Tropea
Capo Vaticano
Cosenza
Pizzo
Vibo Valentia
Zwischen den Meeren...
Tiriolo
Tipps

Pizzo (Calabria), Süditalien. Es ist Mittwoch, der 6. Juni 2001, 12.33 Uhr. Ein dunkelblauer Fiat Punto (Kennzeichen der Redaktion bekannt) fährt im mäßigen Tempo die Straße oberhalb der nördlichen Ortsausfahrt hinauf, wird in Höhe einer Tankstelle langsamer, blinkt links, um in Richtung der Parkplätze auf dem Seitenrand abzubiegen. Im selben Moment rast ein Vesparoller mit überhöhter Geschwindigkeit von hinten heran, ignoriert das Blinklicht und setzt zu einem wahnwitzigen Überholmanöver auf der linken Seite an. Der PKW-Fahrer (Name der Redaktion bekannt) ist schon halb auf der Gegenfahrbahn und hat nicht die geringste Chance: Laute Flüche in italienischer Sprache - frontal prallt die Vespa auf die linke Vorderseite des Kleinwagen, splitternde Plastikteile schießen durch die Luft, der Roller legt sich flach, der selbstverständlich lässig helmfreie Fahrer geht klagend mit seinem Gefährt zu Boden. Ein unendlicher Moment lang herrscht totale Stille, wie in einem Film schießen dem kreidebleichen Autofahrer die unausweichlichen Folgen seiner winzigen Unachtsamkeit durch den Kopf: Alle Urlaubsfreuden mit einem Schlag dahin, eingekreist von einer Menge wütend auf den rücksichtslosen germanischen Verkehrsrowdy schimpfender und abfällig gestikulierender Kalabresen, unfähig sich zu rechtfertigen, da in diesem Moment außer einem lächerlichen „scusi“ kein einziges hilfreiches italienisches Wort aus dem Chaos seiner Gedanken abrufbar, Frau und Kind verzweifelnd und weinend im Auto sitzend, in Handschellen von gnadenlosen gestiefelten Carabinieri in ein Hinterzimmer zum Verhör abtransportiert, Untersuchungshaft, nach endlosen 14 Tagen bei Wasser und steinharten Spaghetti in einem schäbigen Gefängnis des Mezzogiorno zu einer horrenden Geldstrafe verurteilt, per Gerichtsbeschluss abgeschoben und bis nach Hause verfolgt Rächern der ´ndrangheta, der kalabresischen Variante der Mafia in Goldkettchen und dunklen Sonnenbrillen...

Nach einem solchen Erlebnis setzt vorübergehend der Verstand aus und der Mensch neigt zu realitätsfernen und extrem negativen Sichtweisen. Dabei sind Unfälle dieser Art in Italien, insbesondere im Süden, eine Alltäglichkeit und gehen überraschenderweise, wie auch in diesem Fall, unerhört glimpflich aus: Dem Vespa-Fahrer ist nichts Weltbewegendes passiert, denn er konnte sich geschickt mit den Ellenbogen abfangen, die zufällig auf der Straße stehenden einheimischen Augenzeugen sind nicht etwa aufgebracht, sondern sehr hilfsbereit, behandeln die blutenden Schürfwunden mit Spiritus, bedauern den Rollerfahrer und beruhigen uns deprimierte Touristen. Nach einigen Formalitäten wie dem Austausch der Kennzeichen, Namen, Adressen und Telefonnummern setzen sich die Beteiligten im gegenseitigen Einvernehmen wieder in bzw. auf ihre Fahrzeuge und fahren davon, als wäre nichts gewesen – natürlich ohne, dass nur ein einziges Mal das böse Wort „Polizia“ gefallen wäre. Der augenscheinlich deutliche Schaden am vollkaskogesicherten Leihwagen (Außenspiegel zertrümmert, Tür und Kotflügel zerbeult, Plastikradkappe zersplittert) veranlasst uns dann allerdings doch, unverzüglich die Autonoleggio am Flughafen Lamezia Terme aufzusuchen. Und auch dort ernten wir ob unserer unnatürlichen Gesichtsfarbe nur ein paar beschwichtigende Kommentare anstatt einer befürchteten Latte von Formalitäten und Forderungen. Das Auto hat schließlich noch vier Räder und fährt unverändert geradeaus, die Grundvoraussetzung für Verkehrstüchtigkeit in Kalabrien – wo also ist das Problem? Ein Ersatzfahrzeug steht selbstverständlich nicht zur Verfügung – welch tollkühne Idee von mir.

Wir haben uns verblüffend schnell von diesem Alptraum eines jeden Urlaubers erholt und sind schon bald wieder auf Tour. Wirklich lästig sind auf Dauer allerdings die zeitaufwändigen Anfahrtswege über das zwar dichte, aber kaum durchdachte Straßennetz der italienischen Stiefelspitze, verbunden mit einem permanenten Verkehrschaos im Einzugsbereich mittlerer und größerer Ortschaften, was den Besuch netter kleiner Städte mit ihren Sehenswürdigkeiten zu einer wahren Tortur gestaltet. Darüber hinaus ist der geplagte Reisende mit Kleinkind nach mindestens 2 Stunden Autofahrt nie vor 13 oder 14 Uhr an seinem Ziel und steht dort i.d.R. durstend und hungernd vor konsequent verschlossenen Türen der Trattorien, Ristorante, Supermärkte und Läden, welche von den Besitzern erbarmungslos bis mindestens 17.00 Uhr vor den gierigen Blicken uneinsichtiger Touristen verbarrikadiert werden. Nicht einmal einen Schaufensterbummel gönnt man uns: Die Auslagen der Boutiquen hängen an einem raffiniert ausgetüftelten Klappmechanismus und verschwinden pünktlich zur Siesta im Eingangsbereich hinter stählernen Rollgittern oder Holzläden. Die Mittagsruhe ist heilig – wir sind hier in Italien und das war immerhin einmal Kichenstaat! Einzig und allein die Cafébars erhalten uns am Leben: Ein paar Panini, Pizzette, Cornetti liegen immer für uns exakt abgezählt in der Vitrine (was essen eigentlich die Einheimischen?) und ein tiefschwarzer Espresso - natürlich stilecht als „Café“ bestellt, denn alle italienischen Kaffeezubereitungen basieren, anders als bei uns, auf dem Espressoverfahren – ist das bis zum nahenden Abend rettende Kraftelixier. Wie gesagt: Spätestens um fünf fangen die Innenstädte an zu brodeln, dann schert sich niemand um Ladenschlusszeiten oder mögliche Ruhestörungen im Umkreis der Corsi und Freiluftgastronomie.

Tropea

Der vernünftige Urlauber erspart sich also unnötige Anfahrtswege und logiert dort, wo zumindest die Grundversorgung (Mangiare, Café, Vino, Einkaufen) gewährleistet ist. Wer in Kalabrien eine Bleibe in oder zumindest in der Nähe von Tropea gefunden hat, der „Perle des Mittelmeeres“, wie dieser Ort gerne ultimativ benannt wird (den gleichen Anspruch erheben natürlich auch Taormina auf Sizilien, Capri, Ischia, Stromboli, Elba, Santorin u.a.), kann sich glücklich schätzen, denn er hat ein quirliges italienisches Städtchen mit unverschandeltem Centro Storico, einer breiten Auswahl moderater Ristorante im Familienbetrieb mit kalabresischer Küche, unzähligen Delikatessengeschäften und allabendlichem Corso italiano in seiner Reichweite. Selbst der örtliche Strand ist für seine zentrale Lage erstaunlich sauber und ruhig, denn ein weitläufiger Campingplatz trennt ihn von der Durchgangsstraße und die eigentliche Stadt liegt hoch oben auf dem Felsen. Abseits von Tropea liegt allerdings der Hund begraben, darüber sollte sich jeder im Klaren sein, denn die Italiener selbst fahren zum Ausgehen und Shopping in die nächst größere Stadt, denn sie sind gesellige Menschen, was eine weitgehend verödete Infrastruktur außerhalb eines solchen Zentrums zwangsläufig zur Folge hat.

Ausgangspunkt eines abendlichen Ausflugs in das mittelalterliche, auf einem Felsen gelegene Städtchen ist ein Parkplatz möglichst außerhalb des Trubels. Die Chance, einen solchen zu finden nimmt mit der Entfernung vom Zentrum überproportional zu, denn schon wenige hundert Meter gelten für die meisten Kalabresen als Zumutung. Als Germanen mit reichlich Nomadentum in unseren Genen können wir über soviel Dekadenz nur lachen und nehmen solche kleinen Fußwege mit links. Wir haben daher beschlossen, die nächsten 14 Tage östlich der Piazza v. Veneto zu stehen - basta!. Von hier aus sind es nur wenige Schritte bis zum besagten, aufgrund seiner Lage außerhalb des Centro Storico eigentlich wenig spektakulären Platz, der aber trotzdem allabendlich von unzähligen Flanierwütigen aus Stadt und Umland zum Jahrmarkt erklärt wird. Nur wenige Meter weiter Richtung Altstadt regelt vor der ex Porta Nuova, einem leider nicht mehr vorhandenen antiken Stadttor, ein örtlicher Polizist in vollem Ornat und unter tiefsitzender Schirmmütze den Autoverkehr: Mit strengem Blick, rhythmischen Stößen in seine Trillerpfeife und schwungvollen Handbewegungen winkt er ein Fahrzeug nach dem anderen über die im hoffnungslosen Chaos versinkende Kreuzung, die von den Fußgängermassen schon längst quasi im Handstreich annektiert wurde, ruft zwischendurch dem einen oder anderen Bekannten einen Gruß zu und stellt nicht parierende Autofahrer Auge in Auge, mit energischen Worten zur Rede, aber über beide Backen grinsend – der Mann hat augenscheinlichen Spaß bei der Arbeit. Italien... In unmittelbarer Nähe beginnt der unvermeidbare Corso Vittorio Emanuele (welche Stadt auf dem Stiefel kommt ohne ihn aus?), Schauplatz des abendlichen Rituals, welches von Italienern in unzähligen Mittelmeerortschaften regelmäßig zelebriert wird: Bis hinunter zur Viletta, einem Gitter vor dem Felsabgrund und einem überwältigenden Panoramablick auf die Isola Bella, einem vorgelagerten Felsen mit Kapelle und das tyrrhenische Meer mit den liparischen Inseln, sind es etwa 300 Meter, wieder hinauf 600 Meter, nochmal hinunter... Herausgeputzte Spaziergänger soweit das Auge reicht. Nun wird uns klar, warum nicht schon beim Anmarsch unnötige Energie verbraucht werden darf. Und man glaubt es kaum: Der größte Andrang herrscht nicht etwa am Samstag, sondern Sonntag abends, wenn man sich in Germanien längst mental auf die Arbeitswoche vorbereitet und die Innenstädte verwaisen. Dazwischen immer wieder planlos und gelegentlich auf dem Hinterrad um die Blocks kurvende Motorrollerfahrer – lässig in Shorts, ohne Helm, dafür aber mit Designersonnenbrille. Tropea hat natürlich mehr zu bieten als nur den Corso: Da sind z.B. die vielen alten, aber nach wie vor bewohnten Palazzi, deren Fassaden vor sich hin bröckeln. Die unzählige Male reparierten Kirchen – Kalabrien wurde in der Vergangenheit ähnlich wie die Region Umbrien in Mittelitalien mehrfach von verheerenden Erdbeben heimgesucht, zuletzt 1908 - und insbesondere der Dom ist sind ein einziges Flickwerk: Je nach Zeitpunkt des Wiederaufbaus bekam er ein neues Stilelement verpasst. Im Bereich der Hauptstraßen finden sich zahlreiche Delikatessenläden mit Wein, Pecorino, getrockneten Peperoni, großen weinroten Tropeazwiebeln, kalabresische Pasta (Filei), Antipasti und anderen Produkten der Region im Angebot – das Wasser läuft uns im Mund zusammen und spätestens ab 20.00 Uhr beginnt die Suche nach einer geeigneten Lokalität. Abseits von den breiten Corsi der Altstadt verengen sich die Gassen derart, dass gerade noch ein Kleinwagen durchpasst – davon gibt es im Süden mehr als genug – um sich unerwartet wieder zu einem Largo oder einem kleinen von Bougainvilleen umsäumten Hinterhof zu öffnen. Auf diesen ruhigen schattigen Plätzen gibt es einige nette Trattorien und Ristorante, welche erfreulicherweise alle eine ähnlich gute Qualität bei moderatem Preisniveau bieten: 25 bis 30 DM pro Person für ein Essen mit Vorspeisen (Primi Piatti oder Antipasti), Hauptgericht (Secondi Piatti) und Wein sind, so finde ich, durchaus erschwinglich.

Capo Vaticano

Einer der wohl prachtvollsten Küstenabschnitte Kalabriens ist die Gegend um das südlich von Tropea gelegene Capo Vaticano. Feine weiße, wenig überlaufene Sandstrände in teilweise schwer zugänglichen kleinen Buchten und dann als absoluter Höhepunkt der Blick auf die zerklüfteten Ausläufer des Kaps im smaragdgrünen Meer – ein Bild voller greller Kontraste wie aus der Karibik. Auf einem kleinen Fußweg, welcher kurz vor dem Faro, dem Leuchtfeuer, links von der Straße abgeht und durch einen liebevoll angelegten mediterranen Kräutergarten an der Steilküste ent-lang führt, finden sich immer wieder neue atemberaubende Perspektiven. Umsäumt von blühenden Opuntien und meterhohen scharfkantigen Agaven im Vordergrund erhebt sich greifbar nah mit dem von einer Rauchwolke gekrönten Stromboli der einzige permanent aktive Vulkan im tyrrhenischen Meer. Durch das Teleobjektiv kann man sogar die schneeweißen Häuser an den Hängen erkennen. Von Tropea aus werden Tagesausflüge zu den liparischen (äolischen) Inseln ab 70 DM aufwärts angeboten. Aufgrund des übertrieben hektischen Programmablaufs (drei Inseln an einem Tag!) nehmen wir jedoch davon Abstand. Für eine geruhsame Mittagspause mit grandioser Aussicht empfiehlt sich ein kleines Restaurant am wenige hundert Meter entfernten Aussichtspunkt Belvedere. Bei guten Wetterverhältnissen lassen sich neben den Hügeln der Isole Lipari links in der Ferne sogar die Ausläufer von Sizilien und der Gipfel des Ätna ausmachen.

Cosenza

„Nächtlich am Busento lispeln, bei Cosenza, dumpfe Lieder;
Aus den Wassern schallt es Antwort, und in Wirbeln klingt es wider!
Und den Fluss hinauf, hinunter ziehn die Schatten tapfrer Goten,
Die den Alarich beweinen, ihres Volkes besten Toten.
Allzufrüh und fern der Heimat mussten hier sie ihn begraben,
Während noch die Jugendlocken seine Schulter blond umgaben.
Und am Ufer des Busento reihten sie sich um die Wette,
Um die Strömung abzuleiten, gruben sie ein frisches Bette.
In der wogenleeren Höhlung wühlten sie empor die Erde,
Senkten tief hinein den Leichnam, mit der Rüstung, auf dem Pferde
Deckten dann mit Erde wieder ihn und seine stolze Habe,
Dass die hohen Stromgewächse wüchsen aus dem Heldengrabe
Abgelenkt zum zweiten Male, ward der Fluss herbeigezogen:
Mächtig in ihr altes Bette schäumten die Busentowogen.
Und es sang ein Chor von Männern: Schlaf in deinen Heldenehren!
Keines Römers schnöde Habsucht soll dir je dein Grab versehren!
Sangen's, und die Lobgesänge tönten fort im Gotenheere;
Wälze sie, Busentowelle, wälze sie von Meer zu Meere!“

(August von Platen, Das Grab im Busento)

Zumindest die ersten Verse dieses Gedichts sind mir noch vage im Gedächtnis, als wir unseren Ausflug in die Universitätsstadt im Norden Kalabriens antreten. Hier, wo der Legende zufolge Alarich I. nach der Plünderung Roms um 410 n.Chr. verstarb, soll auch der riesige Schatz zusammen mit dem Leichnam des Königs der Westgoten vergraben worden sein. Seitdem zieht es immer wieder Schatzsucher in diese Gegend und es vergeht kaum ein Jahr, in dem nicht neue Meldungen über angebliche Sensationsfunde durch die Weltpresse geistern. Wir kommen von Süden über die Autostrada A3 und müssen uns durch die Neustadt quälen, um zum eigentlichen sehenswerten Centro Storico zu gelangen: Welch ein unbeschreibliches Verkehrschaos! Auf einer für maximal zwei Fahrspuren in jede Richtung ausgelegten Hauptstraße fährt man in Dreierkolonnen, ohne Fahrbahnmarkierungen, ohne Blinklicht, ohne Abstand. Wer an einer roten Ampel anhält, wird angehupt und weitergeschoben, jede kleine Lücke sofort von Querfahrern geschlossen. Ein Wunder, dass es nicht ständig kracht – aber irgendwie funktioniert dieses kultivierte Chaos und wir überqueren eine Brücke über den Busento, um unseren Wagen vor den Toren der Altstadt abzustellen. Es herrscht wie immer drückende Mittagshitze, wenn wir nach stundenlanger nervenzehrender Autofahrt irgendwo ankommen. Wir flüchten uns in die schattigen Gassen und erklimmen über den Corso Telesio die steil aufsteigende Altstadt. Links und rechts von uns bewundern wir die hölzernen Fassaden der wie immer verschlossenen Läden und landen irgendwann erschöpft an der Piazza del Duomo mit der gotischen Kathedrale aus dem 12. Jahrhundert. Leider ist sie verschlossen, denn wir hätten uns gerne das Grabmal Isabellas von Aragon angeschaut. Aber dafür hat das Cafe Central am Ende des Platzes geöffnet und wir fallen dankbar ein in das im original Jahrhundertwendestil belassene Refugium: Klassische Kaffeehausholzstühle und Marmortische, Polstersofas, zahlreiche Auszeichnungen von Konditorwettbewerben aus dem 19. Jahrhundert an den Wänden und ein Schautresen mit unbeschreiblichen Leckereien, hinter dem ein etwas zu kurz geratener Kellner mit Fliege freudig uns, seine einzigen Gäste zu diesem Zeitpunkt begrüßt. Schnell sind die wie immer abgezählten Pizzette geordert, dazu gefüllte Reisbällchen, Wasser und Cafe. Im Nachbarraum blättert in einer schon unzählige Male überstrichenen Ecke die Farbe von der Decke, doch wen stört das bei dem entzückenden Blick auf die Piazza und den Dom, welcher dezent von Free Jazz aus einem Lautsprecher im Hinterzimmer untermalt wird. Gar nicht mehr halten kann ich mich, als ich erst beim Verlassen des Lokals in einer Schaufensterecke die gewaltige messingfarbene Espressohebelmaschine entdecke: Eine großartige kesselförmige Konstruktion aus dem Anfang des 20. Jahrhunderts, mit vier Auslauföffnungen, Druckmessern und einer Höhe von schätzungsweise ein Meter Zwanzig. Ich erblasse vor Neid - leider zu wuchtig für das Handgepäck ;-)...

Pizzo

Trotz unseres eingangs beschriebenen unerfreulichen Erlebnisses wollen wir es uns nicht nehmen lassen, das kleine Küstenstädtchen östlich von Tropea nochmals aufzusuchen. Etwa 2 Kilometer nördlich vom Stadtzentrum befindet sich direkt am Strand die Hauptattraktion von Pizzo: Die Tuffsteinkirche Piedigrotta. Nach einem glimpflich verlaufenen Schiffsunglück Ende des 19. Jahrhunderts haben Angelo und Alfonso Barone aus Dankbarkeit eine aus mehreren Kammern bestehende Grotte mit Heiligenfiguren und Szenen der Bibel aus dem weichen Fels geschlagen. Die Details der Bildhauereien sind überwältigend und angesichts des fortgeschrittenen Verfalls des empfindlichen Gesteins ist es verwunderlich, dass Piedigrotta nach wie vor frei zugänglich ist und nichts zu seiner Restaurierung unternommen wurde – im Mezzogiorno fließen die Geldquellen eben nur sehr spärlich und wenn dann meist woanders hin. Der mittelalterliche Ort ist darüber hinaus durch Gioachino Murat, den König von Neapel bekannt: Dieser war jedoch nicht etwa türkischer Abstammung, sondern der Schwager von Napoleon Bonaparte, wurde bei seiner Landung 1815 kurzerhand gefangen genommen und nach wochenlanger Festungshaft auf Befehl Ferdinands I. erschossen. Seine Zelle und die verzweifelten Briefwechsel sind noch heute im aragonesischen Kastell am südlichen Ende der Stadtmauer zu besichtigen (Eintritt frei). Auf der angrenzenden riesigen Piazza della Repubblica mit Panoramablick auf die Küste und das tyrrhenische Meer laufen wir (wie immer in der Mittagshitze) auf spiegelglattem Basaltpflaster an einladenden, aber verwaisten Cafes vorbei. Pizzo ist berühmt für sein hausgemachtes Tartuffoeis. Dummerweise gelüstet es uns nach etwas deftigerem und angesichts der fortgeschrittenen Stunde bleibt uns nur der Weg in eine leicht schäbige, aber offene Bar auf einer der gemütlichen, aber im Mittagsschlaf befindlichen Einkaufsstraßen. Solche „Full-Service-Einrichtungen“ zeichnen sich durch ein kompromissloses einheitliches Design aus: Plastikstühle, Plastiktische, Plastiksonnenschirme, Plastikflaschen, Plastikbecher, Plastikserviettenspender, Plastikaschenbecher... Konsequent durchdacht: Der Italiener liebt dieses Material bekanntlich abgöttisch. Gegen die gefüllten Thunfischteigtaschen und Pizzette mit Mozzarella gibt es allerdings nichts einzuwenden: Geschmacklich frisch und preislich am unteren Ende (2500 Lire pro Stück).

Vibo Valentia

Die Provinzhauptstadt, einst im 7. Jahrhundert v. Chr. als griechische Kolonie gegründet, macht ihrem Namen alle Ehre: Der neuere Teil steht wie üblich kurz vor dem Verkehrsinfarkt und beherbergt die Haupteinkaufsstraßen. Das Centro Storico weiter oberhalb in Richtung Kastell beeindruckt vor allem durch seine alten Adelspaläste, welche bislang nur wenig restauriert wurden. Durch ein prächtiges Eingangsportal betreten wir den Innenhof des verfallenden Palazzo Romei: Aus allen Bodenfugen und Mauerritzen wuchert wilder Oregano. Am Ende des Hofes zeugt der feudale zweiseitige Treppenaufgang von besseren Zeiten. Büsche und Bäume haben auch hier längst die Stufen erobert und lassen den alten Stein langsam zerbröseln. Andere Palazzi sind wieder bewohnt, so dass uns nur ein Blick von außen in die üppig bepflanzten Hinterhöfe bleibt. Vibo hat einige Kilometer weiter unten an der Küste noch einen als Freizeithafen angepriesenen Ortsteil (Vibo Marina), der nach meinem Eindruck völlig verbaut ist und in Blechlawinen erstickt.

Zwischen den Meeren...

Nach dem Studium der Landkarte sind wir der Idee erlegen, vom westlichen zum östlichen Ufer Kalabriens sei es doch nur ein Katzensprung und wir wagen uns auf eine Gebirgstour über Serra Bruno zum Mare Ionio. Ich kann Euch nur eins raten: Lasst es bleiben! Nach etwa dreieinhalb Stunden (!) über Serpentinen in anmutiger Landschaft, einem märchenhaften steinalten Olivenwald bei Soriano, mehreren verpassten Abfahrten und einer Schlaglöchertortur sondergleichen erreichen wir endlich den Entstehungsort des Kartäuserordens. Er liegt ungefähr in der geographischen Mitte zwischen den beiden Meeren und bietet als Hauptsehenswürdigkeit die besagte Kartause des heiligen Bruno. Wir sind merklich unter Zeitdruck und fahren an der Certosa nur für einen kurzen Blick vorbei, denn das Meer ruft (in unseren kurzen Hosen hätten wir sowieso keine Chance auf Einlass). Bals sehen wir es, nachdem der Hauptkamm des Bosco di Stilo in etwa 1000 Metern Höhe überwunden ist, im Dunst der Ferne. Auf dieser traumhaften Anhöhe herrscht absolute Stille vor jeglichem Zivilisationslärm. Nur das Summen der Insekten erfüllt die klare windstille Luft. Und was für Exemplare hier leben: In respektvollem Abstand beobachte ich einen Schwarm ca. 6 Zentimeter langer Hornissen, welche hektisch um einen Baumstamm schwirren. Bei näherem Hinsehen erkenne ich einen pechschwarzen, fast dreimal so langen Hirschkäfer. Beeindruckt steigen wir wieder in den Wagen und rollen weiter auf einer Straße, auf der wir schon seit einiger Zeit kein anderes Fahrzeug mehr gesehen haben. Nach einer weiteren Stunde auf immer schlechter werdenden abfallenden Serpentinen zeigt ein Schild mit den Hinweisen „Strada interruzione“ oder so ähnlich und „Ralentare“ (langsam fahren!) den vermeintlichen Weg über eine durch Erdrutsche völlig demolierte Schotterstraße ins Tal. Natürlich fahren wir langsam, denn ich vergaß zu erwähnen, dass mittlerweile der Rest der Bremsbelege völlig runtergefahren ist und die Trommeln einen infernalischen Lärm verursachen. Gegen 18.00 Uhr erreichen wir bei Santa Caterina d. Ionio Marina endlich die Gestade des Ionischen Meeres. Es bleibt leider nur eine kurze Erholungspause am Strand, denn für sämtliche geplanten Besichtigungstouren ist es nun natürlich zu spät: Die malerischen Orte Soverato und Staletti sind zu weit und für Homers mythologische Reise des Odysseus an die Küste der Phäaken, die schöne Prinzessin Nausica, die Geschichte von Troja haben wir im Moment wenig übrig - unsere Gedanken sind längst mit der logistischen Großaufgabe der Rückfahrt beschäftigt. Wir entscheiden uns für die Fahrt an der Küste entlang nach Süden Richtung Siderno, denn kurz davor führt die autobahnähnlich ausgebaute SS281 quer durch Kalabrien zurück an die Westküste. In nur knapp einer Stunde haben wir den Appennin überquert – hätten wir das vorher gewusst...

In Folge dieser Alptraumfahrt beschließen wir kurzerhand, sämtliche weiteren Tagesausflüge zu canceln und stattdessen nur noch Ziele in der näheren Umgebung anzusteuern. Die Überreste der vielen Sarazenentürme an der Costa degli Dei – einst Teil eines Frühwarnsystems gegen Überfälle marodierender Türken und Araber - sind eine interessante Alternative, denn man findet sie nur mit Mühe und Not, so gründlich haben die Erdbeben gewütet. Vom Torre Sant’Irene bei Briatico ist noch am meisten zu sehen. Der Torre Parnaso südlich von Ioppolo steht auf einer kleinen, nur zu Fuß erreichbaren Anhöhe und kann auch von innen besichtigt werden.

Tiriolo

Nach 9 Tagen im zerbeulten Fiat Punto, ohne Seitenspiegel und defekten Bremsen fahren wir an diesem Montag morgen mal wieder zum Flugplatz Lamezia, um den versprochenen Ersatzwagen in Empfang zu nehmen. Es kostet einiges an Überzeugungsarbeit, den Mitarbeitern von „Thrifty – Italy by Car“ klar zu machen, dass wir damit nicht vorhaben, uns noch einen einzigen Meter fortzubewegen. Nach einer kurzen Probefahrt muss auch der junge dynamische Kalabrese eingestehen, dass jede weitere Fahrt infolge fehlender Bremsbelege unvermeidlich zu irreparablen Schäden an der blanken Metallsubstanz der Bremsscheiben und am Trommelfell der Fahrzeuginsassen führen wird. Wir werden ins Flughafengebäude zurückgeschickt und können daher nicht beobachten, aus welcher Werkstatt das Ersatzfahrzeug, ein Daewoo Lanos, entwendet wird. Mit einem augenscheinlich tadellosen Wagen, 5 Türen, Klimaanlage, Zentralverriegelung, elektrischen Fensterhebern - und wichtig - ohne undefinierbare Fahrgeräusche nehmen wir den Weg über die Superstrada Richtung Osten, denn ein Ausflug nach Tiriolo, dem idyllischen Städtchen “zwischen den zwei Meeren” bietet sich angesichts der bereits zurückgelegten Strecke an. Unterwegs stelle ich fest, dass der Daewoo in allen Gängen anfängt zu ruckeln, wenn man nicht permanent Vollgas gibt... ist wohl bisher nicht aufgefallen, denn so fahren hier alle. Aber wir sind ja nicht kleinlich und passen uns den ortsüblichen Gepflogenheiten an. An der Piazza Italia, der letzten Gelegenheit für eine kleine Stärkung, finden wir einen bequemen, zum Teil schattigen Parkplatz. Die eigentliche Altstadt liegt in etwa 700 Metern Höhe an den Ausläufern der Sila Piccola oberhalb der schmalsten Stelle der kalabresischen Halbinsel. Bei gutem Wetter ist von der Burgruine aus in der Tat das ionische und tyrrhenische Meer im Osten bzw. Westen gleichzeitig zu sehen. Bis oben ist es jedoch ein beschwerlicher Weg über Kopfsteinpflaster durch enge mittelalterliche, zum Teil sehr steile und daher autofreie Gassen. Unterwegs lösen wir unsere angetrockneten Zungen mit frischem Gebirgswasser aus einem der häufigen öffentlichen Brunnen. Der Ort ist wie ausgestorben, gelegentlich sieht man an den Hauswänden tönerne Masken, welche die Bewohner vor dem „bösen Blick“ bewahren sollen. Als wir endlich die Burg erreichen, ist von den beiden Meeren aufgrund des Dunstes nicht all zu viel zu sehen, aber die harmonischen roten Dächer von Tiriolo vor dem Hintergrund der Ebene sind auch kein schlechtes Erfolgserlebnis für die Anstrengung.

Tipps

Auch wenn Pauschalangebote nach Kalabrien derzeit gerne als Lockmittel in den Schaufenstern der Reisebüros hängen: Die Region ist kein Billigreiseziel, denn aufgrund der langen Wege und einer am Tourismus nur wenig ausgerichteten Infrastruktur ist man in der Regel auf einen Mietwagen angewiesen und der ist teuer. Wir haben für einen Fünftürer mit Klimaanlage inklusive Vollkasko in 14 Tagen rund 1000 DM bezahlt. Ab Deutschland kann die Buchung z.B. über Holiday Autos auch ohne Selbstbeteiligung, welche jedoch vor Ort nach italienischem Recht hinterlegt werden muss und im Schadensfall vom deutschen Vermittler erstattet wird, erfolgen. Diese Prozedur läuft in unserem akuten Fall noch, so dass ich im Moment noch nichts über die Zuverlässigkeit dieser Regelung sagen kann. Hinzu kommt der hohe Benzinpreis auf dem Stiefel (bis zu 2,40 DM pro Liter bleifrei) und der nicht unerhebliche Spritverbrauch: Lange Strecken, große Steigungen und mangelhaft gewartete Fahrzeuge saugen den Tank in Windeseile leer und verursachten mir wahrhaft körperliche Schmerzen – ist leider so. Richtig teuer wird es, wenn man den Mietwagen im Rahmen eines Pauschalarrangements bucht, weil praktisch jede Person dafür extra zur Kasse gebeten wird. Wir haben unsere Reise mangels passender kurzfristiger Angebote aus einzelnen Bausteinen unterschiedlicher Veranstalter selbst kombiniert: Die Flüge von FTI, die Unterkunft von DER Tour und den Mietwagen über Holiday Autos. Unsere großzügige Ferienwohnung (Residence Marasusa) lag auf einem Hügel bei Parghelia in einem weitläufigen subtropischen Garten (zwei Schlafzimmer, zwei Terrassen, große Küche, Bad, Swimmingpool mit Bar) und war für 1039 DM ohne Verpflegung zu haben. Die Anlage wird vornehmlich in den Monaten Juli und August von Norditalienern besucht. Im Juni waren wir fast alleine, was Vor- und Nachteile hatte: Ruhe, jedoch kaum Unterhaltung, keinerlei Reinigungsservice, Restaurant noch geschlossen. Für meinen knapp dreijährigen Sohn hätte ich nach der üblichen Berechnung in den meisten anderen Hotels und Appartementanlagen 80% des Erwachsenenpreises bezahlt - ziemlich happig. Unterm Strich haben wir trotz des Vollpreises für den Kinderflug (jeweils 598 DM pro Person) im Vergleich zu ähnlichen Pauschalangeboten rund 1000 DM gespart.

Ein Wort noch zu den Verhaltensregeln als Tourist: Kalabrien wird nach wie vor hauptsächlich von den Italienern selbst bereist. Man kann daher nicht davon ausgehen, in Hotels und Restaurants auf deutsch oder englisch sprechendes Personal zu treffen – in Läden oder an Tankstellen schon gar nicht. Ein paar gängige italienische Vokabeln und Redewendungen sind daher sehr hilfreich. Oben ohne oder Nacktbaden ist wie überall in Italien an den Stränden unüblich. Im Gegensatz dazu nehmen es die Einheimischen mit den Kleidervorschriften in der Öffentlichkeit nicht so genau: Motorroller fahren die jungen Männer ab Juni mit freiem Oberkörper und in den Kirchen trifft man genügend Italiener in kurzen Hosen, auch wenn Reiseführer immer wieder penetrant auf die Heiligkeit solcher Orte verweisen. Kalabrien gilt neben Sizilien und Neapel als Mafiahochburg und hat daher im Ausland einen eher zwiespältigen Ruf. Zu unrecht, wie ich meine, denn Übergriffe auf Touristen finden, trotz offensichtlicher sozialer Notstände, so gut wie gar nicht statt. Wir haben uns zu jeder Zeit sicher gefühlt, es gab keinerlei Belästigungen und die Menschen waren überaus gastfreundlich, auch wenn es manchmal mit der Verständigung haperte. Insbesondere kleine Kinder werden wie die Könige behandelt.

Die beschriebenen Orte und Sehenswürdigkeiten können nur einen kleinen Überblick über Kalabrien bieten. Aufgrund der enorm zeitaufwendigen Anfahrtswege ist es unmöglich, in nur 14 Tagen die Region komplett von einem einzigen Ausgangspunkt, wie in unserem Fall, zu erkunden. Dazu eignen sich bestenfalls Rundreisen.