Der Fluch des Pharao ...

... wird mich vernichten! Das war bei Howard Carter schon so und warum soll ausgerechnet ich davon verschont bleiben? Aber beginnen wir von Anfang an ...

1995 befanden wir uns auf einem Kurztrip von Zypern nach Israel und Ägypten, um heraus zu finden, was man eben mal in drei Tagen maximal sehen kann. Mit einem schwer in die Tage gekommenen ‚Kreuzfahrtschiff’ stachen wir am frühen Abend in Limassol in See. Es folgte der übliche Firlefanz mit Rettungswesten, Ansprache des Kapitäns und Kampf ums Büffet im viel zu kleinen Speisedeck. Untergebracht waren wir in einer stickigen Innenkabine tief im Bauch des Bootes: Höllenlärm wie in einem Maschinenraum und Bullenhitze trotz Klimaanlage, die dann auch noch die ganze Nacht hindurch geblasen hat und gleichzeitig sämtliche Luftfeuchtigkeit absorbierte. An Schlaf war da nicht zu denken, aber na ja, man war halt jung, irgendwie gerade im Nahen Osten und es durfte nichts kosten ...

Am folgenden Tag erreichten wir Haifa im Norden Israels und absolvierten ein straffes Ausflugsprogramm in Jerusalem und Bethlehem. Dies ist jedoch Inhalt eines anderen Berichts: ‚Durchs heilige Land getrieben’

Nach einer weiteren Nachtüberfahrt legten wir am frühen Morgen in Port Said an der Einfahrt zum Suezkanal an. Diese wird vom imposanten historischen Gebäude der Kanalverwaltung markiert. Bereits während das Schiff noch manövrierte, waren hektische Aufbaumaßnahmen für eine improvisierte Marktzeile von fliegenden Händlern im Gange. Wir ahnten nur ansatzweise, was nun bevor stand ...

Der Weg zu den bereit stehenden Bussen führte genau über jene Marktzeile und die Verkäufer fielen wie Ameisen laut und in allen erdenklichen Sprachen dieser Welt gestikulierend über uns Kreuzfahrer her: „Special price!“ „How much? Combien? Wieviel?“ „Yes please!“ „Very nice!“ Während andere Mitreisende den Fehler machten, zu lange ihr Augenmerk auf eine der zahllosen kunsthandwerklichen Repliken – Büsten, Sphinxe, Statuen, Minipyramiden – zu richten und somit Trauben von Verkäufern um sich scharten, nutzten wir die Gelegenheit, weitgehend unbehelligt zum Bus zu laufen. Es gab wohl eine unsichtbare Grenze zwischen Markt und Einstiegszone. Auf jeden Fall reagierte die anwesende Polizei äußerst rabiat auf Händler, die den Bussen zu nahe kamen und verteilte ungeniert Ohrfeigen.

Eine gute Stunde später waren alle an Land und verladen, so dass sich der Convoy in Bewegung setzte, vorne und hinten eskortiert vom Militär. Ungefähr ein Drittel des Weges Richtung Kairo führte die Landstraße direkt am Suezkanal entlang und die scheinbar durch die Wüste kriechenden Supertanker hinter dem Damm sorgten für ein beeindruckendes surreales Bild. Palmenhaine flogen an uns vorüber und am Straßenrand stießen wir immer wieder auf ausgebrannte Panzer, Überreste des Sechstagekrieges und der folgenden Besetzung der Sinaihalbinsel durch die Israelis.

Auf dem Programm stand zunächst Gizeh. Man kutschierte uns vorbei am streng bewachten Denkmal und Grab Anwar el-Sadats, welches genau gegenüber der Tribüne errichtet wurde, auf der er als ‚Verräter’ am arabischen Lager 1981 von Islamisten während einer Militärparade erschossen wurde. Auch einen Blick auf die durch Sultan Saladin erbaute Zitadelle von Kairo mit der Alabastermoschee durften wir werfen. Wir wurden direkt am Stadtrand auf dem Kalksteinplateau abgesetzt und zur Chephren-Pyramide, der nach Cheops zweithöchsten und nur unwesentlich kleineren der Welt, geleitet. Auf dem kurzen Stück zu Fuß musste man höllisch aufpassen, um nicht gegen seinen Willen auf eines der Kamele gesetzt und durch die Wüste getrieben zu werden. Auch die Andenkenverkäufer waren hier um einiges aggressiver als in Port Said – zweihundert Jahre westlicher Kolonialismus sage ich nur.

Die Instruktionen hatten wir bereits im Bus erhalten: Zügig hinunter, festhalten, nie stehen bleiben, immer schön Wasser trinken und keinesfalls auf angebliche Führer im Inneren der Pyramide reagieren. Wie kommen die da nur hinein, wenn das illegal ist, frage ich mich? Wahrscheinlich die Nachkommen ehemaliger hoher Priester, ausgestattet mit Wegelagererbefugnissen auf Lebenszeit ... Arabische Logik wird ein Europäer nie verstehen.

Wir taten also wie uns geheißen, konnten sogar eine Weile in der Grabkammer am leeren Granitsarkophag verweilen und unter der Inschrift Giovanni Battista Belzonis die Aura der Jahrtausende auf uns wirken lassen. Draußen in der grellen sengenden Wüstensonne erkaufte ich mir den Weg zur nächsten Attraktion. Ein Stapel Postkarten, eine Kufiya, ein arabisches Kopftuch und schließlich nach harten Verhandlungen zehn schicke Papyri, vor denen uns der Reiseleiter dringend gewarnt hatte: Die seien aus Bananenblättern und würden in spätestens zwei Wochen zu Staub zerfallen. Wie sich später heraus stellte, war dies nur einer von vielen Versuchen taktischer Verunsicherung, um den Umsatz in der später zu besuchenden professionellen Papyrusfabrik zu steigern, denn alle ‚gefälschten’ Papyri erfreuen sich bei mir zu Hause auch viele Jahre später noch bester Stabilität.

Voll bepackt mit Souvenirs konnte ich endlich in Ruhe hinüberstapfen, zum großen Panorama der großen Pyramiden von Gizeh: Alle nebeneinander und im Vordergrund der große Sphinx – das ist doch was!

Doch schnell zurück, wir hatten ja keine Zeit ...

Die Sammlung der Altertümer in der Kairoer Innenstadt wartete auf uns. Es war noch vor dem grausamen Massaker auf dem Museumsvorplatz und anderen Übergriffen auf Touristen. Die Vorschriften für Film- und Fotoaufnahmen waren im Ägyptische Museum sehr restriktiv und nur mit Auflagen gestattet. Privatpersonen durften damals keine Videokameras und Fotoapparate nur gegen einen gebührenpflichtigen Erlaubnisschein, jedoch ohne Blitz und Stativ benutzen. Heute würde ich einen Film mit möglichst hoher ISO-Zahl oder einfach eine Digicam verwenden, um dieses Problem einigermaßen in den Griff zu bekommen. Damals besaß ich nur eine Kompaktkamera, immerhin mit Autofokus, die mir schon zuvor über viele Jahre treue Dienste geleistet hatte. Über Lichtempfindlichkeiten habe ich mir keine Gedanken gemacht und zahlte gerne die umgerechnet 3,- DM für ein paar ‚einzigartige’ Aufnahmen dieser Hochkultur.

Im Museum, dessen Bausubstanz größtenteils noch im vorigen Jahrhundert entstand, gibt es einige Lichthöfe, in denen Kolossalstatuen und Obelisken aufgestellt sind. Die künstliche Beleuchtung in den übrigen Räumen ist jedoch eher spärlich. Man kann sich vorstellen, wie ‚gestochen scharf’ das Ergebnis meiner Bilder war. Unser ägyptischer Reiseleiter hat mich immer wieder penetrant daran erinnert, den Auslöser zu drücken – mich, den einzigen in seiner Gruppe mit einer offiziellen Genehmigung! Was blieb auch anderes übrig? Der Eindruck von dieser Sammlung ist leider auf die rein visuelle Wahrnehmung beschränkt, denn von moderner interaktiver Museumspädagogik ist man hier noch sehr weit entfernt.

Dafür brechen die Ausstellungsräume aus allen Nähten, es wird hineingestopft, was nur geht. Neben einer unglaublichen Menge an Exponaten aus allen Epochen der Pharaonenzeit – und dies ist nur eine Auswahl, der weitaus größte Teil schlummert noch in den Magazinen – bilden die Schätze aus dem Grab Tutanchamuns und die Kammer der Mumien aus dem Tal der Könige die Hauptattraktionen. In letzterer darf mit Rücksicht auf die Erhabenheit des Ortes generell nicht fotografiert oder laut gesprochen werden, so erzählte es mit gebietendem Ernst der Reiseleiter.

Den strengen Blicken der Museumswärter in ihren weißen Uniformen nach zu urteilen, bestand daran für mich auch überhaupt kein Zweifel. Somit betrat die Gruppe ehrfurchtsvoll die Kammer mit den diffus beleuchteten gläsernen Sarkophagen und schritt mit gedämpfter Stimme am rund 3200 Jahre alten Ramses II., Tutmosis, dem was-weiss-ich-wievielten und anderen gottgleichen Despoten vorbei. Ich hielt mich etwas am Ende, um mir die Pharaonen in Ruhe betrachten zu können. Als der letzte vor mir den Raum wieder verlassen hatte, zischte mir der Aufseher grinsend zu: „Photo!?“ Mit gesetzestreuem Blick entgegnete ich ihm, dass dies doch streng verboten sei, worauf er wieder zwinkerte und flüsterte: „No, no... photo!“

Die Einladung war eindeutig, der Jagdinstinkt in mir gewann die Oberhand, ich warf alle Skrupel über Bord und lief von einem Sarkophag zum anderen, um die Antlitze der einstigen Herrscher der höchstentwickelten Zivilisation der damaligen Welt auf Zelluloid zu bannen – natürlich ohne Blitz, es sollte schließlich kein Schaden an den Mumien entstehen. Nach etwa zwei Minuten war ich durch und sah mich schon geistig in einem ägyptischen Militärgefängnis bei Kichererbsen und Kakerlaken dahinvegetieren. Also warf ich einen Blick zum Ausgang, wo der Wärter immer noch erwartungsvoll stand. Souverän schritt ich zur Tür, zog ein angemessenes Bakschisch aus der Tasche und drückte es ihm mit einer wohlwollenden Geste in die Hand. Er steckte es in routinierter Manier ein und grinste nun über beide Ohren, als wir den Saal wieder verließen. So lief das hier also...

Im Nachhinein habe ich nicht unbedingt ein schlechtes Gewissen: Die Mumien waren ja keine Muslime, so dass eine eventuelle Verletzung religiöser Gefühle nicht zu befürchten war. Außerdem waren die Jungs dermaßen steinalt, dass von noch lebenden Verwandten eher nicht auszugehen war. Zu Schaden gekommen ist auch niemand und der schlecht bezahlte Museumswärter hat sich was dazuverdient. Was soll’s. Ich rate jedoch niemandem, so etwas auf eigene Faust zu unternehmen, dazu sind die rechtsstaatlichen Verhältnisse in diesem Land zu undurchsichtig. Ägyptische Sicherheitskräfte können ziemlich grob werden, wie ich schon an anderer Stelle beobachten konnte.

Der krönende Abschluss des Besuchs waren dann die Kostbarkeiten aus dem Grab von Tutanchamun. Ich will hier nicht all zu viel verraten, aber der Anblick der völlig unversehrten Schätze aus Elfenbein, Alabaster, massivem Gold und Edelsteinintarsien ist wahrlich überwältigend. Mehrere goldene Schreine, Sarkophage und die weltberühmte Totenmaske bildeten die Hüllen um den Leichnam des Pharaos, der inzwischen wieder an seinen Ursprungsort im Tal der Könige zurückgebracht wurde. Dazu fand man als Grabbeigabe eine umfangreiche Sammlung von vergoldeten Möbeln, Statuetten und Utensilien.

Die wenigen Stunden im ägyptischen Museum haben mir natürlich lediglich einen ersten Geschmack von dieser Kultur vermitteln können. Um alles in angemessener Zeit zu sehen und vor allem begreifen zu können, sind mehrere Tage notwendig.

Dafür wurden wir zum Schluss in der bereits erwähnten Papyrusfabrik wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt: Hier ging es mal wieder nur um das schnelle Geschäft. Die Exponate waren zugegebenermaßen schön und handwerklich sehr gut verarbeitet, aber auch kostspielig. Und wer hat auf solch einer Tour die Zeit und Muße, eine fundierte Kaufentscheidung zu fällen? Hier war wohl mehr Überrumpelungstaktik angesagt, bevor die Touris wieder in die Busse und zurück zum Hafen verfrachtet wurden.

Als die meisten unserer Reisegruppe auf dem Weg zum Schiff bereits gedanklich in ihrer Kabine die Füße hochlegten, erkannte ich schon aus einiger Entfernung, dass sich das Katz- und Maus-Spielchen von heute Morgen wiederholen sollte. Die Stände waren alle noch oder wieder aufgebaut und ein wüstes Geschrei erhob sich, als die ersten ‚Kunden in Sichtweite’ waren: „Sonderpreis, my friend!“ „Wieviel?“ „Lookilook!“ Aaargh ... Wir überlegten kurz, wie viel Münzen wir noch in der Tasche hatten und welche Exponate denn in Frage kämen, ohne aber zu viel Interesse zu zeigen. Die Wahl fiel dann schließlich auf einen schwarzen Sphinx und eine goldene Tutanchamun-Büste, beides in Miniaturformat, worauf man uns ziehen ließ und gleichzeitig die anderen Passagiere verfluchte, die nichts mehr kaufen oder zu wenig bezahlen wollten.

Als dann alle endlich an Bord waren, brach auf einmal eine bemerkenswerte Stille herein. Die ägyptischen Händler bauten seelenruhig ihre Stände ab und winkten uns freundlich zu, als wäre nichts gewesen, während wir ablegten – welch eine grandiose orientalische Show!