evzonen vor dem jeweiligen Häuschen: Füße und Gewehrkolben werden zurecht gerückt und zum Abschluss jede einzelne Kordel an der Kopfbedeckung glatt gezogen.

Kapnikarea (11. Jh.) Die Faszination dieses Schauspiels hat uns den einsetzenden Nieselregen nicht bemerken lassen und so suchen wir über die Fußgängerzone Ermou den schnellsten Weg zur Unterkunft. Dabei passieren wir die pittoreske Kapnikarea, eine Kreuzkuppelkirche aus dem 11. Jahrhundert, um die man die Straße herum gebaut hat. Als wir die phantastischen Fresken im Innern erblicken, sind wir beglückt, dass es Ludwig von Bayern gelungen war, 1834 den Abriss zu verhindern.

Am nächsten Morgen, dem Tag der Abreise, bleibt uns noch genügend Zeit, um uns bei schönstem Frühlingssonnenschein auf den Weg zu Athens zweiter Agora aus der römischen Epoche zu machen. Diese ist überschaubar, liegt günstig an einer Anhöhe und gewährt somit viele interessante Perspektiven, so dass ein Betreten des Geländes gar nicht notwendig ist. Insbesondere der achteckige Turm der Winde, besticht mit seinem nahezu perfekten Erhaltungszustand. Der Pavillon aus dem 1. Jahrhundert v. Chr. hatte an jeder seiner acht Seiten eine Sonnenuhr und im Inneren eine von Wasserkraft betriebene. Der westliche Zugang zur Agora wird durch das Tor der Athene Archegetes erschlossen, wovon noch vier dorische Säulen erhalten sind. Nachdem das Gelände einmal komplett umrundet ist, erblicken wir etwas weiter oberhalb im Gässchen Klepsidras einladende Tavernenstühle mitten auf dem Pflaster. Bei einem gepflegten Aperol und einer Spanakopita (Spinatkäsepastete) zur Mittagszeit auf einer Altstadtkreuzung lässt sich das Werben des älteren Animateurs um die teils aufwendig gestylten Touristinnen aus aller Welt genüsslich beobachten. Römische Agora - mit Turm der Winde (1. Jh. v. Chr.)

Leider drängt irgendwann die Zeit und wir müssen mit unseren klappernden Trolleys zur Metro – die Fähre in Piräus wartet. Von Monasteraki dauert die Fahrt mit der M3 ganze 20 Minuten bis Dimotiko Theatro, der dem Gate 9 im Hafen nächst gelegenen Station. Aus lauter Unkenntnis erwischen wir jedoch die alte klapprige M1 – diese nimmt eine andere Strecke, ist sogar schneller und führt überwiegend oberirdisch u.a. am Karaiskakis-Stadion, der Heimstädte von Olympiakos vorbei. Das hat zur Folge, dass im durchaus ansehnlichen Bahnhofsgebäude von Piräus erst einmal Schluss ist und wir den Rest zu Fuß entlang der Kaimauer zurücklegen müssen. Aber noch ist genug Zeit … Im Schatten der prächtigen Ieros Naos Agios Nikolaos nehmen wir zuvor bei Cups & Beans noch wichtige Vitamine und Nährstoffe zu uns.