Vom Bembel ins Gerippte

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Keltereien und Herstellung

Großes Entsetzen verursachte bei mir die Tatsache, dass bisher außer zur unsäglichen Kelterei 'Possmann! kaum Informationen über anständige Keltereien erhältlich sind. Ausgerechnet die Erfinder des Industrieschoppens: Gefiltert, homogenisiert, pasteurisiert und geschmacksbefreit (*schmerzgekrümmtambodenlieg*). Sicher, Possmann macht die meiste Werbung (z.B. die Pausenunterhaltung im Waldstadion), hat die selige Fraa Rauscher vereinnahmt, ist sogar auf Lanzarote erhältlich und sitzt in Rödelheim, immerhin ein Stadtteil von Frankfurt. Aber das macht die Brühe noch lange nicht trinkbar. Es gibt natürlich noch andere Großanbieter, als da wären die Kelterei Höhl aus Hochstadt (zwischen Frankfurt und Hanau), Rapp´s aus Karben (Wetterau), Heil aus Laubus-Eschbach im Taunus u.a. Viel interessanter sind aber die vielen kleineren und Kleinstproduzenten, die oftmals einen geschmacklich vielfältigen und unverfälschten Ebbelwoi herstellen. Auch viele der 89 unter www.stoeffche.de, dem Internetzentralorgan der Ebbelwoikultur, gelisteten Lokale in und um Frankfurt herum keltern noch selbst. Die großen Abfüller müssen allerlei geschmackstötende Techniken anwenden, um den in Flaschen verkauften Wein haltbar zu machen. Konservierungsstoffe werden dabei natürlich nicht verwendet, aber es wird kräftig gefiltert. Dabei gehen viele als Schwebstoffe enthaltene Substanzen verloren, die in den Produkten kleinerer Keltereien zwar die Lebensdauer verkürzen, aber auch für geschmackliche Individualität sorgen. In der Regel wird nur für ein Jahr gekeltert, denn lange Lagerzeiten wie beim Traubenwein sind beim Stoeffche nicht üblich. Ein trüber Schoppen ist sozusagen ein Qualitätsmerkmal. Dies haben auch die großen Anbieter erkannt und inzwischen alle eine naturtrübe Sorte im Sortiment.

Ebbelwoi ist nicht gleich Ebbelwoi

Bei den angebotenen Varianten unterscheidet man nach Alter und Zusatz. Das, was direkt aus der Kelter strömt, nennt sich Süßer, hochdeutsch Apfelmost, und ist nichts anderes als ungefilterter und unbehandelter Apfelsaft, der innerhalb von Minuten bereits seinen Geschmack verändert. Der frisch Gepresste hat schon Kultstatus und wird auf Wochenmärkten und Erntedankfesten von Kennern direkt verkostet. Er lässt aufgrund des hohen Vitamin C- und Pektingehalts kleine Schweißperlen auf der Nase des Trinkers entstehen und kann aufgrund seiner natürlichen Beschaffenheit bei empfindlichen Gemütern die Verdauung beschleunigen ;-). Bereits nach wenigen Tagen ist die Gärung so weit fortgeschritten, dass aus dem Süßen Rauscher wird, das Pendant zum Federweißen. Dieser geht dann nach dem Hauptgärungsprozess in den neuen Hellen, einen jungen Ebbelwoi über. Zum Schluss haben wir den 'Neuen': Er ersetzt den 'Alten' aus dem Vorjahr, über den sich die Stammgäste bereits einige Wochen penetrant beschwert haben: "Schorsch, Dein Schoppe is ja so bitter, ist des noch de Alte?" "Hert mer doch uff! Es ganze Jahr sauft Ihr den unn jetz schmeckt er Euch uff aamal nett mehr!". In einer ordentlichen Ebbelwoikneipe werden alle diese Entwicklungsstufen angeboten. Ähnlich wie beim Beaujaulais Primeur überbieten sich die Gastwirte gegenseitig, wer den ersten Süßen im Herbst ausschenkt. Als Zusatz ist im Ebbelwoi eigentlich nur Mineralwasser erlaubt. Ein ungeschriebenes Gesetz besagt, dass in einem Gespritzten, ähnlich wie in einer Weißweinschorle nur 1/5 Wasser enthalten sein darf, sonst ist er gepanscht. Viele Wirte akzeptieren aus Tradition (und Bequemlichkeit?) noch nicht einmal diese Art der Verdünnung und bringen dem Gast lieber eine Flasche Sprudelwasser an den Tisch. Bei einer Bembelbestellung ist dies sowieso üblich. Eine andere Variante gilt allerdings in einer echten Ebbelwoiwerdschaft als Tabu: Der Süßgespritzte. Dabei wird dem armen, mit so viel Liebe und Fleiß gekelterten Schoppen Zitronenlimonade anstatt Wasser zugesetzt. Ein traditioneller Wirt wird einen solchen Affront kategorisch ablehnen: "So `ne Schweinerei mache mer hier nett!" oder den Gast mit tiefster Verachtung strafen: "Isch bring Dir e Flasch' Limo, schütt's Dir selber nei!" An kalten Wintertagen wird der Ebbelwoi gelegentlich heiß und mit allerlei Gewürzen wie Nelken und Zimt versehen. Dies erinnert stark an Glühwein und soll böse Geister, sprich lästige Viren und Bakterien aus dem Organismus verjagen.

Stilecht serviert

Ein Ebbelwoi wird grundsätzlich aus dem Gerippten getrunken. Darunter versteht man ein Glas mit Rautenmuster und 0,25 l Inhalt. In Frankfurter Traditionslokalen wie der 'Germania', dem 'Gemalten Haus' oder dem 'Wagner' sind 0,3 l üblich. In großen Biergärten sind stellenweise sogar schon 0,5 l-Gläser aufgetaucht. Dies hat allerdings mit der ursprünglichen Form nicht mehr viel zu tun und soll nur den Getränkeabsatz ankurbeln. Bei größeren Bestellungen lohnt sich daher in jedem Fall ein Bembel, welcher in echten Ebbelwoikneipen von 5 bis 12 Schoppen Fassungsvermögen serviert wird. Der klassische Krug aus grauem Steingut mit blauen Ornamenten kommt heute noch in den meisten Fällen von Töpfereien aus dem Westerwald und hat zahlreiche Vorzüge: Erstens braucht die Bedienung weniger zu laufen, das verdirbt nicht die sowieso schon grantige Laune. Zweitens isoliert ein Bembel hervorragend und das Stöffche bleibt gerade im Sommer angenehm kühl. Drittens ist meistens etwas mehr drin, als die bestellte (und bezahlte *g*) Menge. Unbewiesenen Überlieferungen zu Folge hat man den Rautenschliff auf den Gläsern aus zweierlei Gründen eingeführt: Wie bereits oben erwähnt, wurde der Ebbelwoi früher nicht gefiltert und hatte daher im Gegensatz zum Traubenwein eine eher unansehnliche Farbe. Die Rauten sorgten für eine gewisse Lichtbrechung im Glas und machten diesen Nachteil wieder wett. Das Rautenmuster ist übrigens nicht einfach eingeritzt, sondern setzt sich aus plastischen Facetten zusammen, womit wir auch schon beim zweiten Grund wären: Diese Oberfläche bot den meist fettigen Fingern der üppig Haspel und Leiterchen speisenden Zecher einen besseren Halt. Wirklich komplett ist ein Stöffchegedeck allerdings erst mit dem Deckel. Wahre Ebbelwoigeschworene haben ihren kunstvoll mit Einlegearbeiten verzierten Holzdeckel immer dabei, um ihren Schoppen im Freien vor lästigem Ungeziefer, dem Zugriff des Nachbarn und herabfallenden Blättern zu schützen.

Inhalt

Ebbelwoi enhält beileibe nicht nur das, was man dem Namen nach vermuten würde. Natürlich ist die Grundlage ein kleiner saurer Apfel mit zugleich hohem Zuckergehalt, welcher auf den Streuobstwiesen des Taunus, der Wetterau oder im Odenwald wächst. Speiseäpfel sind zum Keltern gänzlich ungeeignet. Zur Komposition eines runden herben Geschmacks verwenden die Keltereien noch weitere Früchte. Die bekannteste von ihnen, der holzig-saure Speierling, war aufgrund seiner Seltenheit schon einmal Baum des Jahres, ist mit der Eberesche verwandt und gibt sogar einer Ebbelweinsorte den Namen. Weiterhin kommen Quitten, Mispeln und Schlehen zum Einsatz. Gelegentlich hört man auch von Experten, die auf die Zugabe von Birnen schwören.

Verbreitung

Entgegen manchen Vorurteilen ist die Ebbelwoikultur nicht nur auf Südhessen beschränkt. Im Norden beginnt die Zone in der Wetterau und setzt sich im Süden bis weit in den Odenwald fort. Selbst um Heidelberg herum finden sich noch Landgasthöfe, wo ein lieblicher, aber anständiger Schoppen ausgeschenkt wird. Im Osten kann Unterfranken bereits mit so vielen Keltereien aufwarten, dass massiv in das Rhein-Main-Gebiet exportiert wird. Im Westen stößt die Ebbelwoizone im Rheingau auf eine natürliche Grenze, den Weinbau. Der französische Cidre oder der englische Cider basieren zwar auch der Vergärung von Apfelmost, sie haben aber geschmacklich keinerlei Gemeinsamkeiten mit dem Hessentrunk. In den letzten Jahren hat die Kelterei Höhl mit dem Apfelschampus ein ähnlich spritziges Produkt auf den Markt gebracht. Es unterscheidet sich im wesentlichen durch den deutlich trockneren Charakter von seinem gallischen Vorbild.

Bezugsquellen

Den besten Schoppen erhaltet Ihr in einem selbstkelternden Traditionslokal wie der 'Germania', dem 'Gemalten Haus' oder dem 'Kanonesteppel'. Darüberhinaus ist es üblich, frischen Süßen, Rauscher oder Ebbelwoi in Kanistern direkt bei kleineren Keltereien abzuholen (Adressen unter www.stoeffche.de). Die in Getränke- und Supermärkten erhältlichen Flaschen zu je 1 Liter sind zwar nicht das geschmackliche Nonplusultra, jedoch für eine lückenlose Versorgung unumgänglich.

Mein derzeitiger Favorit unter den Flaschenschoppen ist der naturtrübe Traditionsapfelwein von Heil - erhältlich in vielen Getränkemärkten des Rhein-Main-Gebiets


Unn hier gibt's Ebbes iwwer
Ebbelwoiwerdschafde
Haddekuche

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